Zum Hauptinhalt springen

Hartz-IV-Gespräche in Deutschland gescheitert

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sieht ihren Gesetzesentwurf noch nicht als völlig gescheitert an. Foto: ap

Koalition versucht Reform nun im Alleingang. | Droht ein sozial- politisches Chaos? | Fortsetzung der Gespräche nicht ausgeschlossen. | Berlin. Als "gescheitert" bezeichneten am Mittwochmorgen die Verhandlungsführer die Schlichtungsgespräche zur Reform der deutschen Hartz-IV-Gesetze. Sollten sich die Parteien nicht in letzter Sekunde noch einigen, droht ein sozialpolitisches Fiasko.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Hunderttausende Betroffene könnten dann gegen ein Gesetz klagen, das teilweise verfassungswidrig ist. In diesem Fall könnte auch das sogenannte Richterrecht zum Tragen kommen, womit praktisch jeder Sozialrichter seine eigenen Hartz-IV-Sätze festlegen könnte.

Denn schon vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht kritisiert, dass die bisherige Regelleistung - derzeit 359 Euro - "nicht in verfassungsgemäßer Weise ermittelt" worden sei. Die Politik müsse künftig "auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren" ermitteln.

Wie hoch die Grundsicherung konkret ausfiel, war nämlich bis dahin ein Produkt politischer Willkür. Damit sollte nun Schluss sein. Karlsruhe setzte der Regierung eine Frist bis Ende 2010. Die ist knapp vor Weihnachten durch das Veto der Länderkammer verstrichen.

Nach wochenlangem Ringen gaben am gestrigen Mittwoch die Kontrahenten einander wechselseitig die Schuld an dem Desaster: Die Regierungsseite warf der Opposition vor, "alle unerfüllten sozialpolitischen Forderungen der vergangenen zwanzig Jahre" auf den Tisch gelegt und sich damit "vergaloppiert" zu haben. Die SPD wiederum unterstellt, die Hartz-IV-Sätze seien von der Bundesregierung künstlich heruntergerechnet worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei "eiskalt" und habe es von vornherein auf ein Scheitern angelegt.

Der Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sah vor, den Regelsatz auf 364 Euro zu erhöhen und dann jährlich mit der Lohn- und Preisentwicklung zu akkordieren. Außerdem enthielt er ein Bildungspaket für Lernförderung wie Nachhilfe, Schulmaterial, ein warmes Mittagessen in Schule oder Kindergarten sowie für Vereinsaktivitäten. Die neuen Zuschüsse sollen überwiegend nicht als Geld, sondern als Sach- und Dienstleistung erbracht werden.

Die SPD forderte elf Euro mehr beim Regelsatz, 5000 neue Stellen für Schulsozialarbeiter, weitere gesetzliche Mindestlöhne sowie Lohngleichheit von Zeitarbeitern und Stammbelegschaft.

In siebenwöchigen Verhandlungen gab es jedoch auch Annäherungen. So würde die Bundesregierung die kommunalen Kosten der Grundsicherung im Alter übernehmen und die Gemeinden um jährlich drei Milliarden Euro entlasten. Auch bei den Mindestlöhnen für Zeitarbeiter, für den Wachschutz und die Weiterbildungsbranche schien eine Einigung greifbar.

Ministerin hofft auf Mehrheit im Bundesrat

Jetzt will von der Leyen die neuen Vorschläge in Windeseile durch den Vermittlungsausschuss und den Bundestag peitschen, um in letzter Sekunde vielleicht doch noch eine Mehrheit im Bundesrat zu bekommen. Nun blickt alles gebannt auf das Saarland, das Zünglein an der Waage.

Noch ist allerdings nicht alles verloren. Sowohl Manuela Schwesig, Sprecherin der SPD in der Verhandlungsrunde, als auch der bisher recht erfolgreich agierenden von der Leyen, geht es in dem kleinen Wahljahr - sieben Bundesländer wählen neue Landtage - um Gesichtswahrung. Ein endgültiges Aus für die Reform würde das gute Image beider nachhaltig beschädigen. Deshalb haben sich beide Seiten zur Fortsetzung von Gesprächen bereit erklärt.