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Hässliche Sitten auf der "schönen Insel"

Von Walter Hämmerle

Politik
Affären haben Präsident Chen ordentlich zugesetzt. Am Donnerstag entmachtete er sich de facto selbst. Foto: ap

Präsident lehnt Rücktritt aber ab. | Regierende Fortschritts-Partei versinkt in Affären. | Wien/Taipeh. Der Schritt von Chen Shui-Bian hatte sich abgezeichnet. In den vergangenen Wochen verging kaum ein Tag, an dem nicht nur die Demokratische Fortschritts-Partei (DPP) von Taiwans Staatspräsidenten, sondern auch dessen Familie immer tiefer in einen Strudel von Korruptionsvorwürfen gezogen wurden. Am Donnerstag zog Chen - nicht zuletzt auch auf Druck aus der eigenen Partei - die Notbremse und legte die Leitung des Kabinetts, sämtliche Agenden der Tagespolitik sowie die DPP-Führung in die Hände von Ministerpräsident Su Tseng Chang. Einen Rücktritt lehnte Chen, dessen Amtszeit 2008 endet, jedoch ab. Er will weiter die Zügel in der Außenpolitik in Händen behalten.


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Schwiegersohn in Haft

Erst vergangene Woche wurde der Schwiegersohn Chens wegen Verdachts auf Insider-Geschäfte verhaftet. Der praktizierende Orthopäde soll dank illegaler Informationsflüsse aus Regierungskreisen einen fetten Millionengewinn eingestreift haben. Und Chens Gattin soll Einkaufsgutscheine eines Luxuskaufhauses angenommen und im Gegenzug eine Rolle bei der umstrittenen Übernahme des Unternehmens gespielt haben. Diese beiden Skandale sind jedoch nur die Spitze des Korruptions-Eisbergs, der bereits seit Monaten die regierende Partei in ihren Grundfesten erschüttert. Dabei wurde die einstige Dissidenten-Partei DPP im Jahr 2000 als saubere Alternative zur korrumpierten Kuomintang-Partei gewählt, die die "schöne Insel" - so die Bedeutung von "Ilha Formosa", wie portugiesische Seefahrer das Eiland vor der chinesischen Festlandküste tauften - seit der Gründung der Republik China im Jahr 1949 mit harter Hand beherrschte. Heute, da die einstigen Korruptions-Exzesse der nationalistischen Kuomintang wegen der aktuellen Affären der DPP längst in Vergessenheit geraten sind, stehen ihre Chancen auf eine Rückkehr an die Macht bei den Präsidentschaftswahlen 2008 besser denn je. Zumal die Regierung ihre Mehrheit im Parlament verloren hat und auch ein aussichtsreicher Nachfolgekandidat sich noch nicht heraus kristalliert hat.

Das innenpolitische Klima des wirtschaftlich enorm erfolgreichen, diplomatisch jedoch weitgehend isolierten Tigerstaates im südchinesischen Meer mit 24 Millionen Einwohnern ist völlig vergiftet. Vor allem im Umgang mit Rot-China, das Taiwan militärisch bedroht, trennt ein tiefer Graben die beiden Großparteien. Während die DPP für eine de facto Unabhängigkeit des Inselstaates eintritt, beharrt die Kuomintang auf einer Wiedervereinigung mit dem Festland im Falle einer Demokratisierung Chinas.