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Die Sorge um den Multilateralismus geht um. So nennt man im Völkerrecht, wenn drei oder mehr Staaten gemeinsam ein alle betreffendes Thema behandeln, sei dies nun der Weltfriede oder der Klimaschutz, Handelsfragen oder Produktionsstandards und jetzt eben Migration. Das Problem ist nun, dass ausgerechnet zu einem Zeitpunkt der Weltgeschichte, an dem die objektive Notwendigkeit gemeinschaftlichen Handelns nie größer war, sich die praktischen Möglichkeiten für ein multilaterales Vorgehen tendenziell verschlechtern.
Das hat zuvorderst mit einer politischen Dynamik zu tun, die dazu führt, dass Eliten jeglicher Art das Recht abgesprochen wird, über die Köpfe der Bürger hinweg solche Abkommen zu schließen. Und weil solche Bemühungen um Einbindung maßgeblich durch die Strukturen nationaler Politik bestimmt werden, ist in der Forderung nach einem direktdemokratisch legitimierten Multilateralismus früh ein Scheitern angelegt. Natürlich gibt es Ideen, diese nationale Logik durch eine dem Thema adäquate transnationale Perspektive der Demokratisierung zu erweitern; wirklich vom Fleck gekommen sind solche Ansätze bisher jedoch nicht. Und wenn dereinst doch, werden sich mit Sicherheit neue Fragen der Legitimation stellen.
Das Phänomen Donald Trump steht dazu nicht im Widerspruch. Der US-Präsident ist selbst Teil der Elite; dass er trotzdem in Serie Abkommen per Federstrich für nichtig erklärt, passt ins Bild, inszeniert sich Trump doch als Waffe seiner Wähler.
Losgelöst von den Themen und der je dahinterstehenden Moral, sind in Europa die Mechanismen beim Kampf gegen einen als elitär empfundenen Multilateralismus oft verblüffend ähnlich (auch wenn dies die Betroffenen selbst wütend von sich weisen): Aktivisten nehmen ein im Entstehen begriffenes Abkommen ins Visier, sei dies nun ein Handelsabkommen wie Ceta oder jetzt der UNO-Migrationspakt, und mobilisieren in den sozialen Medien, starten Unterschriftenlisten und aktivieren wissenschaftliche Expertise; so ausgestattet, drängen sie in den medialen Mainstream, zunächst auf den Kommentarspalten für Gastautoren, später in den redaktionellen Bereich.
Je nach Thema und Breitenwirksamkeit steigen die Parteien auf den fahrenden Zug. Meistens sind es die Flügel, also FPÖ und Grüne, die aufgrund ihrer Nähe zu den Aktivisten als Erste das Anliegen für sich entdecken, das muss aber nicht so sein.
Ab diesem Moment hat es ein Abkommen schwer, weil meistens die Gegner mehr politische Energien zu mobilisieren imstande sind als die Befürworter. Wie unter diesen Bedingungen Multilateralismus funktionieren und handlungsfähig bleiben kann, ist schwer vorzustellen.