Es wird eine Weile brauchen, um Politik wieder versachlichen zu können, meint Grünen-Chefin Birgit Hebein im Interview.
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Birgit Hebein wurde im Juni zur neuen Wiener Verkehrs- und Planungsstadträtin sowie zur Vizebürgermeisterin gekürt. Sie folgte auf Maria Vassilakou, die sich aus der Stadtpolitik zurückgezogen hat. Kurz davor haben die Grünen die vormalige Sozialsprecherin im Rahmen einer Landesversammlung zur Wiener Parteichefin gemacht - eine Funktion, die es davor noch nicht gab. Im Interview erklärt die Politikerin unter anderem, was ihr Ressort mit Sozialpolitik zu tun hat und wie sie die politische Lage so kurz vor der Nationalratswahl am kommenden Wochenende einschätzt.
"Wiener Zeitung": Frau Hebein, wie ist Ihrer Meinung nach der Wahlkampf der Grünen aus Wiener Sicht bisher verlaufen?
Birgit Hebein: Ich finde, Werner Kogler ist extrem gut unterwegs. Ich komme viel herum und erlebe auf der Straße enormen Zuspruch für ihn. Man hört ein "Ja, wir brauchen die Grünen wieder im Nationalrat". Er ist ein starker Motor - und natürlich das Thema Klimaschutz. Da sehen wir uns vereint mit hunderttausenden Menschen, die auf der Straße sind. Mit Menschen, die den Hitzesommer erlebt haben und offensichtlich unser glaubwürdiges Kämpfen für den Klimaschutz unterstützen. Ein Wahlmotiv, auf das wir bis zum Schluss setzen.
Liegt der Aufwind der Grünen an der bei den Grünen wieder männlich gewordenen, hemdsärmeligen Energie?
Ich habe da einen anderen Blickwinkel. Das, was bei Werner Kogler so stimmig ist, ist seine Glaubwürdigkeit. Er ist einfach echt - und ich glaube, das ist das Entscheidende. Wenn er von Klimaschutz redet, nimmt man es ihm ab. Wenn er von Kinderarmut redet und das es so etwas nicht geben darf, in einem der reichsten Länder, dann nimmt man es ihm ab. Seine Stärke ist die Glaubwürdigkeit.
War das bei seinen Vorgängerinnen nicht der Fall?
Zurückblicken ist nicht mein Stil. Wir haben einen schweren Prozess hinter uns und merken: Seitdem wir die Partei umgekrempelt haben und seitdem das Thema Klima zu einer Lebensfrage für unsere Kinder und Enkelkinder geworden ist, geht wieder etwas weiter. Das allein zählt.
Inwieweit hat das von der Opposition aufgekochte Flächenwidmungsthema der Partei geschadet?
Ich habe immer gesagt: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung - wir werden uns daran beteiligen. Aber keine Ablenkung von all den Skandalen, die es bei Türkis-Blau gibt - und keine Ablenkung von der Wichtigkeit des Themas Klimaschutz. Ich glaube, es ist alles gesagt. Es liegt alles am Tisch.
Was ist Ihre Prognose für die bevorstehende Wahl?
Es ist diesmal wirklich schwer einzuschätzen. Klar ist, dass Herr Kurz Erster sein wird - und dass wir mit voller Kraft uns dafür einsetzen, dass wir Grünen mit den Themen Klimaschutz und Gerechtigkeit wieder im Nationalrat sind. Ich denke, das sind die einzigen zwei Dinge, die voraussehbar sind.
Was macht die Wiener Partei dafür?
Wir machen unglaublich viel Straßenwahlkampf. Wir haben die Partei geöffnet, umstrukturiert und jetzt sehr viel neue Menschen, die bei uns mitmachen.
Wird es 2020 wieder eine rot-grüne Stadtregierung geben?
Rot-Grün arbeitet seit neun Jahren gut zusammen - wir sind die lebenswerteste Stadt der Welt und das hat Gründe. Am Ende werden das die Wienerinnen und Wiener entscheiden. Wenn es nach mir geht: Ja.
Wenn man aber die vielen öffentlichen Auftritte von Bürgermeister Michael Ludwig und Wiener Wirtschaftskammerpräsident und Wirtschaftsbund-Chef Walter Ruck anschaut, hat man das Gefühl, die nächste Koalition ist bereits anderwertig fixiert. Ludwig und Ruck sind weitaus öfter auf gemeinsamen Fotos zu sehen als Ludwig und Hebein. Wie sehen Sie das?
Da müsste ich jetzt Fotos nachzählen gehen. Mit Walter Ruck habe ich auch ein gutes Arbeitsverhältnis. Wir haben zum Beispiel gemeinsam für den Abbiegeassistenten gekämpft. Und auch das Thema Klima kann man nur gemeinsam mit der Wirtschaft, der Zivilbevölkerung und parteiübergreifend angehen.
Also Rot-Grün-Schwarz 2020?
Je mehr Druck aus der Zivilbevölkerung kommt, je mehr die Jugend einfordert, dass gehandelt wird, desto mehr Spielraum bekommen die Grünen in der Politik. Es muss ein Umdenken stattfinden - auch die Wirtschaft ist hier gefordert. Aber schauen wir mal - es gibt seit Jahren schon so viele Gerüchte und bis zur Wienwahl rinnt noch viel Wasser die Donau hinunter. Abgesehen davon haben wir uns so viel vorgenommen, das wir jetzt gemeinsam Schritt für Schritt umsetzen - Smart-City-Strategie, Klimarat, Klimabudget, radikale Reduktion von CO2-Austoß, Klimaanpassungsmaßnahmen, eine Offensive in sanfter Mobilität usw.
Aber was ist mit den Themen, bei denen Sie sich nicht einig mit der SPÖ sind - Lobautunnel, Alkoholverbote, Wien-Bonus?
Wir sind zwei Parteien und es ist unbestritten, dass wir in einigen Themen unterschiedlicher Auffassung sind. Sie haben recht: Alkoholverbot ist für mich nach wie vor eine Vertreibungsaktion. Wir haben uns aber darauf geeinigt, dass es keine weiteren Alkoholverbote mehr geben wird und dass wir in Sozial- und Gesundheitsmaßnahmen im öffentlichen Raum investieren. Das heißt, wir sind in der Lage, Kompromisse einzugehen - und das zeichnet eben auch die Demokratie aus.
Glauben Sie, dass 2020 auch Rot-Blau in Wien möglich wäre - weil man immer wieder hört, dass die SPÖ in den Flächenbezirken demgegenüber aufgeschlossen wären?
Das halte ich von der Historie her in Wien für ausgeschlossen.
Wenn die Bevölkerung den Namen Birgit Hebein hört - womit soll sie ihn in Verbindung bringen?
Ich will, dass die Menschen mit weniger Sorgen einschlafen und aufwachen können. Dafür bin ich angetreten. Und das ist auch der Grund, warum ich das Thema Klima in Verbindung mit Sozialpolitik sehe. Für mich ist Klimapolitik Sozialpolitik - alles unter dem Blickwinkel des Zusammenhalts.
Was meinen Sie konkret damit?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ich gehe sehr gerne zu Bürgerversammlungen, weil ich es sehr bereichernd und spannend finde, mit der Bevölkerung gemeinsam zu diskutieren. Und ich glaube, je mehr Beteiligung es gibt, desto mehr Identifikation gibt es bei allem Neuen, das entsteht. Oder die Aktion mit den coolen Straßen, wo einerseits die Beamten der Stadt Hervorragendes geleistet haben - es gibt nämlich einen Grund, warum Wien so leiwand ist -, und andererseits die Bevölkerung, die sich den öffentlichen Raum zurückerobert hat. Die Leute sind ins Reden gekommen, Hochzeitspaare haben dort gefeiert, Kinder haben gespielt. Gleichzeitig wurde ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Da hat sich viel getan, obwohl wir nur die Straßen für die Autos gesperrt, Rasen aufgerollt und Nebelduschen aufgestellt haben. Handeln - damit will ich meinen Namen in Verbindung gebracht wissen.
Auf die Frage, was Sie als Sozialpolitikerin zur Verkehrsstadträtin qualifiziert, würden Sie dann also sagen: Klimapolitik ist Sozialpolitik ist Verkehrspolitik?
Sollten Sie mir die Frage stellen, dann würde ich antworten, dass ich es nie verstanden habe, warum man Verkehrspolitik von Sozialpolitik trennt. Warum man sagt: Hier die Autofahrerin, dort der Mensch. Die Autofahrerin sitzt ja nicht 24 Stunden lang im Auto - sie ist Nachbarin, Freundin, Mutter, Arbeitende. Dieses Bild aufzubrechen ist schon mein Ziel. Und es findet bereits jetzt ein Umdenken statt. Die Amazonas-Brände, die Hitze sind verantwortlich dafür. Eine junge Mutter hat unlängst in einer der coolen Straßen zu mir gesagt: "Ich ärgere mich, dass ich mich darüber ärgere, dass ich keinen Parkplatz finde." Es ist nur die Politik, die noch ein bisschen mutiger sein muss. Und das ist unsere Aufgabe: Die Probleme nicht zu individualisieren, sondern die Struktur zu schaffen, dass Veränderungen möglich sind.
Was haben Sie als Verkehrsstadträtin vor?
Wenn wir das Thema Klimaschutz ernst nehmen, werden wir nicht daran vorbeikommen, eine andere Verkehrspolitik zu betreiben. Der öffentliche Raum wird eng, wir müssen CO2 radikalst reduzieren, also werden wir den Diskurs führen, wie eine andere Verkehrspolitik möglich ist - wir werden ihn mit den Menschen führen und Alternativen aufzeigen. Ich halte nichts davon, die Verkehrsteilnehmer gegeneinander auszuspielen, weil sie meistens selber alle Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer sind.
Ihre Vorgängerin Maria Vassilakou hatte die Vision einer verkehrsberuhigten Mariahilfer Straße und hat dieses Vorhaben erfolgreich umgesetzt. Was ist Ihre Vision für die Stadt?
Vielleicht darauf aufbauend zu sagen: Ich will meine Vorhaben gemeinsam erreichen. Mein Schwerpunkt ist definitiv die Veränderung und Gestaltung der wachsenden Stadt gemeinsam mit der Bevölkerung zu schaffen. Denn die vergangenen Jahre unter Türkis-Blau haben eine unsagbare Spaltung der Menschen verursacht. Es wird eine Weile brauchen, um Politik wieder zu versachlichen. Und das geht nur im Dialog mit den Menschen.