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Hehre Mission 2017

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

FDP will 15 Prozent der Wähler für sich begeistern.


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Bremen. Die Stimmung im Bremer Konzerthaus "Die Glocke" könnte an diesem Novembertag schlechter sein. Gut 400 FDP-Mitglieder sind aus Deutschlands Nordwesten angereist um sich mit dem Bundesvorsitzenden Christian Lindner, Generalsekretärin Nicola Beer und dem niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christian Dürr auf eine zukunftsweisende Strategie für die Traditionsliberalen zu verständigen.

Vier solcher Foren sind für die gesamte Bundesrepublik angesetzt, das in Bremen ist besonders wichtig. Denn hier wird im Mai eine neue Bürgerschaft gewählt, davor, im Februar in Hamburg. In den Stadtstaaten soll die Partei mit Lindners Worten "durchs Eis stoßen", also nach den Wahlen in beiden Landtagen mitmischen. Während die FDP 2011 in Hamburg mit Katja Suding an der Spitze 6,7 Prozent der Wählerstimmen holte, flog die Partei in Bremen aus der Bürgerschaft.

Im Konferenzsaal wirbt Lindner dafür, die Ermöglichung von Chancen zur Chefsache der Liberalen zu machen und das vor allem mit exzellenter Bildung. Draußen schwört derweil Magnus Buhlert, bekanntestes Gesicht der Bremer FDP, Parteifreunde auf den vermutlich härtesten Wahlkampf seines Lebens ein. Nicht nur er weiß, dass sich voraussichtlich schon im Frühjahr entscheidet, ob die FDP überlebt. Danach sind zwar nicht weniger als acht Landtagswahlen angesetzt, bis im Herbst 2017 der 19. Deutsche Bundestag gewählt wird. Es kann aber schon zu spät dafür sein, genügend Wähler von der "Mission 2017" zu überzeugen, also davon, dass die FDP wieder ins nationale Parlament gehört, befürchtet die Parteispitze.

Mit einer Schuldenlast von derzeit sechs Millionen Euro muss die FDP wieder schnellstmöglich in der obersten politischen Liga mitspielen, um sich über die staatliche Parteienfinanzierung beispielsweise noch dauerhaft den liberalen Ableger Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit leisten zu können. Katja Suding muss also ihren einstigen Wahlerfolg wiederholen. Sollte sie scheitern, lastet aller Erwartungsdruck auf den Bremern. Schon jetzt fahren sie schweres Geschütz auf. Mit der parteilosen Lencke Wischhusen haben sie die im deutschen Fernsehen allgegenwärtige Vorsitzende des Bundes junger Unternehmer zu ihrer Spitzenkandidatin gekürt.

Katja Suding ist nicht nach Bremen gereist. Vielmehr wirbt die Parteispitze dafür, die 39-Jährige bis Februar "länderübergreifend zu unterstützen", am besten mit Spenden. Vor den Türen werden andere Stimmen laut. Zerstrittener als Hamburg sei derzeit kein Landesverband, das sei ein Fass ohne Boden, und daran sei die dominante Suding alles andere als unschuldig. Schließlich habe die Hamburger FDP zuletzt zehn Prozent ihrer Mitglieder verloren. Aus ihrem sozialliberalen Flügel seien die Neuen Liberalen hervorgegangen, die nun im Februar mit der FDP um die Gunst der Wähler konkurrieren. In Umfragen kommt die Suding-Truppe derzeit gerade einmal auf vier Prozent. Im FDP-Bundesvergleich ist sie damit sogar richtig gut, aber eben nur dort.

Der schier unerschöpflichePool der Nichtwähler

Christian Lindner ficht all das nicht an. 15 Prozent FDP-Sympathisanten innerhalb der Gesamtwählerschaft wurden bei mehreren Umfragen nach der jüngsten Bundestagswahl ermittelt, die gelte es nachhaltig für die Liberalen zu begeistern, will er seine Parteifreunde auf Linie bringen. Auf Nachfrage räumt er ein, dass es sich dabei größtenteils um Nichtwähler handelt, die anderweitig als verloren für die Politik gehandelt werden. Überraschend und aus Sicht des Parteivorsitzenden erfreulich ist, dass die FDP nur 0,6 Prozent ihrer früheren Unterstützer an die Alternative für Deutschland verloren hat, galten die Euroskeptiker doch als die politischen Totengräber der Liberalen. Für Lindner ist dies nur eines von vielen Indizien für die Einzigartigkeit seiner Partei.

Unbestreitbar die Nase vorn hat sie jedenfalls bei der Mitgliederentwicklung unter den Traditionsparteien. Zurzeit haben rund 58.000 Deutsche ein blau-gelbes Parteibuch, bis zur Bundestagswahl 2013 waren es etwa 56.000. Inzwischen hat die FDP ungefähr 5000 Neumitglieder, das wiegt die Austritte im vergangenen Jahr um gut 2000 Personen auf.

Der smarte Parteichef ist dabei Zugpferd. Lindner sei so rührig wie authentisch und demokratieverliebt, erklärt die Übersetzerin Malgorzata Urbanska aus dem rheinland-pfälzischen Germersheim bei einem Neumitgliedertreffen in Berlin ihre Motivation für liberales Engagement.

Doch Lindner ist nicht unumstritten. Seine engsten Mitstreiter rekrutiert er zurzeit notgedrungen dort, wo die FDP noch Erfolg, sprich Landtagsmandate hat, nämlich allein in Westdeutschland. Das Wirken von FDP-Persönlichkeiten wie dem früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher, ohne den die deutsche Einheit nicht denkbar ist, rückt damit weiter aus dem Blickfeld.

Berührungspunkte mit Ostdeutschland scheint der Parteichef nur mehr über Bundespräsident Joachim Gauck zu haben, dessen Kandidatur die Liberalen einst durchboxten. Lindner hingegen habe sich in den warmen Westen auf sein heutiges Mandat im nordrhein-westfälischen Landtag geflüchtet, weil er die FDP-Misere im Osten rechtzeitig erahnt habe. So verweigern sich beispielsweise Liberale an der Basis im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Vorpommern der von Lindner propagierten "Anstrengungskultur" innerhalb der FDP, im Rahmen derer jedes Parteimitglied sein Bestes geben soll.

Für den FDP-Bundesvorsitzenden, der seine Parteifreunde seit seinem Amtsantritt zur Geschlossenheit mahnt, stellt sich damit 25 Jahre nach dem Fall der Mauer erneut die vermeintlich längst beantwortete Frage nach Unterschieden in den Köpfen in Ost und West. Wichtige Etappensiege für die von ihm ausgerufene "Mission" verbucht er möglicherweise bei den Landtagswahlen bis 2017, die mit Ausnahme Berlins und Sachsen-Anhalts alle in Westdeutschland stattfinden.

Am Ende überzeugen muss er aber ganz Deutschland, und damit auch in Ostdeutschland, wo den Liberalen die Wähler schon seit 2011 in Scharen davonlaufen.