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Hebamme trifft Totengräber im Museum

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Reflexionen
Kersting: Junge Frau, beim Schein einer Lampe nähend (Ausschnitt)
© Privat

Auch in der Nacht wird gearbeitet - und die Kunst kommt um dieses Thema natürlich nicht herum.


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Viele von uns kommen nächtlich auf die Welt und unsere Mütter werden von Hebammen, Ärzten und Krankenschwestern begleitet. Trotzdem schweift beim Gedanken an die Nachtarbeit die Fantasie meist in die dunklen Gefilde einer "Halbwelt" ab - bestenfalls ins Theater, die Bar oder ein Nachtcafé. Mehr noch, durch Urängste geprägt, vermischen sich alte und moderne Welt, tauchen Diebe, Schmuggler, Spieler, Zuhälter und Prostituierte im Dienst der jugendlichen "Nachtschwärmer" auf. Das meist im Fernsehkrimi nur fiktiv als Gruseln gegen Langeweile. Die Fotografen, die eine ehemals männliche Domäne des Flaneurs, den dunklen Stadtraum für einsame Eroberer, in Schwarzweiß aufs Papier bannten, sind schon Geschichte. Nach der Ablöse des Nachtwächters durch den Wachmann ist die Polizei nur mehr selten an den Orten des Nachtlebens zugegen - Überwachungskameras erlauben die Aufsicht von ferne.

Nach der Schichtarbeit im Industriezeitalter, festgehalten von Adolf Menzel im Gemälde "Eisenwalzwerk", sind wir in der Non-Stop-Zivilisation angekommen, die alles in Bewegung hält. Angst müssen wir vor zu viel Licht und Lärm für den erholsamen Schlaf haben, nicht mehr vor der Dunkelheit. Nichts läuft ohne U-Bahn- oder Taxifahrer, Piloten, Müllabfuhr, Nachtarbeit in mit glitzernder Ware einladenden Geschäften, selbst in Museen zwischen Kunst nächtigen ist neuerdings angesagt. Und auch abendliche Unterhaltung lebt von Sängern, Musikern, Schauspielern, Tänzern oder Kabarettisten. Die Straßenbeleuchtung hat das rege Nachtleben ermöglicht, denn in der Zeit vor der französischen Revolution konnten nur die Aristokraten sich viele tausend Kerzen, Fackeln und Laternen als Festbeleuchtung leisten. Als Luxus dazu holte man sich Feuerwerker im Barock aus dem fernen Osten und erfand die Oper.

Der Erlass Ludwig XIV. 1667 Paris mit 6500 Laternen zu beleuchten, kostete über 800 Kilogramm Kerzen pro Nacht. In London übernahm diese neue Produktion ein Privater, doch nach einem Streit mit der Kerzenzieherzunft war es 1694 - 1716 wieder dunkel, bis auf kleine Feuer an Straßenecken - die kannte schon die antike Stadt. 1736 leuchteten dann Öllampen, auf die Modernisierung mit Gaslicht folgte 1866 die Lichtbogenlampe vor der nun abgelösten Glühbirne. Immer starben Berufe aus und neue entstanden. Zuerst der Nachtwächter, dann der Laternenanzünder, den "Torschluss" der vorneuzeitlichen Städte gibt es nicht mehr, Wachttürme sind durch allgegenwärtige Videokameras ersetzt, die von einer Zentrale kontrolliert werden können wie die Bewegung der Flugzeuge am Nachthimmel durch die Lotsen. Der Spion wurde, obwohl schon im alten Ägypten beschrieben, ein Relikt des "Kalten Krieges" nach 1945, heute gibt es ihn vor allem in den dunklen Weiten des Internets. In dieser virtuellen Nacht eröffnet der Computer neue Plattformen für Entblößung von Gefühlen des einsamen Menschen.

Illegale Nacharbeit

Im Mittelalter war die Nachtarbeit illegal - außer dem Gebet der Mönche war nur die nächtliche Fischerei gestattet, und auch Bäcker, Schmied, Schuster und Schneider hatten Sondergenehmigungen. Bauern durften am Vorabend von Markt oder Messe ihre Stände in den Städten aufbauen. An sich galten nächtliche Geschäfte als "Werke der Finsternis", die notwendigen Kloakenräumer als übel riechende "Nachtleute" wurden ironisch "Nachtkönige" genannt. Totengräber verbargen ihr Tun im Dunkeln, der Abtransport von Leichen ist nächtlich geblieben, das Sterben in Hospize ausgelagert. Psychiater bedienen eine andere Nacht im Menschen und haben Hochkonjunktur in unserer oft schlaflosen Gesellschaft nach früheren Traumdeutern und Wahrsagerinnen.

Doch schon die Arbeit der Schamanen als Priester der Prähistorie in bemalten Höhlen wie Lascaux fand im Dunklen mit kleinen Öllampen statt. Sie waren bemüht, die jahreszeitliche Rückkehr der Tierherden vor Bildern von Bison und Rentier magisch zu beschwören. Lange schon haben Sterngucker und Deuter der Himmelslichter ihre Stunde, erste Astronomen saßen bereits mit Vergrößerungslinsen auf dem Turm von Babylon, später übertrug sich der nächtliche Fleiß des Wissenschafters auf den ganzen Berufsstand, wie auch auf die Künstler. Es heißt immer noch "Abendakt", denn die Kunstakademien waren anfänglich nur abends tätig, denn am Tag wurde an den Aufträgen in Werkstätten gearbeitet. Michelangelo mit der selbst gebastelten Stirnlampe am Gerüst in der Sixtinischen Kapelle machte aus der "Lucubratio" (dem seit der Antike gelobten Nachtfleiß) die heroische Tugend des männlichen Genies und Leonardo betrieb geheim nächtens Anatomie. Naturwissenschaft musste sich in der Dunkelheit vor den Inquisitoren verbergen.

Frauensache

Es waren vor allem Frauen, die notwendige, banale Hausarbeiten nächtlich verrichten mussten, doch was ist Pflegen, Spinnen, Wäschewaschen und Kleiderstopfen gegen den großen Gedanken oder Pinselstrich, den verbotenen Schnitt unter die Haut? Vom römischen Kaiser Augustus bis zu den hell erleuchteten Fenstern von "Väterchen Stalin" galt auch der Politiker als nächtlich über sein schlafendes Volk wachender Denker. Das Licht brannte auch zum Argwohn der katholischen Kirche in den Tempeln geheimer Bruderschaften, die ab der Aufklärung als "Freimaurer" illustre Männerrunden bilden. Die erste weibliche "Loge" in Mozarts Zeiten aber nannte man verächtlich "Die Möpse".

Bis zum 20. Jahrhundert konnten "ehrbare" Frauen im "bürgerlichen Zeitalter" nicht ohne Begleitung und Kopfbedeckung auf die Straßen, alle anderen galten als "gefallene Mädchen", die dem oft fälschlich als ältestes Gewerbe bezeichneten Beruf der Sexdienerinnen angehörten. Nur in der Literatur ist ihr Leben - wie das der Prostituierten "Nana" bei Emile Zola - selbstbestimmt. Die ausbeutende Nachtarbeit haben wir in arme Länder ausgelagert, im Nachtasyl der Heilsarmee, den Spitälern oder den Frauenhäusern spielen Frauen bis heute anonyme Hauptrollen, anders als Akrobatinnen im Zirkus, die Operndiva oder Primaballerina. Auch wenn das Nachtleben bis ins 19. Jahrhundert von Männern gelenkt war, galt ihre nächtliche Jagd meist dem anderen Geschlecht. Also mussten die Frauen den "Tanz am Rande des Vulkans" begleiten, Gefallen am Schlaglicht auf dunkler Bühne gestand ihnen erst das 20. Jahrhundert zu. Davor machte der Symbolismus die Frau zur Teufelin, mörderischen Femme fatale, das Bild der bösen Frau verdeckte die Angst vor Syphilis.

Im Alltag drehte sich die Welt nur in der Zeit des Karnevals um, Nacht wurde Tag, Rollentausch war möglich, auch für Frauen und die ärmere Bevölkerung das Ventil zum Ablassen aufgestauter Zwänge - nicht nur die religiösen Abweichler von Ketzern bis Hexen, auch die Revolutionäre waren da vor gesellschaftlichen Ordnungshütern geschützt.

Romantische Geschichtenerzähler erzeugten aus der Subkultur der "Nachtvögel" vielfältige Liebesgeschichten, die später die Filmnächte aus Holly- und Bollywood erfassten und unseren vielen TV-Sendern die rosa Brille weiterreichten. Die Welt der Zauberer, Alchemisten und Schatzjäger bildet ein weiteres Fantasygenre, selbst Diebe wurden ab dem 19. Jahrhundert sozial engagierte Heldenfiguren, Robin Hood erlebte seine Wiederkehr als moralische Instanz.

Nun streben wir in unseren regionalen Welten, die von nächtlichem Irrationalismus und globalen Nachtkriegern nicht frei sind, eine relative Demokratisierung der Nachtwelt an. Doch die kriminellen Mittel des Terrorismus eröffnen nicht nur neue Spionagefelder, sie rauben uns wieder den Schlaf, denn die verhüllten Gesichter gedungener Mörder sind subtileren Tarnungen gewichen. Der Schleier spukt als Requisit nächtlicher Metaphern durch unsere Köpfe. Wir konnten den nächtlichen Kontinent nicht kolonialisieren, Glocken halfen auch im Mittelalter nicht gegen böse Geister. Richter der Mitternacht mit eigenen Befugnissen gibt es zwar nicht mehr, aber die Kontrolle nimmt zu - nicht nur über Schließzeiten der Schanigärten nachts verhängen wir neue Regeln für das Spiel des Partyvolks. Dem Lustmordskandal eines Jack the Ripper um 1888 in London können wir nach hundert Jahren einen sich perfekt selbst inszenierenden Prostituiertenmörder hinzufügen.

Helle Nächte

Dass Schlaf früher auch aus Gründen der Sicherheit vor Dieben und Feuer in Stadt und Land unterteilt stattfand, ist nahezu vergessen. Der "Mondmann", ein Lakai mit kugelförmiger Laterne, ist der Security gewichen, die anonyme Telefonseelsorge ersetzt die Abendrunde rund um Geschichtenerzähler. "Torschlusspanik" interpretieren wir in dieser Isolation völlig neu. Wir reden alle von Störung unserer durch Lichtsmog erhellten Nächte, die Angst vor der Dunkelheit außen ist aber der in uns gewichen. Auch nach der "Traumdeutung" ist der Mensch noch des anderen Wolf. Eine Stille ohne Verkehrsrauschen kann uns sehr ängstigen, weshalb wir auch das Bereitschaftspersonal für zeitweiliges Reisen und Herumtreiben nicht missen wollen. Daheim dringt aus den Nachbarwohnungen allabendlich das bläuliche Licht der Bildschirme; "lunatisch" können wir kaum mehr werden, denn das Mondlicht dringt nur mehr als Zwielicht in unsere Stadtwelt. Nicht nur Esoteriker halten aber am Einfluss des Erdtrabanten fest, auch Wetterforscher und Gynäkologen haben da noch immer Interessensgebiete.