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Hat Gott die Finger im Spiel gehabt?

Von Walter Hämmerle

Politik

Khol: "Minarette sind absolut legitim". | Lunacek will | keinen Gottesbezug in der Verfassung. | Papstbesuch ohne politische Dimension. | "Wiener Zeitung": Am Freitag landet der Papst in Österreich - nur ein Event für Gläubige und Neugierige oder ein Besuch mit politischer Dimension?


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Ulrike Lunacek: Ich halte die politische Dimension für vernachlässigbar.

Andreas Khol: Das ist ein seelsorgerischer Besuch, der in erster Linie die Bedeutung des Marien-Wallfahrtsortes Mariazell unterstreicht. Für die Katholiken hat der Besuch von Benedikt XVI. natürlich eine sehr große Bedeutung, eine politische Dimension im Sinne von Staatspolitik, geschweige denn von Parteipolitik, sehe ich nicht.

Wie intensiv darf ein Politiker mit seinem Glauben hausieren gehen? Der Besuch der Messe ist ja auch ein Signal an Wählerschichten.Khol: Die Hierarchien von kirchlichen und anderen Glaubensgemeinschaften dürfen auf die tägliche Arbeit von Politikern keinen Einfluss nehmen. Als katholischer Politiker mache ich Politik aus christlicher Verantwortung; das bedeutet, ich bilde mein Gewissen an der Soziallehre der Kirche, die für mich eine wichtige Quelle ist, aber in meinen Entscheidungen bin ich autonom. Dass jemand eine bestimmte Religion praktiziert, das kann er halten, wie er will - ich habe mich immer gewehrt, während des Gottesdienstes fotografiert zu werden.

Lunacek: Auch für mich ist die Frage des Religionsbekenntnisses Privatsache. Was mich aber erstaunt, ist, dass Sie behaupten, Sie hätten gar nicht den Anspruch, christliche Politik zu machen. Es waren Sie und die ÖVP, die im Österreich-Konvent und bei der EU-Verfassung wollten, dass ein Bezug auf das christliche Europa drinnensteht. Das impliziert doch, dass Sie einen christlichen Wertekanon vertreten und auch christliche Politik machen.

Khol: Hier muss man schärfer differenzieren. Ich mache sehr wohl Politik aus christlicher Verantwortung, das heißt, ich bilde mir mein Urteil, indem ich die katholische Soziallehre oder auch die Rundschreiben, die Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation an katholische Politiker geschickt hat, genau studiere. Aber meine Entscheidungen treffe ich auf Grundlage des Parteiprogramms, meines Wählerauftrags und meiner eigenen Überzeugung. Christliche Politik ist für mich der politische Katholizismus der Zwischenkriegszeit, wo christliche Politiker der verlängerte Arm der Bischöfe waren.

Beim Gottesbezug - das muss nicht nur der christliche sein - in der Verfassung geht es darum, deutlich zu machen, dass der staatliche Gesetzgeber nicht alles darf. Nationalsozialismus und Kommunismus haben gezeigt, was ein Gesetzgeber anrichten kann, der nicht mehr einem außerhalb seiner Zuständigkeiten existierenden Sittengesetz unterworfen ist.

Lunacek: Die katholische Kirche hat allerdings vor einiger Zeit katholische Politiker dezidiert aufgefordert, die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu verhindern. Das ist eine klare Einmischung in die Politik.

Khol: Dagegen habe ich mich auch ausgesprochen.

Ist für die Grünen ein universaler Gottesbezug ohne christliche Exklusivität ein Mittelweg oder überwiegt das Vertrauen in die menschliche Vernunft?Lunacek: Auch ich misstraue der menschlichen Vernunft, aber ich halte einen Gottesbezug nicht für sinnvoll, weil es einfach zahlreiche Menschen in Europa und in Österreich gibt, die ohne Glaubensbekenntnis sind und einen solchen Gottesbezug nicht wollen. Übrigens haben in der Vergangenheit auch Religionen geirrt und Taten begangen, die mit der Menschenwürde unvereinbar waren. Das trifft auch auf die katholische Kirche zu. Deshalb sehe ich nicht, dass ein Gottesbezug totalitäre Regime verhindern könnte.

Khol: Durch den Gottesbezug wird niemand zum Glauben an Gott gezwungen und niemand beleidigt. Es geht um die Begrenzung der Allmacht des staatlichen Gesetzgebers. Gerade im Nationalsozialismus hat der Gedanke der Legalität eine große Rolle gespielt - mit einem Bezug auf Gott oder ein höheres Sittengesetz kann ich die Nürnberger Rassengesetze nicht als Recht akzeptieren, weil sie eindeutig wider die Moral sind. Das legitimiert auch das Widerstandsrecht. Gerade die Grünen haben sich in ihrer Geschichte ja immer wieder gerne auf das Widerstandsrecht berufen.

Lunacek: Das stimmt, nur nicht unter Berufung auf einen Gottesbezug. Mir geht es hier um die problematische Rolle, die die Kirche über die Jahrhunderte hinweg gespielt hat. Es braucht keinen Gottesbezug, um Widerstand zu legitimieren. Für mich ist die beste Methode, autoritäre Regime welcher Art auch immer zu verhindern, Demokratisierung, Selbstbewusstsein und kritisches Denken der Menschen.

Khol: Sie vielleicht nicht, aber die Geschichte zeigt, dass die starken Widerstände gegen Diktaturen immer von Seiten der Religionen kamen, man muss nur an den Nationalsozialismus oder den Kommunismus in Osteuropa denken . . .

Lunacek: Da waren aber doch nicht nur Christen. Ich wehre mich gegen Ihre Aussage, dass der christliche Widerstand der wichtigste gewesen sei. Gerade in der NS-Zeit waren Juden, Sozialisten und Kommunisten im Widerstand stark aktiv.

Khol: D´accord.

Mit dem steigenden Selbstbewusstsein des Islam erleben wir eine neue Debatte über religiöse Symbole. Bevor wir zu Kopftüchern und Minaretten kommen, wie steht es mit dem Kreuz in Schulen?Lunacek: Ich brauche das nicht. Ich würde mir einen Ethikunterricht wünschen oder zumindest einen Religionsunterricht, der alle Religionen umfasst. Obwohl ich selbst vor über dreißig Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, bin ich überzeugt davon, dass Religionen eine wichtige Rolle haben. Es ist nur so, dass der Papst einfach noch nicht im 21. Jahrhundert und seinen Problemen angekommen ist. Es ist unverantwortlich in Zeiten, in denen Aids in Afrika noch immer auf dem Vormarsch ist, Kondome zu verbieten.

Khol: Religion ist ein wichtiges Lebensmittel für viele, wenn auch nicht für alle. Um dieses Lebensmittel zu schützen haben wir die Grundrechte - und die stehen nicht zur Disposition. Deshalb ist für mich das Kopftuchtragen, sofern es nicht erzwungen ist, Ausdruck der freien Meinungsäußerung. Ich halte auch den Bau von Minaretten im Rahmen der Bauordnung für absolut legitim. Wenn es Kirchtürme geben darf, darf es auch Minarette geben. Zum Religionsunterricht: So wie wir ihn Österreich haben, halte ich ihn für beispielgebend. Für alle ohne Bekenntnis oder die sich abgemeldet haben, würde ich mir einen Ethikunterricht wünschen. Übrigens ist im Lehrplan für die Oberstufe die Kenntnis anderer Religionen als Lehrgegenstand festgeschrieben.

Lunacek: Es ist erfreulich, dass für Sie Minarette in Ordnung sind. Allerdings hat erst am Dienstag Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll Minarette als artfremd bezeichnet. Halten Sie das nicht für problematisch?

Khol: Ich habe hier eine Grundsatzposition, von der ich auch nicht abweiche. Das ist Prölls Meinung, meine ist es nicht. Minarette sind keine politische, sondern eine Rechtsfrage.

Besteht ein Widerspruch zwischen dem Anspruch auf Politik aus christlicher Verantwortung und restriktiven Fremden- oder Asylgesetzen?Khol: Den sehe ich überhaupt nicht . . .

Lunacek: Ich schon . . .

Khol: . . . das wundert mich nicht. Die Nächstenliebe kann nicht nur eine Fernstenliebe sein, sondern muss auch die Gemeinschaft, die hier ist, im Auge haben. Weder Asylrecht noch Zuwanderung noch Familienzusammenführung sind bestritten, Probleme gibt es nur immer wieder bei der Ausformung und die Verhinderung von Missbrauch. Auch das Fremden- und Asylrecht sind auf der Grundlage der katholischen Soziallehre vertretbar.

Lunacek: Aber Innenminister Platter ist davon weit entfernt. Und das sehen auch viele Katholiken so.

Ist die Nicht-Gleichstellung der Frauen in der Kirche ein politisches Problem?Khol: Sicher nicht, das ist eine innerkirchliche Angelegenheit. Der Papstbesuch gilt allerdings einer Frau: Der Mutter Gottes.

Lunacek: Natürlich ist das ein innerkirchliches Problem, aber so wie sich manche Bischöfe zu weltlichen Fragen melden, kann man auch als Politiker hier Kritik äußern - und die betrifft nicht nur die katholische Kirche, sondern auch den Islam und teilweise auch das Judentum. Ich habe Jesus zwar auch nicht gekannt, ich glaube aber nicht, dass er es gutgeheißen hätte, Frauen auf Dauer das Priesteramt zu verwehren.

Hat Gott bei der Erschaffung der Welt seine Finger mit im Spiel gehabt?Khol: Das ist für mich unbestritten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Shakespeare "Romeo und Julia" als Zufallsprodukt der Schöpfung geschrieben hat.

Lunacek: Da ich nicht an Gott glaube, sehe ich auch nicht, wie bei der Schöpfung ein höheres Wesen mitgespielt haben soll.

Khol: Da tun Sie mir aber sehr leid.

Lunacek: Wissen Sie, was ich nicht verstehen kann: Wie kann man an einen Gott glauben, der eine Welt erschaffen hat, die so ist, wie sie ist - voller Armut und Leiden?

Khol: Glauben nach Auschwitz ist tatsächlich eine schwierige Frage, das verstehe ich.

Was, wenn Sie denn könnten, würden Sie sich von Benedikt XVI. wünschen?Lunacek: Ich würde mir eine lateinamerikanische Befreiungstheologin als Päpstin wünschen.

Khol: Ich wünsche mir eine Reform der Priesterausbildung und -rekrutierung. Die Frage verheiratet/unverheiratet sollte für die Seelsorge keine Rolle mehr spielen und man sollte auch nach einem erfüllten Berufsleben als Mann mit Familie im zweiten Bildungsweg Priester werden können.

Zu den Personen

Andreas Khol, Jahrgang 1941, ist bekennender Katholik. Der habilitierte Verfassungsrechtler war von 2002 bis 2006 Nationalratspräsident. Davor fungierte Khol, der 1983 in den Nationlarat einzog, als ÖVP-Klubobmann, seit 2005 Obmann des Seniorenbundes. Khol ist seit 1965 verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Ulrike Lunacek, Jahrgang 1957, trat vor dreißig Jahren aus der katholischen Kirche aus. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen ist studierte Dolmetscherin (Englisch und Französisch) und kämpft für die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Lunacek lebt seit 13 Jahren mit einer Frau zusammen.