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Hat Polens PiS den Bogen überspannt?

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Regierungsparteien höhlen die Rechtsstaatlichkeit aus. Den Protest dagegen muss die Opposition nutzen.


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Nun gilt es, die Emotionen am Köcheln zu halten. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der polnischen Opposition für die kommenden Monate. Im Herbst wird in Polen ein neues Parlament gewählt, und der Unmut über die nationalkonservative Regierung rund um die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski ist in Teilen der Bevölkerung groß. Am Sonntag manifestierte er sich in einer Kundgebung mit hunderttausenden Menschen, die durch die Straßen Warschaus zogen.

Diese Stimmung also muss die Opposition beim Urnengang in Stimmen ummünzen. Schafft sie es, wird es für PiS und die Bündnispartner schwierig, erneut eine Mehrheit im Sejm, im Unterhaus, zu erhalten.

Gewaltenteilung ausgehebelt

Denn das Ausmaß der Empörung, die sich am Sonntag zeigte, kann das Kabinett von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weder kleinreden noch verspotten - auch wenn dies nicht unversucht blieb. So stellte der Premier die Demonstration als ein Parteitreffen von Sympathisanten der Bürgerplattform (PO) von Ex-Ministerpräsident Donald Tusk dar, und Justizminister Zbigniew Ziobro sprach von einem "Marsch des Hasses". Im staatlichen Fernsehen wurde die Zahl der Teilnehmer kleingeredet.

Dabei war die Kundgebung am Jahrestag der ersten teils freien Wahlen in Polen nach dem Fall des sozialistischen Regimes 1989 parteiübergreifend angelegt, und Forderungen nach einer Ablösung von PiS an der Macht verbanden sich mit Rufen nach einer Stärkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dass diese von PiS systematisch ausgehöhlt wird, prangern Kritiker im In- und Ausland seit Jahren an.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist ein Gesetz, das vor kurzem beschlossen und von Präsident Andrzej Duda prompt unterzeichnet wurde. Es sieht die Einrichtung einer Kommission vor, die untersuchen soll, welche Politiker oder Beamte in den Jahren 2007 bis 2022 unter russischer Einflussnahme gestanden sein könnten. Wenn das Gremium, dessen Zusammensetzung die Parlamentsmehrheit bestimmt, jemanden für schuldig befindet, kann das ein mehrjähriges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter zur Folge haben. Eine Berufung ist nicht möglich. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird ausgehebelt.

Die Anschuldigung, "Agenten des Auslands" zu sein und damit die nationalen Interessen Polens zu gefährden, richtet PiS gern gegen Oppositionelle - nicht zuletzt gegen Donald Tusk. Es ist wohl kein Zufall, dass die neue Kommission Tätigkeiten ab 2007 durchleuchten soll, dem Jahr, als die Bürgerplattform an die Macht kam. "Lex Tusk" nennen Kritiker das Gesetz daher.

PiS-Vorhaben durchgezogen

Doch bei allem Rückenwind, den die Opposition am Sonntag verspürte, braucht sie nun langen Atem. Denn nicht nur einmal hat sie zehntausende Menschen mobilisiert, auf die Straße zu gehen - und dennoch ließ sich die PiS-Regierung von ihren Vorhaben nicht abhalten. Sie kann außerdem auf eine treue Wählerschaft bauen, die ihr 2019 zur Wiederwahl verhalf.

Die Massenproteste gegen den von PiS vorangetriebenen Umbau des Staates, die es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben hat, weisen also eher auf die Polarisierung der Gesellschaft denn eine wachsende Gegnerschaft zu PiS hin. Ob Kaczynskis Partei aber mittlerweile den Bogen überspannt hat, wird sich beim Votum im Herbst zeigen.