Forscher bezweifeln den Stellenwert des Pigmentverlusts für das Überleben im Norden.
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San Francisco/Wien. Warum gibt es unterschiedliche Hautfarben?
Schon Charles Darwin beschäftigte die Fragestellung. Der britische Naturforscher schrieb diese Entwicklung in der Evolution der sexuellen Selektion zu: Menschen würden Personen ähnlichen Hauttyps als Partner bevorzugen. Im Jahr 2000 formulierten dann die US-Anthropologen Nina Jablonski und George Chaplin die These der natürlichen Selektion. Auch weil sie so logisch erscheint, gilt sie als allgemein akzeptiert. Demnach bietet die Hautfarbe einen Überlebensvorteil im jeweiligen geografischen Lebensraum. Ein hoher Anteil von Eumelanin in der Haut, das für die dunkle Hautpigmentierung sorgt, schützt vor zu viel UV-Strahlung (die Pigmente werden auch Melanine genannt). Ist die UV-Strahlung aber gering, hilft ein hoher Phäomelaninanteil - also eine helle Haut - bei der Produktion des Hormons Vitamin D, das die Knochen gesund und das Immunsystem am Laufen hält.
US-Wissenschafter der University of San Francisco bezweifeln nun die anerkannte Theorie. Sie sind nicht der Ansicht, dass Veränderungen im Hautpigment zwingend nötig sind, um auch bei weniger Sonnenlicht ausreichend Vitamin D zu erzeugen. Ohne Zweifel sei diese Fähigkeit ganz wichtig. "Doch die Pigment-Theorie hat Schönheitsfehler. Dunkelhäutige Menschen können nämlich Sonnenlicht genau so effizient in Vitamin D verwandeln wie Hellhäutige", betonen die Forscher um den Dermatologen Peter Elias im Fachjournal "Evolutionary Biology". Neuen Studien zufolge seien Dunkelhäutige sogar weniger anfällig für Osteoporose, der ein Vitamin D-Mangel zugrunde liegt.
Weiters seien die Anzeichen für ein Nord-Süd-Gefälle der Eumelanin-Mutationen schwächer als Hinweise auf eine Selektion zugunsten der Hautfunktion. Demnach musste die Hautbarriere, die den Körper vor Hitze, Kälte, Wasser, Trockenheit oder dem Wetter schützt, im kalten Nordeuropa anderen Anforderungen standhalten als im warmen Afrika. Und laut den Forschern war diese Tatsache für Veränderungen der Hautfarbe gewichtiger als Vitamin D.
Zuvor hatte Elias die Funktion Haut als Barriere gegen Wasserverlust im Körper untersucht. Im Zuge dessen hatte er sich auf das Protein Filaggrin konzentriert, das beim Verhornungsprozess der Haut eine Rolle spielt. Das Eiweiß spaltet sich das sich in ein Molekül namens Urocansäure auf. Urocansäure ist ein potenter Schutz vor UVB-Strahlung, die einerseits Sonnenbrand und weißen Hautkrebs verursachen kann, andererseits aber der Rohstoff für die Vitamin D-Erzeugung ist. Das Interessante daran: "Das Molekül schützt die Haut noch stärker vor Sonnenlicht als Melanin bei dunkelhäutigen Menschen", so Elias.
In der nun veröffentlichten Studie konnten die Forscher einen signifikant hohen Anteil angeborener Mutationen des Filaggrin-Gens bei nordeuropäischen Bevölkerungsgruppen nachweisen. Mutationen des Gens haben einen Verlust an Urocansäure zur Folge, was ganz zwangsläufig einen höheren Vitamin D-Spiegel erlaubt. Bis zu zehn Prozent der Testpersonen hatten solche Mutationen. Viel niedriger war die Mutationsrate bei südeuropäischen, asiatischen und afrikanischen Bevölkerungen.
Proteine, die der Mensch nicht mehr braucht
Das Mehr an Sonnenlicht verlangte den Nordeuropäern allerdings einen Preis ab. Menschen mit Filaggrin-Mutationen neigen nämlich zu trockenerer Haut. Sie sind anfälliger für Asthma, Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien. Diese Erkrankungen seien aber aus der Sicht der Evolution nicht alt, betont Elias. Als der Mensch vor 60.000 Jahren Afrika verließ, war die Problemstellung anders gelagert als heute: Eine stark pigmentierte Haut bot eine robuste Barriere gegen Infektionen und Durst und schützte vor Schädigungen der Schweißdrüsen und der Zerstörung von Folsäure, die für die Entwicklung des Fötus nötig ist. In nördlichen Klimazonen mussten diese ausgeprägten Fähigkeiten dann dem Bedarf nach UVB-Licht weichen.
Warum die Nordeuropäer Melanine verloren haben, erklärt Elias mit dem Energiehaushalt: "Die Haut verlor an Farbe, damit der Mensch seinen Stoffwechsel aufrecht erhalten konnte. Warum sollte der Körper Proteine herstellen, die er nicht mehr braucht?