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Hautfarbe als Kriterium?

Von Bernhard Baumgartner

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Die Dichterin Amanda Gorman wurde mit ihrem Gedicht "The Hill We Climb", das sie auf der Inaugurationsfeier von US-Präsident Joe Biden vortrug, schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die junge schwarze Amerikanerin schaffte es, den Moment, den viele als Befreiung ansahen, in die passenden Worte zu kleiden. Nun gibt es bei den Übersetzungen des Gedichtes Probleme. Denn Gorman hat sehr genaue Vorstellungen davon, wer das Gedicht übersetzen soll. Eines ist nach zwei Fällen des Entzugs des Übersetzungsauftrages klar: Das Gedicht soll nicht von einem Weißen übersetzt werden. Der Niederländerin Marieke Lucas Rijneveld, einer preisgekrönten Übersetzerin, wurde der Auftrag ebenso entzogen wie dem weißen katalanischen Übersetzer Victor Obiols. "Sie haben mir gesagt, ich wäre nicht passend. Sie wollten nicht meine Fähigkeiten infrage stellen, aber suchten nach jemandem mit einem anderen Profil, vorzugsweise einer jungen, aktivistischen, schwarzen Frau", zitierten Medien Obiols. Dieser zeigte sich irritiert: "Wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie eine junge, schwarze Frau ist, kann ich auch nicht Homer übersetzen, weil ich kein Grieche des 8. Jahrhunderts bin."

Diese Überlegungen haben etwas für sich. Zudem haben wir jahrzehntelang etabliert, dass Hautfarbe und Geschlecht keine Rolle bei der Auswahl von Anwärtern für einen Job spielen sollten. Sicher, Gorman hat das Recht, bei der Auswahl der Übersetzer mitzubestimmen. Problematisch scheinen ihre Wünsche dennoch.