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Sie waren jahrelang Weggefährten, mittlerweile ist ihr Verhältnis aber mehr als zerrüttet: Irans Ex-Präsident Rafsanjani und der Oberste Geistliche Führer Khamenei finden vor der Präsidentenwahl im Juni keinen Konsens.
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Ein zuletzt seltener Gast kam kürzlich zu einem Besuch in das Büro des Obersten Geistlichen Führers des Iran, Ali Khamenei: Expräsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani. Er wollte über die Lage der iranischen Nation reden.
Als Chef des Schlichtungsrates ist Rafsanjani mit Veto- und Sonderbefugnissen ausgestattet; in den letzten 34 Jahren galt er neben Revolutionsvater Ruhollah Khomeini und seinem von ihm selbst zum Nachfolger gehievten Nachfolger Khamenei als zweitmächtigster Mann im iranischen Machtgefüge. Von der 50-jährigen Freundschaft der beiden Veteranen der Islamischen Revolution ist freilich nicht mehr viel übrig.
Rafsanjani, der als reichster Mann im Iran gilt, hat sich im Laufe der Jahre emanzipiert und gibt sich nunmehr als moderater Pragmatiker. Seit er 2005 daran gescheitert war, das Präsidentenamt (das er seit 1989 bis 1997 bekleidet hatte) erneut auszuüben, distanzierte er sich mehr und mehr von den Ultrakonservativen und Prinzipientreuen.
Gewiefter Taktiker
Seit 2009 und den Ereignissen rund um die umstrittene Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad zum Präsidenten hat sich Irans "Kardinal Richelieu" mit seiner Sympathie für die Opposition, der "grünen Bewegung", ins politische Abseits manövriert. Nachdem die mit ihm befreundeten Oppositionskandidaten Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi damals massiv unter Druck gesetzt worden waren und die Wiederwahl des verhassten Erzrivalen Ahmadinejad alles andere als transparent verlief, zeigte der im Iran wegen seines spärlichen Bartwuchses als "Haifisch" bezeichnete Politveteran Zähne: Sein Auftritt beim Freitagsgebet am 17. Juli 2009 löste im schiitischen Gottesstaat ein gewaltiges Echo und ein politisches Erdbeben aus - und kostete Rafsanjani in der Folge viel an Einfluss.
So viel, dass ein Analyst in Teheran sich einen sarkastischen Kommentar in Hinblick auf die Feindschaft zwischen Ahmadinejad, der als Platzhalter für Khamenei fungierte, und Rafsanjani nicht verkneifen konnte: "Der Fuchs lauert im Wald und sieht, wie der Wolf die Macht ergriffen hat. Der Wolf wird aber Fehler machen - und wenn es soweit ist, wird der Fuchs aus seinem Bau hervorkommen. Der Wolf mag stark sein, aber der Fuchs ist der bessere Taktiker."
An taktischem Geschick hat es Rafsanjani nie gefehlt. Er erfüllte die hohen Erwartungen der vorwiegend jungen Zuhörer und nutzte jenes historische Gebet zu einem Rundumschlag gegen das politische Establishment und die Geschehnisse seit der Wahl. So zeigte er Verständnis für die Forderungen der Demonstranten: "In der gegenwärtigen Situation ist es nicht nötig, dass wir eine Anzahl von Menschen in den Gefängnissen festhalten. Wir sollten ihnen erlauben, zu ihren Familien zurückzukehren." Danach schwor er die Menge ein, durchzuhalten: "Lasst uns die Gelegenheit nutzen, um eine bessere Zukunft für unser Land zu schaffen und die Probleme zu lösen!"
Zudem sprach sich der damals 75-jährige Geistliche für eine Lockerung der Pressezensur aus. Und als erster ranghoher Vertreter der politischen Führung sprach er offen von einer politischen Krise, die den Iran erfasst habe: "Wir sind alle Mitglieder einer Familie. Ich hoffe mit dieser Predigt, dass wir diese schwere Phase hinter uns bringen, die durchaus als Krise bezeichnet werden kann." Nach der Predigt wurde er von Hunderttausenden wie ein Held gefeiert. Rufe wie "Hashemi, Hashemi, du wirst uns retten" waren am ganzen Universitätscampus zu hören.
Rafsanjani wurde auf diese Weise ungewollt zur Galionsfigur der Opposition: Er empfing die Mütter von Demonstranten, die ihre Söhne verloren hatten, und hörte sich ihre Klagen an, ordnete die Strafverfolgung von Gefängniswärtern an, die Demonstranten - gleich, ob männlich oder weiblich - brutal vergewaltigt hatten, und widersetzte sich der Weisung des gesamten Führungszirkels, sich "eindeutig" von der Opposition zu distanzieren. Sein "Ungehorsam" hatte Folgen: Seit Ende Juli 2009 durfte Rafsanjani kein Freitagsgebet mehr leiten, er verlor seinen Posten als Chef des Expertenrates und wurde immer wieder öffentlich und medial für seine "Packelei" mit der Opposi- tion kritisiert. Der einzige Schalthebel zur Macht, der ihm noch verblieb, war sein Posten als Chef des Schlichtungsrates.
Khamenei bekannte sich 2009 mehrmals offen zu Ahmadinejad und schwieg auch ob dessen Anschuldigungen gegenüber Rafsanjani. Nicht ohne Khameneis Zustimmung dürfte zudem auch die Verhaftung von zweien von Rafsanjanis Kindern über die Bühne gegangen sein. Mittlerweile sind Faezeh und Mehdi zwar wieder frei, aber die Signalwirkung verfehlte ihren Druck auf den Vater nicht.
Khameneis Bestellung
Unterkriegen konnte Rafsanjani aber trotzdem niemand. Khamenei wusste immerhin, dass Gerüchte kursierten, die besagten, dass Rafsanjani nach der Wahl den Expertenrat zu einer geheimen Sitzung beordert hatte und dort eine knappe Mehrheit für die Absetzung Khameneis erzielte, davon aber nicht Gebrauch machte. Khamenei wurde vom "Haifisch" außerdem immer wieder daran erinnert, wer ihn einst zum Obersten Führer des Iran gemacht hatte. In jener Sitzung, als nach dem Tod Khomeinis alle Blicke auf Rafsanjani gerichtet waren, empfahl er Khameneis Wahl - und fügte hinzu, dass dies der ausdrückliche Wunsch Khomeinis gewesen sei.
So wurde ein in der strengen Hierarchie der Religionselite nicht einmal mit dem Titel Großayatollah ausgestatteter einfacher Geistlicher zum Obersten Führer bestellt. Diese Entscheidung ist bis heute umstritten. Rafsanjani konnte sie aber durchsetzen. Die Dankbarkeit Khameneis hielt allerdings nicht lange an.
Kehren wir noch einmal zurück in jene Wochen des Jahres 2009, als sich die Führungskrise im Iran zuspitzte und die politische Elite nach den Protesten nach der Wahl so zerstritten war wie nie zuvor. Augenzeugen berichteten, dass Rafsanjani Khameini erfolglos vor den "fatalen Folgen einer weiteren Ära Ahmadinejad" gewarnt und danach die Tür von Khameneis Büro zugeknallt haben soll.
Vier Jahre später fühlt sich Rafsanjani, der trotz Korruptionsvorwürfen und vieler politischer Feinde noch immer hohes Ansehen in der religiösen Elite des Iran genießt, in seinen Warnungen bestätigt. Seine damaligen Forderungen aus der Freitagspredigt sind für ihn aktueller denn je. Nur die politischen Vorzeichen haben sich geändert: Mittlerweile hat sich auch Khamenei von Ahmadinejad, der immer öfters zu eigenen Wegen abseits der Geistlichkeit neigt, abgewendet und wieder einmal Rafsanjani zu einem Gespräch über den heiklen bevorstehenden Urnengang am 14. Juni, wenn ein neuer Präsident gewählt werden soll, geladen.
Als Rafsanjani zum Büro Khameneis fuhr, wirkte sein Gesichtsausdruck unzufrieden, als ob er ahnen würde, dass der Besuch keinen Konsens bringen würde. Dort wurde er von Mitarbeitern des Obersten Führers durchaus herzlich begrüßt, und Erinnerungen an das Vermächtnis des Revolutionsvaters Khomeini wurden bei der Umarmung zwischen Khamenei und Rafsanjani wach: Khomeini hatte vor seinem Tod gesagt, dass "die Ideen und die Substanz der Islamischen Revolution im Iran so lange existieren würden, so lange Rafsanjani lebe".
Auch setzte er sich dafür ein, dass Khamenei und Rafsanjani als Zentrum des iranischen Machtzirkels das politisch wichtige Freitagsgebet in Teheran halten sollten. Doch die Kluft zwischen den beiden alten Männern - Rafsanjani wird im August 79, Khamenei im Juli 74 - ist mittlerweile zu tief, als dass sie mit einem Gespräch überbrückt werden könnte.
Als danach bekannt wurde, dass Rafsanjani keine Übereinstimmung mit Khamenei mehr erkennen könne und sich sogar über dessen mangelndes Vertrauen ihm gegenüber beschwerte, wurde klar, dass eine erneute Kandidatur Rafsanjanis für das Präsidentenamt immer unwahrscheinlicher wird. Daher bleibt offen, wer am 14. Juni Mahmoud Ahmadinejad, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren darf, nachfolgen wird.
Wenig Befugnisse
Innerhalb der iranischen Führung weiß man, dass der Präsident keine herausragenden Realbefugnisse hat. Die wichtigsten Fragen, etwa jene der Außen -und Sicherheitspolitik, werden von Khamenei entschieden. Und dem geht es bei der kommenden Wahl daher nur um eines: keinen großen Wirbel zu machen und einen genehmen Präsidenten an seiner Seite zu haben - anders, als Ahmadinejad zuletzt.
Zusätzlich soll der Urnengang möglichst ruhig und ohne Proteste über die Bühne gehen. Dass dies in Zeiten, in welchen die iranische Währung Rial innerhalb des letzten Jahres 60 Prozent ihres Wertes verloren hat und die internationalen Sanktionen die Wirtschaft an den Rand des Abgrundes getrieben haben, nicht leicht werden wird, weiß Khamenei. Daher braucht er notgedrungen Mediatoren wie Rafsanjani. Nur mit ihm kann er den Einfluss des Kronprinzen von Ahmadinejad, Esfandiar Mashaei, einbremsen und das System erhalten.
Doch Rafsanjani will sich auf dieses Spiel - zumindest vorläufig - nicht einlassen und macht deutlich, dass von Khamenei schon wesentlich mehr Bereitschaft kommen müsste, seinen Hauptforderungen, wie der Eindämmung der Macht der Revolutionsgarden und der Freilassung der Oppositionellen, nachzukommen. Man darf gespannt abwarten, wie der Clinch dieser beiden Politveteranen ausgehen wird.
Arian Faal, geboren 1977, ist seit 2004 freier Mitarbeiter bei der "Wiener Zeitung" und seit Jänner 2012 auch bei der apa. Er ist spezialisiert auf den Iran und den Nahen Osten.