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Hausgemachte Krieger

Von Simon Rosner

Politik
In sozialen Netzwerken werden die getöteten Jihadisten zu Märtyrern - und Teil der Propaganda .
© youtube

Der Verfassungsschutz registrierte eine deutliche Zunahme an Jihadisten, die aus Österreich in den syrischen Bürgerkrieg fuhren.


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Wien. Wer sucht, der findet in den unbegrenzten Weiten des Internets; Videos von gefallenen Syrien-Kämpfern, Märtyrern, wie die Titel der Videos verheißen. Es sind grauenvolle Dokumente aus dem Bürgerkrieg vor den Toren Europas, der vermutlich bereits mehr als 100.000 Todesopfer gefordert hat. Die Bilder der toten Kämpfer sind häufig mit Fotos aus ihrem Vorleben ergänzt, bevor sie Jihadisten wurden. Fröhliche Menschen bei der Arbeit, Familienfotos, und dazwischen: Kinder und Jugendliche. Ein Foto zeigt sie lachend, das andere tot.

Es sind auch solche Videos, die als Propaganda dienen, denn die Bilder zeigen die Getöteten mit seligen Gesichtsausdrücken, "smiling martyrs" steht daneben. Wie Martin Weiss vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus (BVT) berichtete, sind derzeit rund 2000 Personen aus Europa als Kämpfer in Syrien, aus Österreich mehr als 100 - mit gegenwärtig steigender Tendenz.

Der syrische Bürgerkrieg stellt den Verfassungsschutz vor neue Herausforderungen. Auch früher, nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York, sind Menschen aus Österreich aufgebrochen, um in Afghanistan oder Pakistan zu kämpfen, aber nur einzelne. Syrien ist deutlich näher, besser erreichbar und die finanziellen Aufwendungen, in die Kampfgebiete zu gelangen, sind deutlich geringer. Dazu kommt die verstärkte Nutzung sozialer Medien mit ihren Propagandavideos, teilweise auch auf Deutsch und Englisch, zur Rekrutierung junger Kämpfer.

Der größte Teil der aus Österreich nach Syrien reisenden Personen stammt aus Südosteuropa und dem Westbalkan. Dort, vor allem in Bosnien-Herzegowina, hätten sich als jüngste Entwicklung radikal-islamische Dörfer gebildet, deren Lebensart durch die Ablehnung westlicher Werte geprägt sei, erklärte BVT-Chef Peter Gridling. Diese Dörfer hätten auch Zulauf aus Österreich.

44 Rückkehrer aus Syrien in Österreich

Zwar bezeichneten die Verfassungsschützer im Rahmen der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2014 Österreich als "grundsätzlich sicheres Land", doch die steigende Anzahl der Syrien-Kämpfer gibt Anlass zur Besorgnis und erfordert auch Gegenstrategien, wie Konrad Kogler, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, betonte. Als Beispiel wurde das jüngste politisch motivierte Attentat im Jüdischen Museum in Brüssel genannt. Auch hier hatte der Mörder einige Zeit im syrischen Bürgerkrieg gekämpft.

Aktuell gibt es in Österreich 44 Rückkehrer aus Syrien, die meisten von ihnen wurden sofort nach ihrer Ankunft vom Verfassungsschutz befragt und angezeigt. In zehn Fällen wurden die Verfahren eingestellt, da den Beschuldigten die Mitgliedschaft in einer konkreten Terrorgruppe nicht nachgewiesen werden konnte. Es gab bisher eine Verurteilung.

Noch in diesem Jahr soll im Innenministerium eine "De-Radikalisierungsstelle" eingerichtet werden, an die sich Verwandte und Freunde von Personen wenden können, die, wie es Kogler formuliert, in eine Radikalisierungsschleife geraten sind. Schon einige Zeit läuft bereits eine Kooperation mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, um Radikalisierungsbiografien zu entschlüsseln.

Justizanstalten als Nährboden der Radikalisierung

Als Nährboden wurden so etwa auch Justizanstalten identifiziert, was zu einem Handbuch und zu Schulungen für Justizwachebeamte führte, um frühzeitig Radikalisierungstendenzen zu erkennen. Zusammenarbeit gibt es auch mit privaten Vereinen sowie öffentlichen Stellen wie dem Arbeitsmarktservice. Dabei versucht der Verfassungsschutz aktiv Maßnahmen zu setzen, um bei Jungen (meist jungen Männern) Perspektivenlosigkeit zu verhindern, die sich meist auch als eine Etappe auf dem Weg zu einer Radikalisierung findet.

Wie schon im Vorjahr ist jedenfalls der radikale Islamismus einer der Schwerpunkte im Bericht der Verfassungsschützer, von ihm gehe auch das größte Bedrohungspotenzial aus.

Mehr Anzeigen bei rechts- und linksextremen Straftaten

Angestiegen sind auch die Anzeigen wegen rechts- sowie wegen linksextremistischer Straftaten. Im ersten Fall verwies BVT-Chef Gridling auf die vom Ministerium eingerichtete Hotline, die es nun ermöglicht, anonym Hinweise zu geben, sowie auf die Zunahme einschlägiger Handlungen im Internet. Insgesamt stieg die Zahl rechtsextremistischen Anzeigen von 920 auf 1027.

Eine noch deutlichere Zunahme war bei linksextremistisch motivierten Straftaten zu verzeichnen - von 198 auf 411 Anzeigen, wobei Anzeigen im Zuge der Ausschreitungen beim Akademikerball im Vorjahr für den Großteil dieses Anstiegs verantwortlich waren. Allein 107 der 112 Anzeigen aufgrund des Sicherheitspolizeigesetzes gehen auf die Krawalle bei den Demonstrationen zurück.

Laut Gridling müsse aber in Zukunft mit einer Polarisierung gerechnet werden (und damit wohl mit einem weiteren Anstieg der Anzeigen). Gridling verwies auf den Trend einer "neuen Rechten" in ganz Europa, die sich nun auch erstmals in der Öffentlichkeit zeige, wie etwa beim Marsch der "Identitären" durch Wien in diesem Mai. Dabei war es auch zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten und der Polizei gekommen. 37 Personen waren damals vorübergehend festgenommen worden. Sie werden sich im kommenden Jahr in der Statistik der Verfassungsschützer wiederfinden.