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Gremien-Marathon in Wiener Landespartei, für Altkanzler Vranitzky hat Koalitionsfrage mit FPÖ keine Priorität.
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Wien. Von der Früh bis in den Nachmittag hinein tagten am Montag die Gremien der mächtigen Wiener Sozialdemokratie, um die akut gewordene Führungskrise in der SPÖ wieder in geregelte Bahnen einzufangen. Konkrete Entscheidungen wurden dabei offenbar keine getroffen. Nun soll der Wiener Bürgermeister und Landesparteichef Michael Häupl in Abstimmungen mit den anderen Landesgruppen und Organisationen, eine "arbeits- und handlungsfähige Bundespartei sicherstellen". Häupl selbst erklärte, er wolle dem ins Visier innerparteilicher Kritik geratenen Bundesparteivorsitzenden und Kanzler Werner Faymann "helfen".
Der Wiener Bürgermeister bezog dies sowohl auf den vorverlegten Bundesparteivorstand am 9. Mai beziehungsweise die damit verbundene Strategiegruppe zum Umgang mit der FPÖ als auch auf den Bundesparteitag. Dieser soll im November stattfinden, eine Vorverlegung sei jedoch nicht ausschließen, heißt es. Altkanzler Franz Vranitzky empfiehlt seiner Partei unterdessen, die Koalitionsfrage mit der FPÖ hintanzustellen.
Risse
Dass sich zwischen Parteiführung und Basis manchmal Gräben auftun und Vorsitzende zum Rücktritt aufgefordert werden, ist in der Politik keine Besonderheit, das hat es auch in der SPÖ schon gegeben. Nur der 1. Mai, dieser höchste Feiertag der Sozialdemokratie, wurde bisher mit solchen Debatten nicht behelligt.
Dazu kam, dass es nicht der einzige Riss war, der sich beim Mai-Aufmarsch zeigte. Es gab auch jene Genossen, die Faymann applaudierten, und vor allem jene, die mit "Werner, der Kurs stimmt"-Schildern in Richtung Rathausplatz zogen. Tags zuvor hatten Wiens Bürgermeister Michael Häupl und sein Landesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler per Aussendung zwar mitgeteilt, die Wiener SPÖ lass sich "nicht spalten und auseinanderdividieren". Auf dem Rathausplatz waren die Risse aber unübersehbar. Und das ist für die Sozialdemokratie doch eine ungewohnte Situation. Zerstritten hatte sich viel öfter der Dauerkoalitionspartner ÖVP mit seiner bündischen Struktur gezeigt, nicht die SPÖ.
Geschlossenheit so schnell wie möglich wiederherzustellen, war auch der Grund, weshalb die Wiener SPÖ am Montag alle wesentlichen Gremien zusammentrommelte - erst das Präsidium, dann den Vorstand und schließlich den "Wiener Ausschuss", dem 144 Mitglieder angehören, darunter alle Stadt-, Gemeinde und Bezirksräte sowie Jugend- und Vorfeldorganisationen. Herausgekommen ist eine kleine Aussendung: Darin heißt es, der Bürgermeister wurde ermächtigt, Gespräche zu führen, um eine "arbeits- und erfolgsfähige Bundespartei sicherzustellen". Häupl: "Ich stehe für die Einheit der Sozialdemokratie mit bester Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften." Eh.
Die Antworten auf zwei Fragen spalten die Genossen
Es sind in erster Linie zwei wesentliche Fragen, bei denen sich binnen weniger Monate viele Genossen in entgegengesetzte Richtungen bewegt haben. Die eine Frage betrifft den Umgang mit der FPÖ, die andere die Asylpolitik, in der sich die Position der Wiener SPÖ von jener der burgenländischen Landespartei markant unterscheidet. Wobei die Bundespartei in dieser Frage in Richtung Niessl-Kurs geschwenkt ist - so sehen es zumindest jene, die am Sonntag Faymann auspfiffen. Auf der anderen Seite war aber auch klar, welcher "Kurs" bei "Werner, der Kurs stimmt" gemeint war, der auf die vielen vorgedruckten Schilder geschrieben stand: der Kurs in der Flüchtlingsfrage. Unklar war, wer diese Tafeln angefertigt hat. Offiziell waren Bezirksgruppen verantwortlich, aus informierten Kreisen hörte man jedoch, dass der Auftrag aus der Bundesgeschäftsstelle gekommen sein soll. Pressechef Matthias Euler-Rolle dementierte allerdings vehement: "Wir haben gar keine Schilder hergestellt."
Dieses trennende Thema könnte sich in den kommenden Monaten aber ohnehin von selbst legen. Es ist zwar schwer vorherzusehen, wie sich die Lage entwickelt, zumindest die Hoffnung ist aber legitim, dass sich die großen Turbulenzen legen. Nicht zuletzt aufgrund der von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen.
Die zweite Frage berührt ein Thema, das die SPÖ nicht so schnell loslassen wird: der Umgang mit der FPÖ. ÖGB-Chef Erich Foglar wollte in einem "Profil"-Interview eine Koalition mit der FPÖ auch auf Bundesebene nicht mehr ausschließen, auch andernorts werden entsprechende Stimmen laut. Auf dem Rathausplatz stellte Häupl jedoch klar, dass eine Koalition mit den Blauen im Bund nicht in Frage komme und auch Werner Faymann bleibt bei diesem Dogma, das die SPÖ seit Jahrzehnten begleitet und - bisher jedenfalls - auch geeint hat. Genau das ist aber nun anders.
Bei dieser zentralen Frage könnte vielleicht auch Franz Vranitzky eine gewisse Rolle spielen, eine moderierende nämlich. Es war immerhin der Altkanzler , der 1986 die Doktrin "keine Koalition mit der FPÖ" aufgestellt hatte. Wobei er selbst diese nach ihm benannte Doktrin als Begrifflichkeit ablehnt: "Das ist eine völlig andere Situation heute." Damals sei die wirtschaftliche Lage besser und die Arbeitslosigkeit deutlich geringer gewesen. "Wir hatten eigentlich ein in der Vorwärtsbewegung befindliches Wirtschafts- und Sozialklima."
"Über Koalitionen redet man nicht zwei Jahre vor der Wahl"
Die Entscheidung, mit der FPÖ Jörg Haiders, der 1986 die Blauen übernahm, nicht zu koalieren, habe auf zwei Gedanken beruht, betont Vranitzky: "Erstens, und das waren persönliche Erfahrungen, hatte Jörg Haider keine Handschlagsqualität. Und zweitens wollte ich mit einem, der sich nicht vom Nationalsozialismus abgrenzen wollte, keine Bundesregierung."
Und heute? "Wenn die SPÖ überlegt, das Verhältnis zur FPÖ zu überdenken, insbesondere in den Gemeinden und Ländern, dann wird man sie da nicht aufhalten können", sagt Vranitzky. Die Aussage des Altkanzlers lässt den Schluss zu, dass hier schlicht die Macht des Faktischen waltet. Die von vielen als "Tabubruch" wahrgenommene Koalition mit Blau ist im Burgenland Realität, das Thema ist somit da und geht auch nicht mehr weg. "Insbesondere, weil Vorbehalte gegen einen Partner ÖVP nicht unbegründet sind", ergänzt Vranitzky.
Der Altkanzler empfiehlt, das Thema Rot-Blau hintanzustellen. "Man sollte sich zwei Jahre vor einer Nationalratswahl nicht mit Koalitionsfragen selbst belasten. Man kandidiert ja nicht als Koalition, sondern als eigene Partei. Mein Credo war immer, alles zu unternehmen, um die eigene Partei so stark wie möglich zu machen und nicht, über Koalitionen nachzudenken. Aber vielleicht sehen das die Jungen heute anders."
Wenn man sich bei Parteifunktionären und Genossen umhört, dann ist für viele, gerade in Wien, eine Koalition mit der FPÖ undenkbar. Und zwar so undenkbar, dass eine Spaltung und zahlreiche Parteiaustritte wohl unvermeidbar wären. Vielleicht aber nicht, wenn die Doktrin umgedeutet wird. Denn dies müsste noch lange nicht bedeuten, dass die SPÖ in eine Koalition mit den Blauen zieht. Gerade auf Bundesebene gibt es nicht viele rot-blaue Gemeinsamkeiten: Die Gesamtschule und Vermögenssteuern könnte die SPÖ mit der FPÖ genauso wenig umsetzen wie derzeit mit der ÖVP. Vranitzky: "Für mich wäre jetzt das Gebot der Stunde: Lasst jetzt einmal alle Koalitionsfragen- und Streitigkeiten fallen. Sammelt Euch, stärkt Euch, einigt Euch."