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Hauptsache auskotzen

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Wenn Politiker oder andere Prominente Fehler machen, wird das Internet zu einer elektronischen Gummizelle, in der sich Hass und Aggression austoben.


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In der Politik gilt bekanntlich ein ehernes, unumstößliches und überparteiliches Gesetz: Wer die Hitze nicht gut aushält, hat in der Küche nichts verloren.

Deshalb wird sich auch ganz grundsätzlich das allgemeine Mitleid mit dem Neu-Politiker Eugen Freund ob der öffentlichen und vor allem der veröffentlichten Reaktionen auf seinen nicht eben besonders gut gelungenen Start in den Wahlkampf in recht überschaubaren Grenzen halten. "He asked for it", würden die Briten dergleichen trocken beschreiben. Wer ein politisches Amt anstrebt, der darf eben kein Träger eines Glas-Kinns sein.

Und doch sind die Aggression, der blanke Hass und die verbalen Fäkal-Ergüsse, die sich seit Tagen in den Online-Foren österreichischer Medien, in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter und all den anderen Feuchtgebieten des Internets über den auf einer intellektuellen Banane ausgerutschten Politiker ergießen, irgendwie erschreckender als dessen ungeschickte Einlassungen.

Herr Freund ist nicht der erste österreichische Politiker, dessen Fehler derartig überschießende, völlig unproportionale und unangemessene Reaktionen in der Online-Welt hervorrufen. Auch im vergangenen Nationalratswahlkampf war dieses Phänomen immer wieder zu beobachten, wobei die Hassorgien keinerlei politische Präferenzen erkennen ließen - "Hauptsache auskotzen" scheint das Motto zahlloser User und Poster zu sein.

Es ist dies, freundlich formuliert, ein ziemlich unerquicklicher Zustand, der einen immer wichtiger werdenden Bereich der hiesigen Medienlandschaft zu einem nahezu unbewohnbaren Ort macht, an dem jeden halbwegs vernünftigen Menschen schnell Übelkeit überkommt. Wenn Online-Medien zu einer Art geschlossener elektronischer Gummizelle verkommen, in der sich der Wahnsinn ungestört austoben kann, dann besteht Handlungsbedarf.

Sonst besteht nämlich nicht zuletzt die Gefahr, dass jene Generation, die gerade mit den Online-Medien als informationsmäßigen Hauptnahrungsmitteln aufwächst, derartige Formen der öffentlichen Auseinandersetzung für etwas völliges Normales hält. Flugs wäre der Hassmodus als Standardeinstellung des politischen Diskurses etabliert - eine wenig erbauliche Vorstellung.

Dass man im elektronischen Sektor der Medienwelt Erkenntnisse über den Geisteszustand eines Teils der Bevölkerung gewinnen kann, die man sich vielleicht lieber erspart hätte, liegt primär an der Anonymität, die dort auch dem widerwärtigsten Hassprediger Schutz und Unterschlupf bietet. Dass praktisch alle Medien an der Anonymität festhalten, hat natürlich ökonomische Gründe: weil sie zu höheren Reichweiten und User-Zahlen führt.

Diese Anonymität im Netz gehört aber trotzdem abgeschafft, soll dieses nicht endgültig zu einer virtuellen Klapsmühle verkommen, die kein im Vollbesitz seiner Geisteskräfte befindlicher Mensch freiwillig betreten würde.

Anonyme Hassbriefe durchgeknallter Psychos landeten früher ja auch im Papierkorb - einen guten Grund, sie online öffentlich zu machen, gibt es nicht.

ortner@wienerzeitung.at