Homosexualität ist in Südkorea verpönt. Nur langsam fällt das Tabu.
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Seoul. Heezy Yang wartet im hintersten Eck eines Kaffeehauses. So nervös war er noch nie in seinen 22 Jahren. Neben ihm sitzt sein bester Freund, denn für das, was Heezy vorhat, fühlt er sich alleine nicht mutig genug. Seine Mutter betritt den Raum, ahnungslos, was sie erwarten wird.
Heezy Yang heißt eigentlich anders, doch in Südkorea haben Leute wie er meist zwei Namen, zwei Facebook-Accounts, zwei Leben. Das eine führt den ehemaligen Marketing-Studenten in die Schwulenbars nach Itaewon, dem Ausländerviertel, wo sich US-Soldaten betrinken und Koreaner den strengen gesellschaftlichen Konventionen entfliehen. Tagsüber jedoch lehrt Heezy Grundschüler in einer christlichen Nachhilfeschule, verdient dort seinen Lebensunterhalt mit Englischunterricht.
Meister des Versteckspiels
Das Versteckspielen mache ihm wenig aus, sagt er. Er sei ein guter Schauspieler, das wäre er schon zu Schulzeiten gewesen, als er fachmännisch mitdiskutierte, wenn sich wieder mal die Jungs aus seiner Klasse über japanische Pornos oder Fußballspiele unterhielten. Damals habe er über ein Internetforum seine erste Romanze kennengelernt, doch den beiden blieben nur dunkle Kinosäle und öffentliche Toiletten, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Zuhause jedoch wuchs ihm der Stress immer mehr über den Kopf. Die ewigen Lügen, das ständige Verstellen, selbst der eigenen Familie gegenüber. Damit sollte jetzt Schluss sein, so oder so.
"Die ersten paar Sekunden war meine Mutter sehr geschockt, aber relativ bald hat sie sich sehr bemüht, die Fassung zu bewahren. Am Ende war es gar nicht so schlimm", erzählt Yang über sein Outing. Seine Stimme ist laut genug, dass die Nachbartische des Kaffeehauses ihn verstehen könnten. Mit dem Jutebeutel, der locker über den Kopf gestülpten Wollmütze und den Skinnyjeans würde er nahtlos in die Szenerie von Berlin-Mitte oder Wien-Neubau passen. Im kollektivistischen Südkorea wirkt er ein wenig exzentrisch.
Knapp 60 Prozent aller Koreaner möchten in einer Gesellschaft leben, die Homosexualität nicht akzeptiert. Das ergab eine repräsentative Studie eines lokalen Thinktanks von 2013. Damit zeigt sich das Land am Han-Fluss konservativer als seine Nachbarn China (57 Prozent Ablehnung) und Japan (36 Prozent). Allerdings stellte sich auch das Alter als entscheidendes Kriterium heraus: je jünger die Befragten, desto höher ihre Zustimmung für die Gleichbehandlung von Homosexuellen.
Im Jahr 2000 outete sich mit dem Schauspieler Hong Seok-cheon erstmals ein Prominenter in den Medien, seitdem gilt der heute 43-Jährige als Vorreiter für die Rechte schwuler Männer. Viele Koreaner bekamen durch ihn überhaupt erst eine Vorstellung von Homosexualität, die sie zuvor als rein ausländisches Übel wähnten. Doch Hong gilt auch als Märtyrer der Szene. "Rückblickend bereue ich es, mich geoutet zu haben", sagte er jüngst in einem Fernsehinterview. Nach seinem Coming-out wurde Hong von seinem Fernsehsender gekündigt, Rollenangebote blieben jahrelang aus. Arbeitslos geworden, stieg er notgedrungen in die Gastronomie ein.
Christen laufen Sturm
"Unsere Wirtschaft ist so schnell gewachsen, dabei hatten wir nicht genug Zeit, um unsere Kultur ähnlich weiterzuentwickeln", sagt Heezy Yang: "Vor kaum zehn Jahren war es nicht mal vorstellbar, dass Mädchen auf der Straße Miniröcke tragen." Doch allmählich lockern sich auch auf der koreanischen Halbinsel die konservativen Strukturen auf. Vor zwei Wochen veröffentlichte der "San Francisco Examiner" ein Interview mit Seouls Bürgermeister Park Won-Soon, der im September die Westküste besuchte. "Ich persönlich befürworte die Rechte von Homosexuellen", wird Park dort zitiert. Ebenso hoffe er, dass Südkorea das erste asiatische Land werde, welches die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Solche Aussagen sind mehr als ungewöhnlich, denn der Hauptstadtbürgermeister gilt traditionell als künftiger Anwärter auf das Präsidentenamt.
Vor allem sind es fundamentale Christen mit ihrer starken Lobby, die regelmäßig Sturm laufen, sobald sich Politiker dieses heißen Themas annehmen. Zuletzt verhinderten sie zum wiederholten Male den Vorstoß eines Abgeordneten, im Antidiskriminierungsgesetz auch die sexuelle Orientierung aufzunehmen.
"Es gibt zwar einige konservative Kräfte in der Gesellschaft, aber letztendlich sind sie vor allem gut darin, ihre Stimmen besonders laut zu erheben", sagt Lee Jong-geol, ein 35-jähriger Mann mit Flanellhemd, Brille in Bernstein-Optik und herzlichem Lächeln. Lee leitet die NGO "Chingusai" (auf Deutsch: "unter Freunden"), die heuer ihr 20-jähriges Jubiläum feiert. Als erste und größte Aktivistengruppe für schwule Männer organisieren sie Veranstaltungen, klären über die Gefahren von Aids auf und bringen ihre Anliegen in die Medien. 100 Mitglieder kommen regelmäßig zu den Treffen von Chingusai, über zweitausend User zählt ihre Online-Community.
Das Büro der Menschenrechtsorganisation liegt in einer ruhigen Seitenstraße in der Seouler Innenstadt, doch sobald die Dunkelheit einkehrt, wird die Gegend zum zweiten großen Schwulen-Treff der Stadt. Für Außenstehende ist sie erst auf den zweiten Blick erkennbar, denn die meisten Bars befinden sich in Kellereingängen ohne Erkennungszeichen. Am Wochenende werden am Trottoir Pojangmachas errichtet, traditionelle Esszelte, in denen feurig scharfe Gerichte serviert werden und der Reisschnaps Soju in rauen Mengen fließt. Die Leute dort seien ein wenig schicker angezogen, sagt Lee, doch ansonsten sei alles sehr diskret, Zeichen der Zuneigung könne man hier nicht austauschen.
Lassen ihn die jüngsten Aussagen seines Bürgermeisters Hoffnung schöpfen? "Park Son-woon ist sich zwar der Problematik durchaus bewusst, dennoch ist ihm die Gleichberechtigung von Homosexuellen kein wirkliches Anliegen. Seiner Ansicht nach müsse der Impuls zuerst von Menschenrechtsorganisationen kommen und nicht von Politikern."
Das Prinzip Hoffnung
Nur wenige Stunden, nachdem koreanische Medien Parks Aussagen aufgegriffen haben, wurde die Homepage der Stadtregierung von Hasspostings überflutet. Kirchenorganisationen riefen ihre Mitgliedern gar zu Protestbriefen auf. Offenbar mit Wirkung: Über einen Pressesprecher ließ Park ausrichten, dass er zwar prinzipiell für die Rechte von Schwulen und Lesben stehe, jedoch im Interview falsch zitiert worden sei. Er habe lediglich die aktuelle Debatte in seinem Heimatland beschreiben wollen, nicht jedoch bekundet, die Gesetzeslage ändern zu wollen.
Heezy Yang lässt sich davon nicht weiter beirren, mittlerweile scheint der 24-Jährige seinen Platz in der Gesellschaft gefunden zu haben. Dieser fußt trotz allem auf einem wackligen Fundament. "Natürlich habe ich manchmal Angst davor, meinen Job irgendwann zu verlieren", sagt er: "Hoffentlich kann ich irgendwann eine Arbeit finden, bei der ich meine Sexualität nicht verbergen muss."