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Für einen guten Gag, ein passendes Bild, einen saftigen Sager werden im Mediengeschäft schon einmal Grenzen überschritten. Wer sich entschieden hat, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen - sei es als Star, Starlet oder Politiker -, muss etwas aushalten, oder, wie es in unnachahmlicher Prägnanz im Englischen heißt: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.
So viel als Vorbemerkung.
Nun kann man zu Angela Merkels Politik stehen wie man will, kann diese für abgrundtief falsch halten oder als einzig richtige bejahen. Was man jedoch nicht kann - genauer: nicht können sollte -, ist, die Person selbst zu einer Hassfigur zu verzerren, wie dies derzeit quer durch Europa und über den Atlantik hinweg geschieht. Und das Schlimmste: Wir beginnen, uns an Grenzüberschreitungen dieser Art zu gewöhnen.
Begonnen hat es, als deutsche (und in deren Fahrwasser auch österreichische) Medien die Stereotypenkeule ausgepackt und den europäischen Süden zum Paradies für Faulpelze erklärten. Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten. Mittlerweile ist das Spiel mit nationalen Vorurteilen längst außer Kontrolle.
Augenzwinkern war einmal, jetzt ist es Ernst. Wobei: Deutsche Politiker in Nazi-Uniformen abzubilden, mag jenseits des Ärmelkanals noch als besondere Unterart des für seine Eigenart ebenso berühmten wie berüchtigten britischen Humors durchgehen; im Falle Merkels greift dieses in jeglicher Hinsicht unsägliche Muster allerdings auch auf andere europäische Länder über.
Und vollends jenseitig wird es, wenn etwa das linke britische Wochenmagazin "New Statesman" Merkel "zum gefährlichsten deutschen Führer seit Hitler" stilisiert und im Leitartikel die deutsche Kanzlerin als größere Gefahr für die Weltordnung darstellt als Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und Irans Staatschef Mahmoud Ahmadinejad.
Zu befürchten ist, dass das, was sich jetzt medial an aufgestauter Wut, an lange unterdrücktem Hass an der Person der deutschen Regierungschefin entlädt, sehr viel mehr über den aktuellen Zustand des europäischen Integrationsprojekts sagt als die beständige Selbsthypnose einer über weite Strecken inhaltsleeren Wir-Rhetorik. Angesichts solcher Medien braucht Europa keine weiteren Feinde. Diese reichen völlig aus, um dem Projekt den Garaus zu bereiten.