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Hat Greenspan sein Gespür verloren?

Von Daniel Enskat, New York

Wirtschaft

Heute, Dienstag, trifft sich das Federal Open Market Committee (FOMC), der geld- und währungspolitische Arm der US-Notenbank (Fed), zum zweiten Mal in diesem Jahr in Washington, um über die amerikanische Währungspolitik zu beraten. Drei Fragen werden dazu derzeit in den USA intensiv diskutiert: Erstens: Wie hoch wird die Zinssenkung ausfallen? Zweitens: Hat Alan Greenspan sein Gespür für die Märkte verloren? Und drittens: Ist die Institution Notenbank zu einem wirtschaftlichen Anachronismus geworden?


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Zinssenkung um 50 oder 75 Basispunkte? Oder vielleicht 0,5% jetzt, gefolgt von weiteren 0,25% vor dem nächsten Treffen am 15. Mai? Die Diskussion um die Leitzinsentscheidung der Fed ist nicht neu, sie intensiviert sich bloß in Zeiten möglicher Rezession - wobei grundsätzlich festzuhalten bleibt, dass der weit verbreitete Glaube, Zinssenkungen hätten zwangsläufig einen starken Aktienmarkt zu Folge, bei weitem zu simpel ist.

Es mangelt nicht an Argumenten Für und Wider: Während Rückgänge bei Konsumentenausgaben, Hausbauten und Industrieproduktion für eine drastische Zinnsenkung durch die Fed sprächen, deutet der wichtige Index des Konsumentenvertrauens darauf hin, dass die wirtschaftliche Situation nicht so schlecht ist, wie zuletzt allgemein angenommen.

Die Reaktion an den US-Aktienmärkten ist absehbar: Im Falle einer Senkung des Leitzinssatzes um 75 Basispunkte würde spontaner Jubel ausbrechen, der einige Tage später in die nach ausgelassenem Feiern übliche Katerstimmung umschlüge. Denn wie schlecht muss es um die US-Wirtschaft stehen, wenn der sonst so bedächtige Notenbankchef Alan Greenspan einen solch gewaltigen Schritt unternimmt?

Sollte die Senkung, was wahrscheinlicher ist, bei 50 Basispunkten liegen, wäre die Enttäuschung groß, gemeinsam mit dem Vorwurf, dass die Notenbank nicht genug unternimmt, um der US-Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.

Was zum Streitpunkt führt: Hat Alan Greenspan sein Gespür für die Märkte verloren? Bis Ende Jänner war der Fed-Präsident noch der Guru der Aktienmärkte und der Meister der so genannten "weichen Landung". Doch so maßlos das Lob und die Hymnen der letzten Jahre, so übertrieben jetzt die Anschuldigungen und Verdikte. Ob es von Greenspan taktisch klüger gewesen wäre, im Sommer letzten Jahres auf dem Höhepunkt seiner Karriere abzutreten, darüber lässt sich streiten. Ob die USA mit einem anderen Notenbankchef wirtschaftlich derzeit besser dastünden, ist mehr als fraglich.

Wichtiger ist ist die Frage, ob die Institution Notenbank zu einem wirtschaftlichen Anachronismus geworden ist. Neu ist auch diese Frage nicht. Schon Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman warf der Fed vor, stets einen halben Konjunkturzyklus hinter dem allgemeinen Marktgeschehen her zu hinken. Mithin war es vielleicht die größte Leistung Greenspans, Mitte der 90er Jahre gegen die traditionellen Vorstellungen vieler seiner Kollegen die Idee durchzusetzen, dass man im Zuge einer so genannten Neuen Wirtschaft unter die üblichen 6% Arbeitslosigkeit gehen könne, ohne Inflationsgefahren zu schüren. So gelang zum ersten Mal das, was einer "weichen Landung" nahe kommt, die Gratwanderung zwischen Expansion und wirtschaftlicher Überhitzung.

Doch nun scheinen die glorreichen Zeiten ungebremsten Wachstums vorüber und die alten Vorwürfe erwachen zu neuem Leben. Einiges spricht dafür, dass es der Institution Notenbank im Zuge von Flexibilisierung, Globalisierung und Technisierung letztlich unmöglich werden wird - so es dies nicht schon ist - den internationalen Aktienmärkten mindestens 6 Monate voraus zu sein. Ihr Informationsvorsprung wird geringer, da das Internet und gesetzliche Regelungen wie das so genannte "Fair Disclosure" dem interessierten Investor jede gewünschte Information ohne Zeitverzögerung ins Haus liefern. Doch da die Fed als Institution auf absehbare Zeit ohne Alternative bleibt, darf und wird man weiterhin mit Spannung die Reaktion der internationalen Aktienmärkte auf ihre Entscheidungen verfolgen.