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Österreich schickt Soldaten an die Grenze und führt nach Vorbild Deutschlands Grenzkontrollen ein.
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Wien. Österreich schickt 2200 Soldaten an die Grenze und wird Grenzkontrollen wieder einführen. Wie lange die Soldaten diesmal ausrücken, kann derzeit niemand beantworten. Der letzte solche Einsatz dauerte 21 Jahre - von 1990 bis Ende 2011; dabei war er ursprünglich nur für zehn Wochen vorgesehen. "Es ist einfach ein Signal, dass es eine große gemeinsame europäische Antwort gibt", so Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nach einer Krisensitzung der Bundesregierung. Etliche weitere EU-Staaten kündigten ebenfalls die Einführung von verstärkten Grenzkontrollen an. Die Schengen-Regeln sollen aufrecht bleiben.
Um zu verstehen, wie es so weit gekommen ist, muss das Rad der Zeit um zwei Wochen zurückgedreht werden. Damals sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Satz "Wir schaffen das". Es war eine Gutherzigkeitsoffensive, mit der sich Deutschland für flüchtende Syrer öffnete. Daraufhin setzten sich aus den Lagern von Pakistan über die Türkei bis hin nach Syrien fortan Flüchtlinge zu Zehntausenden in Richtung Deutschland in Bewegung. Ihr Hauptweg führte sie über die Balkanroute nach Ungarn und später über Österreich nach Deutschland. Merkel wollte damit Druck auf eine EU-weite Lösung bei der Verteilung aufbauen, doch die deutsche Bundeskanzlerin scheiterte an den innereuropäischen Interessensgegensätzen. Und auch der Druck in Deutschland wurde enorm: Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) kündigte am Montag an, dass Deutschland mit bis zu einer Million Flüchtlingen bis Jahrsende rechne. Bisher ging man von 800.000 aus.
Der Zustrom am Wochenende, der Kollaps bei der Erstaufnahme in München aber auch die fehlende Hilfsbereitschaft der deutschen Bundesländer sowie der innerparteiliche Druck in der CDU kippten am Sonntag die Gutherzigkeit der Kanzlerin. Deutschland führte am Sonntag Grenzkontrollen ein, Züge von Österreich in das Nachbarland wurden vorübergehend ausgesetzt. Mit dem Effekt, dass tausende Flüchtlinge in Österreich über Nacht festsaßen und weitere über Ungarn ins Land kamen. Laut Innenministerium waren zu Mittag 20.000 Menschen in Österreich unterwegs. Die Caritas geht von 40.000 Flüchtlingen aus.
Dieser Schritt sei ein "klares Signal an die Betroffenen, dass jetzt der ungeordnete Übergang über die Grenze nicht mehr so stattfinden kann", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Die Schengen-Regeln zum freien Reiseverkehr innerhalb der EU würden durch die Kontrollen nicht ausgesetzt. Für ihn handelt es sich um eine Kontrollverstärkung im Rahmen von Schengen. "Zehn Tage kann jedes Land die Kontrollen machen." - "Das ist wichtig festzuhalten, dass wir Dublin nicht außer Kraft gesetzt haben", sagte Faymann. Zudem wolle man auch Ungarn nicht aus der Verantwortung lassen. Härter in der Sache formulierte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP): "Angesichts des unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen nach Österreich müsse gegengesteuert werden", die Hilfsstrukturen und die Bevölkerung dürften nicht überfordert werden. "Wenn Deutschland Grenzkontrollen einführt, muss auch Österreich das tun", dies sei auch ein "klares Signal an die Betroffenen, dass jetzt der ungeordnete Übergang über die Grenze nicht mehr so stattfinden kann", so Mitterlehner.
2100 Soldatenin 72 Stunden
Nun sollen also Soldaten wieder mithelfen. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) und Generalstabschef Othmar Commenda berichteten am Montagnachmittag über Details: Bis heute Dienstag ergeht der Einsatzbefehl an 500 Soldaten, innerhalb von 72 Stunden soll die Mannstärke der Truppe aus Kadersoldaten und Präsenzdienern bei 2100 liegen. Am Montagabend traf das Bundesheer in Heiligenkreuz ein, um Zelte aufzustellen.
Der Assistenzeinsatz umfasst laut Klug zum einen die Fortsetzung der bereits bisher geleisteten Unterstützungshilfe für NGOs und Freiwillige bei Transport, Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen; zum anderen die Unterstützung der Polizei bei der Grenzsicherung. Letzteres ist derzeit nur für das Burgenland vorgesehen, kann bei Bedarf aber auf weitere Bundesländer ausgeweitet werden. Kontrolliert wird nur im unmittelbaren Grenzraum und auch da nur im Umfeld von Übergängen; eine Überwachung der grünen Grenze ist derzeit nicht vorgesehen. Auch alte Grenzposten werden vorerst nicht aktiviert. Noch auszuverhandeln sind die genauen Kompetenzen der Soldaten, also ob scharfe Waffen mitgeführt werden und ob Flüchtlinge angehalten und registriert werden dürfen. "Die Bewaffnung hängt vom konkreten Einsatz und Auftrag des Innenministeriums ab. Ich schließe scharfe Munition nicht aus", sagte Klug. Dass der Assistenzeinsatz die Anzahl der Flüchtlinge, die täglich nach Österreich kommen, eindämmt, schließt auch das Verteidigungsministerium aus. Klar ist aber: Sollte ein Flüchtling gegenüber einem Soldaten um Asyl ansuchen, wird er auf die nächstgelegene Polizeistation gebracht, wo das Registrierungsverfahren beginnt. Eine Weiterreise in ein anderes Schengen-Land ist dann nicht mehr möglich, weil nach den Dublin-Regeln in keinem anderen EU-Land um Asyl angesucht werden kann. Die angekündigten Kontrollen müssen also eher als Drohgebärde in Richtung der anderen EU-Staaten denn als Lösungsvorschläge in der Asylkrise verstanden werden.
Grenzkontrollen bedeuten nicht weniger Flüchtlinge
Es läuft also auf einen verstärkten Grenzraum-Einsatz hinaus, wie es ihn zuletzt immer wieder gab. Die Polizei führt dabei in unmittelbarer Nähe der Grenzübergänge Schwerpunktkontrollen durch, heißt es aus dem Innenministerium. Entschließt sich Österreich, das Schengenabkommen, etwa an der Grenze zu Ungarn, kurzfristig auszusetzen und Kontrollen im ursprünglichen Sinn durchzuführen, müsste jedes Auto, jeder Bus, der nach Österreich kommt, kontrolliert werden.
Ein solches Vorgehen würde aber Heer und Grenzpolizei vor enorme logistische Herausforderungen stellen. Zwar existieren die alten Grenzposten physisch noch. Manche wurden aber mittlerweile verkauft, es fehlt auch an nötiger Infrastruktur wie etwa Computern. "Außer dem Häuschen ist da oft nichts mehr", erklärt Helmut Marban von der burgenländischen Landespolizei.
Für Freitag und Samstag ist in Wien ein hochrangiges internationales Treffen sozialdemokratischer Spitzenpolitiker zur Flüchtlingskrise in Wien anberaumt. Daran werden neben Kanzler Faymann seine Amts- und Parteikollegen aus Frankreich und Schweden, Manuel Valls und Stefan Löfven, sowie der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz teilnehmen.