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Heikle Gespräche statt Lobliedern

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Noch vor wenigen Monaten galt er als großer Freund Ankaras. Es war nicht zuletzt der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, der im Dezember die Fixierung eines Termins für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei erreichte. Doch mittlerweile mahnt auch er die Regierung in Ankara zur Umsetzung von Reformen. Gestern trat Schröder seine Reise nach Bosnien-Herzegowina und in die Türkei an.


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Erste Station war Sarajewo. Der deutsche Bundeskanzler Schröder plädierte dort gestern für eine Annäherung Bosnien-Herzegowinas an EU und NATO. Über Termine für eine mögliche Aufnahme wollte er allerdings nicht sprechen. "Ich bin nicht in der Lage, irgendwelche Daten zu nennen", erklärte Schröder.

Dennoch lobte er nach einem Treffen mit dem bosnischen Ministerpräsidenten Adnan Terzic die Fortschritte des Landes bei der Reform von Justiz, Verwaltung und Polizei. Die Zusammenarbeit Bosnien-Herzegowinas mit dem internationalen Strafgerichtshof bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern sei ebenfalls "sehr gut" - wenn auch noch "Wünsche offen" seien.

Heiklere Gespräche - unter anderem mit Premier Recep Tayyip Erdogan und Präsident Ahmet Sezer - standen Schröder dann in Ankara bevor. Denn die Entwicklung der Türkei fünf Monate vor dem geplanten Beginn von Beitrittsverhandlungen bewertet die EU zunehmend kritisch. Die Umsetzung der Reformen im Justizbereich sowie bei Menschenrechten lasse zu wünschen übrig. Mit seinem für heute angesetzten Besuch beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., dem Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit setzt Gerhard Schröder auch ein Signal an die türkische Regierung, religiösen Minderheiten ihre Rechte einzuräumen. Erst vor kurzem hat die Militärführung mehr Rechte für die Christen im Land abgelehnt.

Zustimmung zur EU sinkt

Mittlerweile hat auch die Begeisterung vieler Türken für die Europäische Union nachgelassen. Der Weg dorthin habe sich nämlich als politischer Kraftakt herausgestellt, erklärte Faruk Sen, Direktor des Zentrums für Türkei-Studien an der Universität Duisburg-Essen gegenüber der Presseagentur AFP. "Viele in der Türkei fragen sich nun, ob sich der beschwerliche Weg lohnt." Laut Meinungsumfragen begrüßten derzeit nur noch knapp 60 Prozent der Türkinnen und Türken einen Beitritt ihres Landes zur EU. Kurz nach der Entscheidung über die Aufnahme von Gesprächen mit der Union waren es noch 80 Prozent. Sen hofft nun auf einen positiven "Impuls", den Schröders Besuch auslösen könnte.