Vizebürgermeisterin Birgit Hebein im Interview mit der "Wiener Zeitung" über die Corona-Krise und Klimaschutz.
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Die Wiener Vizebürgermeisterin, Birgit Hebein (Grüne), sieht in Investitionen in den Klimaschutz eine Chance, der Stadt in der Krise sowohl wirtschaftlich als auch sozial zu helfen. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt sie, welche Maßnahmen gesetzt werden und warum es noch zu früh für den Wahlkampf ist.
"Wiener Zeitung": Wir haben es geschafft, die harte Zeit ist vorbei. Im Augarten sieht man die Leute wieder so wie vor der Krise beisammensitzen. Beruhigt Sie das, oder beunruhigt es Sie?Birgit Hebein: Ich kann gut nachvollziehen, dass nach diesen restriktiven Maßnahmen ein Gefühl von Freiheit bei den Menschen wieder da ist. Gerade in einer Großstadt wie Wien muss allen Menschen Raum zur Verfügung stehen. Daher müssen wir wieder Platz schaffen und Straßen sowie Parks öffnen. Wir befinden uns aber noch mitten in der größten Krise der letzten Jahrzehnte. Und in der dürfen wir niemanden übersehen und müssen entsprechende Hilfsmaßnahmen setzen, von Ein-Personen-Unternehmen über Künstlerinnen bis hin zu arbeitslosen und obdachlosen Menschen.
Welche werden die nächsten Schritte sein, die Wien setzen wird?
Es wird in erster Linie darum gehen, als Stadt Wien in die Infrastruktur zu investieren, und dabei müssen wir den Klimaschutz wieder hinter dem Vorhang hervorholen. Die Klimakrise hat keine Pause gemacht. Neben der notwendigen CO2-Reduktion geht es auch um radikale Abkühlungsmaßnahmen - von der Schaffung von Begegnungszonen über Baumpflanzungen, Platz zu schaffen und Regionalisierung, sprich: eine Stadt der kurzen Wege zu schaffen. Die Wiener Bevölkerung soll in einem Radius von 15 Gehminuten eine umfassende Nahversorgung und benötigte Dienstleistungen erhalten. Diese Kombination, die Schaffung von Green Jobs und eine Stadt der kurzen Wege, halte ich für optimal.
Was schwebt Ihnen bei dieser Kombination konkret vor?
Es ist bekannt, dass Investitionen in den Klimaschutz besonders beschäftigungswirksam sind. Der Ausbau der Schiene beziehungsweise des öffentlichen Verkehrs schafft um zwei Drittel mehr Jobs als beispielsweise der Ausbau von Autobahnen. Ähnliche Zahlen haben wir im Bau von Radwegen und Fußgängerzonen. Das heißt, diese Stadt ist als Investor fulminant wichtig. Investitionen in Photovoltaik und thermische Sanierungen etwa fallen auch in diese Kategorie. Diesen Plan auf den Tisch zu legen, wird im Konjunkturpaket wesentlich sein.
Müsste man nicht gerade in Corona-Zeiten den Mobilitätsmix zugunsten der Kraftfahrzeuge überdenken? Immerhin ist man im Auto vorbildlich isoliert und geschützt.
Wir haben im April den größten CO2-Ausstoß seit mehr als 100 Jahren gemessen. Wir tragen Verantwortung für die nächsten Generationen. Alle Verkehrs- und Klimaexperten sagen, dass gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem es zu einem Rückfall hin zu Autoverkehr kommen könnte. Da braucht es alternative Angebote. Im Zuge der schrittweisen Öffnung müssen wir zusehen, dass wir den öffentlichen Verkehr entlasten und den Umstieg auf das Fahrrad erleichtern. Das ist eine wichtige Alternative im Sinne aller Beteiligten. Autos blockieren 67 Prozent des öffentlichen Raums. Es ist mein Ziel, diesen Platz der Bevölkerung, speziell den Kindern, zurückzugeben und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Apropos CO2-Ausstoß: Die Bilanz der Luftverschmutzung in Wien ist durchwachsen. Manche Tage waren besser, manche schlechter als im Vorjahr. Das, obwohl im April besonders wenige Autos unterwegs waren. Bemühen wir uns da umsonst?
Nichts zu tun, ist für mich keine Alternative. Es führt kein Weg daran vorbei, massiv in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Wien gehört zu den Städten, die von der Klimakrise am meisten betroffen sind. Wenn wir nichts tun, sagen Wissenschafter, heizt sich die Stadt bis 2050 um sieben bis acht Grad auf. Da müssen entsprechende Maßnahmen gesetzt werden. Wien zur Klimahauptstadt machen - das ist mein Ziel.
Mit welchen Maßnahmen?
Wir haben eine Baumoffensive gestartet, temporäre Begegnungszonen und Radwege geschaffen. Wir bereiten 18 coole Straßen vor, die über die nächsten Wochen geschaffen werden. Davon sollen zunächst einmal fünf dauerhaft bleiben und später weitere. Wir arbeiten an 37 Radprojekten. Wir prüfen gerade eine eigene Fahrradspur für die Prager und die Wagramer Straße. Ich bleibe dabei: Ich will doppelt so viele öffentliche Verkehrsmittel und halb so viele Autos - an dem führt kein Weg vorbei.
Kritiker werfen der Bundesregierung vor, gezielt Angst und Schrecken verbreitet zu haben. Gehören Sie auch zu diesen Kritikern?
Die sinkenden Zahlen der Corona-Erkrankten zeigen, dass die Maßnahmen der Bundesregierung der richtige Weg waren. Dass eine schrittweise Öffnung schwieriger ist als das Schließen, kann ich ein Stück weit nachvollziehen.
Rückblickend: Wie war eigentlich die Zusammenarbeit in der Corona-Krise?
Für so eine Bilanz ist es noch zu früh. Es ist der falsche Zeitpunkt, mitten in der Corona-Krise Wahlkampf zu führen.
Zwischen den Grünen und der ÖVP gibt es ja grundsätzlich ein gutes Verhältnis. Sie haben auch gemeinsam mit Frau Minister Elisabeth Köstinger die Wiederöffnung der Bundesgärten verkündet. Warum haben Sie dann eine Koalition mit der ÖVP auf Stadtebene ausgeschlossen?
Da muss ich Sie korrigieren. Ich wurde gefragt, ob ich Ambitionen habe, mit der türkisen Partei zu koalieren. Und meine Antwort war: "Nein." Das aus einer progressiven Grundhaltung heraus. Ich bin überzeugt, dass wir Grünen der Stadt guttun. Wir setzen viele Initiativen und haben vom ersten Tag an eine grundprogressive Haltung. Und ja: Ich sehe, dass die rot-grüne Politik für Wien wertvoll ist.
So wie es aussieht, möchte auch die SPÖ gerne wieder mit den Grünen koalieren, aber lieber ohne Sie. Woran könnte das liegen? Empfinden Sie das als Auszeichnung?
Ich stehe dafür, dass niemand zurückbleibt und dafür, Wien zur Klimahauptstadt zu machen. Veränderung ist manchmal unangenehm, aber da habe ich eine klare Haltung. Aber momentan ist nicht der Zeitpunkt, in den Wahlkampf einzusteigen. Wir sind noch mitten in einer Corona-Krise. Jetzt geht es um existenzielle Sorgen, um Arbeitslosigkeit, um Sicherheitskonzepte und darum, niemanden zu übersehen und gemeinsam mit der Bundesregierung zu einem guten Konjunkturpaket zu kommen. Für alles andere ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.