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Heikles Verhältnis

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Staaten suchen nach Druckmitteln gegen die beitrittswillige Türkei.


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Ankara/Brüssel. All die Appelle, Aussagen voller Empörung und mehr oder minder versteckten Drohungen aus dem Ausland nutzten wenig: Die türkische Regierung geht weiterhin gegen Oppositionelle und Journalisten im eigenen Land vor. Nachdem am Wochenende ein Dutzend Abgeordnete der von Kurden dominierten Parlamentspartei HDP samt Führungsspitze verhaftet worden waren, folgten am Montag weitere Festnahmen von Mandataren. Die Kritik, etwa aus der EU, daran, quittierte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Konferenz mit den Worten: "Mir ist es egal, ob sie mich Diktator oder irgendetwas anderes nennen - das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Für mich zählt nur, wie mich mein Volk nennt."

Dieses besteht freilich nicht nur aus Anhängern Erdogans und dessen konservativen, im Islam verwurzelten Regierungspartei AKP. An die sechs Millionen Menschen haben bei der Parlamentswahl im Vorjahr die HDP gewählt, die so die Zehn-Prozent-Hürde für einen Einzug in die Große Nationalversammlung nehmen konnte. Doch vor einem halben Jahr wurde den 59 Abgeordneten die Immunität entzogen - die meisten Politiker traf der Vorwurf der Unterstützung oder Sympathie für eine terroristische Organisation. Damit ist nicht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen gemeint, die rund um den gescheiterten Putschversuch im Juli ins Visier der türkischen Regierung gekommen war. Vielmehr geht es um die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich im Südosten des Landes Gefechte mit der türkischen Armee liefert.

Die HDP aber hat immer wieder betont, nicht mit den Mitteln der Gewalt, sondern der Politik für die Rechte der Millionen Menschen zählenden kurdischen Minderheit einzutreten. Doch nach den Verhaftungen ihrer Vertreter sah sie sich gezwungen, die parlamentarische Arbeit stark einzuschränken. Die Parteigremien beschlossen, die Teilnahme der Mandatare an Plenar- und Ausschusssitzungen im Abgeordnetenhaus in Ankara auszusetzen.

Die laizistische CHP wiederum, die größte Oppositionspartei, die sich in den vergangenen Jahren vom türkischen Nationalismus hin zur politischen Mitte positioniert hat, kritisiert die Regierung in erster Linie wegen der Angriffe auf die Medienfreiheit. Die haben zuletzt nämlich die der CHP nahe stehende Zeitung "Cumhuriyet" getroffen: Chefredakteur Murat Sabuncu und mehrere weitere Journalisten wurden ebenfalls festgenommen. "Illegal" und "unfassbar" nannte dies die CHP.

Vergleiche mit Nazi-Zeit

Noch schärfer fiel zeitweise der Wortwechsel zwischen türkischen und EU-Vertretern aus, die selbst vor historischen Vergleichen mit der NS-Diktatur nicht zurückschreckten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kommentierte im Deutschlandfunk die Massenverhaftungen und -entlassungen nach dem Putschversuch sowie die jüngsten Ereignisse in der Türkei: "Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden." Der türkische EU-Minister Ömer Celik zeigte sich über die Parallele brüskiert und drehte das Bild um: Vielmehr sei das Vorgehen der Türkei gegen Terrorverdächtige mit dem "Kampf gegen die Nazis" vergleichbar.

Celik brachte dann auch noch eine andere Ideologie ins Spiel. Forderungen nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara bezeichnete er als "rassistisch". Stattdessen sollten die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei, die an einem "zerbrechlichen Punkt" angekommen seien, gestärkt werden, meinte der Minister nach einem Treffen mit EU-Botschaftern.

Die Debatte um den Umgang mit der Türkei wird in der Europäischen Union wieder heftig geführt. Lange Zeit wurde Ankara hingehalten, bevor und nachdem 2005 die Gespräche um einen EU-Beitritt aufgenommen wurden. Doch das Interesse der Europäer an einem Flüchtlingsabkommen mit dem Nachbarland zu verstärktem Grenzschutz und zur Rückführung von Asylwerbern hat heuer neue Dynamik in den Verhandlungsprozess gebracht. So verhallte noch vor einigen Wochen der Ruf des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern nach einer Aussetzung der Beitrittsgespräche.

Ruf nach Sanktionen

Mit einer anderen Überlegung ist Kern allerdings nicht allein. Schon werden Ideen zu wirtschaftlichen Druckmitteln gewälzt. In diese Richtung äußerte sich etwa Asselborn. Immerhin gehe die Hälfte der türkischen Exporte in die EU, und 60 Prozent der Investitionen in der Türkei kämen aus der Union.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz wiederum wies auf die finanziellen Aspekte des Flüchtlingsdeals hin. An den Vertrag sind EU-Mittel in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro für Flüchtlingshilfe in der Türkei selbst geknüpft. Das Geld werde jedoch "ganz klar" nicht fließen, wenn das Land die Bedingungen des Abkommens nicht einhält, befand Kurz im Ö1-Radio. Ähnliches hatte Kern gefordert. Die EU-Kommission hält dem jedoch entgegen, dass die Finanzhilfe nicht für den türkischen Staat, sondern für Projekte für die Schutzsuchenden bestimmt ist. Die Brüsseler Behörde will am morgigen Mittwoch ihre Berichte über die Fortschritte der Beitrittskandidaten präsentieren. Im Fall der Türkei ist aber eher von Rückschritten die Rede.

Der EU-Deal mit der Türkei war jedoch von Anfang an umstritten. Und sollte er platzen, gelte es vorbereitet zu sein. Das erklärte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der mehrere Amtskollegen aus Zentraleuropa zu einem Treffen ins Burgenland eingeladen hatte. Die Politiker wollen einen Aktionsplan ausarbeiten lassen, wie die EU-Staaten selbst die Außengrenzen der Union besser schützen können.