Sollte der tschechische Präsident Klaus mit seiner Forderung nach Verankerung einer "Fußnote" im Vertrag von Lissabon durchdringen, hätte Österreich den Schwarzen Peter.
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Es ist eine Ironie der Geschichte. Österreich, das in den Beitrittsverhandlungen mit der Tschechischen Republik in den Jahren 1998 bis 2002 lange, letztlich aber erfolglos darum gekämpft hatte, dass die Bene-Dekrete aus dem Bestand der tschechischen Verfassung entfernt werden, wird am Europäischen Rat vom 29./30. Oktober 2009 nolens volens der vom tschechischen Präsidenten Václav Klaus geforderten "Fußnote" zustimmen, um das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nicht zu vereiteln. Wenngleich diese "Fußnote" nicht in der Lage ist, die Bene-Dekrete juristisch zu "immunisieren", so verleiht sie ihnen doch erneut politische Relevanz. Was für ein genialer Schachzug aus dem Hradschin, Österreich auf diese Weise den Schwarzen Peter zuzuspielen!
Die Sachlage ist mehr als komplex. Wie in meiner letztwöchigen Kolumne ausgeführt, hatte Präsident Klaus zunächst versucht, die Bene-Dekrete entweder durch ein primärrangiges Protokoll oder durch einen Vorbehalt im Zuge der Ratifikation des Vertrages von Lissabon vor der Anwendung der EU-Grundrechtecharta beziehungsweise dem Zugriff des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften juristisch abzusichern. Nachdem dieser Plan am Widerstand der EU-Präsidentschaft, der Europäischen Kommission und beinahe aller Mitgliedstaaten gescheitert war, forderte er nur mehr eine bloße politische Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten. Eine solche wäre entweder einstimmig oder im sogenannten Konsensus-Verfahren durch den Europäischen Rat zu erteilen - damit dieser Beschluss aber zustande kommen kann, müsste Österreich dafür stimmen. Österreich ist daher in Zugzwang.
In diesem Zusammenhang wird in allen bisherigen Äußerungen zu diesem Dilemma vergessen, dass die Tschechische Republik bereits eine Erklärung zur EU-Grundrechtecharta abgegeben hat. So betont sie in ihrer Erklärung Nr. 53, die der Schlussakte von Lissabon angefügt ist, unter anderem, dass in der Charta Grundrechte und Grundsätze, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, anerkannt werden und diese somit im Einklang mit diesen Überlieferungen auszulegen sind. Damit hat sie bereits zu verstehen gegeben, dass sie die Grundrechtecharta im Lichte ihres Verfassungsbestandes (unter Einschluss der Bene-Dekrete) auszulegen gedenkt - allerdings nur in Form einer (unverbindlichen) einseitigen Erklärung.
Jetzt will Klaus eine einstimmige Erklärung aller Mitgliedstaaten, gab es zuletzt aber billiger und erklärte, die Fußnote müsse ja nicht von allen EU-Staaten unterzeichnet werden.
Gegenforderungen
Klaus hat mit seiner Forderung die Büchse der Pandora geöffnet. Der slowakische Regierungschef Robert Fico kündigte vor kurzem an, eine ähnliche Klausel auch für sein Land reklamieren zu wollen und erklärte: "Wir, die wir ebenfalls ein Nachfolgestaat der Tschechoslowakei sind, dürfen bei den Dekreten keinerlei Rechtsunsicherheit zulassen". Waren es in Tschechien Sudetendeutsche, die durch die Bene-Dekrete um ihr Vermögen gebracht wurden, so waren es im heutigen Territorium der Slowakei vor allem Ungarn, die ebenso behandelt wurden. Der tschechische sozialdemokratische Oppositionsführer Jirí Paroubek sagte in diesem Zusammenhang einen Dominoeffekt voraus und erklärte, dass auch spezielle Klauselwünsche aus Deutschland, Österreich und Ungarn zugunsten der Vertriebenen zu erwarten sind. Ein entsprechendes Signal hätte er bereits von Bundeskanzler Faymann bekommen.