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Hartz IV: Kinder sollen mehr bekommen

Von WZ Online

Europaarchiv

Hartz IV heißt nicht gleich arbeitslos. | Wie sich die Hartz-IV-Sätze errechnen. | Karlsruhe. Die Hartz-IV-Zahlungen in der Grundsicherung für deutsche Arbeitsuchende sind verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse die Regelsätze bis Ende 2010 neu berechnen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.


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Die bisherige Regelung bleibt bis zum Jahresende in Kraft, wie das BVG verkündete. Ab 1. Januar 2011 muss eine Neuregelung gelten. Der Erste Senat ordnete zudem an, dass Hartz-IV-Empfänger ab sofort in seltenen Ausnahmefällen Zusatzleistungen erhalten müssen.

Die Richter kritisierten vor allem, dass der Bedarf von Kindern bis 14 Jahren nicht tatsächlich ermittelt worden, sondern vom Existenzminimum eines Erwachsenen abgeleitet sei. Daher seien etwa Bildungsausgaben für Kinder unberücksichtigt.

Der monatliche Hartz-IV-Regelsatz für einen erwachsenen Haushaltsvorstand beträgt derzeit 359 Euro. Kinder erhalten davon je nach Alter 60 bis 80 Prozent. In Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen auf das Arbeitslosengeld II angewiesen.

CDU erfreut

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als Fortschritt zugunsten von Kindern begrüßt. "Das ist meines Erachtens nach ein wegweisendes, ein bahnbrechendes Urteil", sagte die CDU-Politikerin am Dienstag nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe. "Heute ist die Bildung der Kinder der große Sieger." Von der Leyen sagte, der Staat müsse verhindern, dass Kinder wegen fehlenden Materials wie Taschenrechner oder Füller nicht in der Schule mithalten könnten. Dies sei eine Fürsorgeleistung des Bundes, auf die Kinder Anspruch hätten.

Von den rund 6,7 Millionen Hartz-IV-Beziehern gelten 4,9 Millionen als erwerbsfähig (die nicht Erwerbsfähigen sind zum allergrößten Teil Kinder unter 16 Jahren). Die Erwerbsfähigen könnten demnach einer regelmäßigen Tätigkeit von mindestens drei Stunden am Tag nachgehen. Davon war im September 2009 mehr als jeder Vierte (27,8 Prozent oder 1,366 Millionen) erwerbstätig. Über die Hälfte (774.000) verdiente im Monat weniger als 400 Euro, davon waren 57 Prozent arbeitslos gemeldet.

Arbeitslos

Als arbeitslos im Sinne der Statistik gilt, wer erwerbsfähig ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Wenn Alleinerziehende keine Kinderbetreuung finden, die ihnen eine regelmäßige Arbeit ermöglicht, sind sie zwar erwerbsfähig - stehen dem Arbeitsmarkt aber nicht zur Verfügung, werden daher nicht als arbeitslos gezählt. Gleiches gilt für Hartz-IV-Bezieher in Ein-Euro-Jobs und Bildungsmaßnahmen.

Langzeitarbeitslos

Arbeitslos gemeldet waren im Januar 2010 2,275 Millionen Hartz-IV-Bezieher - sie stellten damit 63 Prozent aller 3,617 Millionen registrierten Arbeitslosen. Gut 41 Prozent aller Arbeitslosen in der Grundsicherung sind langzeitarbeitslos, also länger als zwölf Monate ununterbrochen arbeitslos gemeldet. Ihre Zahl hat sich fast halbiert: Im März 2006 lag sie bei 1,33 Millionen, im Dezember 2009 bei 779.000.

Bildung

Jeder fünfte Arbeitslose in der Grundsicherung hat keinen Schulabschluss, jeder zweite keine Berufsausbildung.

Alleinerziehende

Sie laufen das weitaus größte Risiko, auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen zu sein. 41 Prozent aller Alleinerziehenden erhalten Arbeitslosengeld II. Dies wird vor allem mit einer fehlenden Kinderbetreuung begründet. In den Jobcentern wurde aber auch beobachtet, dass sich Paare bisweilen nur für den Staat trennen - weil getrennt lebende Paare mit Kindern zusammen unterm Strich mehr Geld erhalten.

Im Folgenden Erläuterungen zur Berechnungsmethode der Harz-IV-Sätze:

Regelsatz

Das Arbeitslosengeld II richtet sich nach dem Bedarf eines alleinstehenden Haushaltsvorstandes. Dessen Regelsatz beträgt derzeit 359 Euro im Monat. Davon leiten sich als Abschläge die anderen Zahlungen ab: Erwachsene Partner und Kinder von 14 bis 17 Jahren erhalten 80 Prozent (287 Euro), Kinder von sechs bis 13 Jahren 70 Prozent (251 Euro), Kinder bis zum Alter von fünf Jahren 60 Prozent (215 Euro). Zudem gibt es Zuschläge, etwa für Alleinerziehende und Schwangere. Auch die Kosten mehrtägiger Klassenfahrten werden übernommen. Der Staat zahlt zudem die Miet- und Heizkosten einer angemessenen Wohnung.

Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)

Der Regelsatz wird anhand der Konsumausgaben eines Alleinstehenden im untersten Fünftel der Einkommensskala ermittelt. Dabei werden Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger herausgerechnet. Datenbasis ist die alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe in 60.000 Haushalten.

Für zehn Ausgabenarten von Nahrungsmitteln bis Verkehr ermittelt das Statistische Bundesamt so die durchschnittlichen Aufwendungen. Diese werden aber noch nach unten korrigiert. So wurden zum Beispiel die Ausgaben für Kleidung und Schuhe um zehn Prozent gekürzt, die Kosten für Verkehr sogar um 26 Prozent. Bei der Kleidung begründen Statistiker das damit, dass im Regelsatz keine Ausgaben etwa für Maßanzüge enthalten sein müssten. Die so gekürzten Einzelpositionen werden zum Regelsatz zusammengezählt. Diese Abschläge kritisierte das Verfassungsgericht als nicht nachvollziehbar begründet.

Die letzte Erhebung war 2008, die Regelsätze gründen noch auf den Erhebungen von 1998 und 2003. Eine erste Auswertung der neueren Daten soll in diesem Herbst vorliegen. Zwischen diesen Erhebungen wird der Regelsatz jährlich zum 1. Juli in gleichem Maß erhöht wie die gesetzliche Rente.

Kinderbedarf

Den konkreten Bedarf eines Kindes ließ das Arbeitsministerium 2008 in einer Sonderauswertung der EVS aus dem Jahr 2003 ermitteln. Das Ergebnis war, dass Kinder zwischen sechs und 13 Jahren monatlich 240 Euro benötigen - also 33 Euro mehr, als ihnen nach dem damals gültigen Regelsatz zustand. Ihr Anteil am Regelsatz wurde zum 1. Juli 2009 von 60 auf 70 Prozent erhöht.

Die Sonderauswertung ergab aber auch, dass jüngere und ältere Kinder nach den Berechnungen zuviel erhielten: Für Kinder von null bis fünf Jahren wurde ein Bedarf von 191,23 Euro veranschlagt (rund 16 Euro weniger als damals gezahlt wurde), für Kinder von 14 bis 17 Jahren 257,66 Euro (rund 18 Euro weniger als nach dem damals geltenden Regelsatz).

Absurditäten

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert eine Anhebung der Zahlungen an Kinder um etwa ein Drittel auf Beträge von 276 bis 358 Euro. Er prangert Absurditäten an, die durch die Ableitung des Kinderbedarfs vom Erwachsenen-Regelsatz entstünden: Dem Säugling würden regierungsamtlich zwar 11,90 Euro für Tabak und Alkohol zugerechnet, aber nichts für Windeln. Für Spielzeug würden 62 Cent im Monat errechnet, für Schreibwaren und Zeichenmaterial 1,66 Euro und für den Besuch von Sport- und Kulturveranstaltungen wie Kino 3,83 Euro. (Reuters/APA)

Siehe auch:Porträt Peter Hartz

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