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Hausarztausbildung - Theorie und Praxis

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Auf dem Papier ist die Ausbildung von Hausärzten gar nicht schlecht. Aber Papier ist geduldig und die Praxis eben ganz anders - auch wenn das einige nicht einsehen wollen.


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Die Idee ist bestechend. Da ein Hausarzt über breites Wissen verfügen soll, soll er eine breite Ausbildung genießen. Um das zu erreichen, gibt es den Turnus. Das ist eine Zeit, in der Jungärzte nach dem theoretischen Studium in möglichst vielen unterschiedlichen Spitalsabteilungen die Praxis lernen sollen.

Und so muss man, will man Hausarzt werden, in einer Abteilung für Innere Medizin mindestens ein Jahr bleiben. Für Chirurgie, Frauen- beziehungsweise Kinderheilkunde sind je zumindest vier, für Neurologie, HNO und Dermatologie jeweils zwei Monate vorgeschrieben; und dann kann man sich zwei weitere Fächer wie Orthopädie, Augen- oder Lungenheilkunde aussuchen, da muss man je drei Monate bleiben. Macht zusammen wenigstens drei Jahre, nach denen man ein fertig ausgebildeter Hausarzt sein sollte - theoretisch.

Das Konzept stammt aus der Nachkriegszeit. Damals war es vermutlich zielführend. Das medizinische Wissen betrug verglichen mit heute nicht einmal ein Hundertstel (!) und die Spezialisierung war noch rudimentär. Es war durchaus möglich, innerhalb von zwei Monaten genug über Neurologie zu lernen, um für den hausärztlichen Alltag gerüstet zu sein. Heute ist das anders. Und nur nebenbei: Im internationalen Vergleich dauert die Ausbildung zum Hausarzt bei uns am kürzesten. Alleine das sollte Hinweis genug sein, dass irgendetwas nicht stimmt.

In der täglichen Praxis ist es dann noch viel schlimmer.

Die Medizin ist eben hochkompliziert geworden. Es ist für jede Spitalsabteilung schwierig genug, mit dem medizinischen Fortschritt Schritt zu halten. Um das auch nur irgendwie hinzubekommen, muss jeder Abteilungsleiter versuchen, aus seinen fix angestellten Ärzten ein Team zu bilden, damit Aus- und Fortbildung auf alle verteilt wird und Neues möglichst rasch auch von allen in der Praxis gelebt werden kann.

Und dann kommt der Turnusarzt daher - er wird ein paar Monate bleiben und dann wieder verschwinden. Wie viel Energie wird wohl darauf verschwendet werden (können), ihn wirklich in dieses Team einzubinden? Noch dazu ist das Niveau, das der Turnusarzt mitbringt, naturgemäß weit von der täglichen Praxis entfernt - schließlich ist er ja blutiger Anfänger. Und so ist es meistens (nicht überall!) Usus geworden, dass seine Ausbildung eben "mitläuft".

Am Ende, und das zeigt die tägliche Praxis, wird für den Turnusarzt nur die Arbeit übrig bleiben, die die höchste Entlastung für die Kernmannschaft (inklusive dem Pflegepersonal) darstellt - und das sind system erhaltende Routinearbeiten, die mit Ausbildung nichts zu tun haben: Patienten aufnehmen, Blut abnehmen, Infusionen anhängen, Spritzen geben und Bürokratie erledigen. Und das macht der Turnusarzt dann in jeder Abteilung, die er durchlaufen muss.

So ist er vom Auszubildenden zum Systemerhalter geworden. Und weil der Stundenlohn sogar unter dem einer diplomierten Pflegekraft liegt, gleich auch zu einem billigen. Die Folge davon ist, dass - ähnlich der Zwangsarbeit im Zivildienst, ohne die Rettung oder Alten- und Behindertenbetreuung nicht funktionierte - die Spitäler ohne die Arbeitskraft der Turnusärzte nicht mehr betrieben werden könnten. So ist es auch zu verstehen, dass jene, die eine Spitalsreform für überflüssig halten (vom Gesundheitsminister bis zu den Landeshauptleuten), mit diesem Ausbildungssystem zufrieden sind. Dass einige allerdings öffentlich behaupten, so gut ausgebildete Hausärzte zu produzieren, ist schon Chuzpe.

Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheits ökonom und Publizist.