Laut der Wiener Stadtregierung gibt es keinen verstärkten Zuzug nach Wien wegen der Mindestsicherung.
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Wien. Am Mittwochabend zogen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne), Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) und die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz zu Felde und appellierten an ihn, im Wahlkampf "ein Mindestmaß an Anstand einzuhalten". Die vier Politiker warfen Kurz am Beispiel der Mindestsicherung vor, "Schwachsinn" zu verbreiten.
Stein des Anstoßes dürfte vor allem die immer wieder aufgestellte Behauptung des ÖVP-Chefs sein, dass viele Flüchtlinge aus anderen Bundesländern nach Wien kommen würden, um dort von den höheren Sozialleistungen zu profitieren. "Das stimmt aber nicht", erklärten die Vertreter der rot-grünen Stadtregierung. Denn laut Rathaus-Statistik belief sich der Zuzug etwa im August 2016 (zu diesem Zeitpunkt galt noch eine bundeseinheitliche Mindestsicherungsregelung Anm.) auf 5944 Asyl- und Schutzberechtigte. Ein Jahr später - nachdem einige Bundesländer bei der Mindestsicherung Kürzungen vorgenommen hatten - waren es 6377. "Von einer Explosion kann also wirklich keine Rede sein", betonte Frauenberger. Auch eine Studie des Meinungsforschers Peter Hajek habe ergeben, dass Flüchtlinge vor allem deswegen nach Wien kommen, weil sie hier Fortbildung und Arbeit finden können.
"Verfassungswidrig"
Es sei die ÖVP gewesen, die die bundeseinheitliche Mindestsicherung zerstört habe, indem sie länderübergreifende Kürzungen verlangte, kritisierte Häupl. Für ihn sind diese Kürzungen verfassungswidrig: "Laut Bundesgesetz muss ein Mensch mit Aufenthaltstitel genauso behandelt werden, wie ein österreichischer Staatsbürger. Alles andere bedeutet Armenbekämpfung", polterte Häupl. Dass der Verfassungsgerichtshof im Juni dieses Jahres entschieden hat, dass die Kürzungen für subsidiär Schutzberechtigte zulässig sind, hat er dabei allerdings nicht erwähnt.
Jedenfalls sind die vier Politiker davon überzeugt, dass Kürzungen arme Menschen noch ärmer machen und der Gesellschaft teuer zu stehen kommen, weil damit die soziale Sicherheit gefährdet werde - Stichwort Obdachlosigkeit, Isolation, Kriminalität. Investiere man hingegen in das soziale Netz, und damit auch in die Mindestsicherung, würde die gesamte Gesellschaft profitieren - auch die Reichen, wie Frauenberger betonte.
"Eines der ersten Dinge, die Kinder lernen ist: Man tritt nicht nach unten", sagte Vassilakou. Aber genau das würden ÖVP und FPÖ machen - "und das mit einer Dreistigkeit, die mich überrascht", so die Politikerin. Im ÖVP-Programm würden sich "Milliardengeschenke" für die Reichen befinden, während man bei den Ärmsten kürzen wolle.
Dabei hätten die Ausgaben für die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Österreich in den vergangenen Jahren nur 0,5 Prozent aller Sozialleistungen ausgemacht. Und nur 10 Prozent der Bezieher in der Bundeshauptstadt bekamen laut Frauenberger die volle Höhe der Sozialleistung. 78 Prozent erhielten eine Zuzahlung, da sie zu wenig verdienen. Der Rest falle auf Dauerleistungsbezieher, die etwa auf längere Zeit nicht arbeitsfähig sind. "Das heißt, nicht die Mindestsicherung ist zu hoch, die Löhne sind zu niedrig", meinte der Bürgermeister. Aber auch hier stehe die ÖVP ständig auf der Bremse - vor allem wenn es um das Thema Mindestlohn gehe.
Die Gesamtzahl der Mindestsicherungsbezieher habe sich laut MA 40 (Soziales) nach den Anstiegen infolge der Flüchtlingsbewegung inzwischen stabilisiert. Monatlich hat sich die Zahl der Personen zwischen 140.000 und 150.000 eingependelt. Im August waren es 144.177 Bezieher, im Vergleichszeitraum des Vorjahres 142.706. Davon 70.858 österreichische Staatsbürger (2016: 70.975), 37.045 Asylberechtigte (2016: 31.187), 7155 subsidiär Schutzberechtigte (2016: 5562).
Prognosen für die kommenden Jahre konnte Frauenberger noch keine abgeben - sie erwartet die Berechnungen der eigens dafür eingesetzten Task Force Ende des Jahres. Abgesehen davon hänge die Entwicklung von den Asylverfahren ab - 83 Prozent davon dauern laut Stadträtin noch immer länger als ein Jahr. "Und derjenige, der dafür zuständig ist, nämlich Sebastian Kurz selbst, versucht uns zu belehren - das ist unerträglich", so Häupl.
"Realitätsverweigerung"
Die ÖVP zeigte sich in einer ersten Reaktion unbeeindruckt und warf der Stadtregierung "Realitätsverweigerung in Reinkultur" vor. Die Sozialleistungen in Wien seien "längst zum bedingungslosen Grundeinkommen verkommen", erklärte Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel am Donnerstag.
"In Wien leben 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung, aber 60 Prozent der Bezieher und es entstehen hier zwei Drittel der Mindestsicherungskosten", so Blümel weiter. Und diese Zahlen seien das Ergebnis rot-grüner Politik. Die Mindestsicherung solle eine kurze Überbrückungshilfe zum Wiedereinstieg sein und kein langfristiger Sozialanreiz.