Experten beklagen bei Parlamentshearing die Fehler des Staatsbürgerschaftsrechts.
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Wien. Immerhin: Österreich steht nicht an allerletzter Stelle in Europa, was den Zugang zur Staatsbürgerschaft betrifft. Viel fehlt allerdings nicht mehr - daran konnte auch die im Sommer 2013 beschlossene Liberalisierung, wonach die Einbürgerung in besonderen Fällen schon nach sechs und nicht erst nach zehn Jahren möglich ist, nichts ändern.
Das wurde bei einem öffentlichen Expertenhearing im Innenausschuss des Nationalrats am Mittwoch deutlich. So verwies der Politikwissenschafter Gerd Valchars, der an einem länderübergreifenden Forschungsprojekt zum Staatsbürgerschaftsrecht beteiligt ist, auf europäische Vergleichsstudien. Zum Beispiel liege Österreich im Mipex - ein Index, mit dem die Integration von Migranten in 31 verschiedenen Ländern gemessen wird - bei der Staatsbürgerschaft an 28. Stelle, nur die baltischen Staaten hätten noch restriktivere Regelungen. Österreich kommt in dem Ranking auf 22 Punkte, der EU-Durchschnitt liege bei 44. Besonders hervorstechend seien das hohe Einkommenserfordernis und die lange Wohnsitzdauer, sagte der Wissenschafter, der von den Grünen nominiert wurde.
Auch der Leiter der Wiener Magistratsabteilung 35 (Einwanderung, Staatsbürgerschaft und Standesamt), Werner Sedlak, der von der SPÖ als Experte nominiert wurde, beklagt die komplizierte Einkommensberechnung. Einbürgerungswillige müssen innerhalb von sechs Jahren über 36 Monate das Einkommen eines ASVG-Mindestpensionisten nachweisen. Von ihrem Einkommen werden aber Mietkosten, Kosten für Kredite, Unterhaltskosten etc. abgezogen. "Alleine diese Rechnung kann pro Fall durchaus mehr als 100 Seiten lang sein."
Nur 127 "Supermigranten"
Dunja Bodganovic-Govedarica vom Beratungszentrum für Migranten, die ebenfalls auf Einladung der Grünen in den Ausschuss geladen war, kritisierte, dass sozial Schwache wie Alleinerzieherinnen gar nicht in der Lage seien, die Einbürgerungskosten aufzubringen. Diese liegen zwischen 1220 Euro in Vorarlberg und 2580 Euro in der Steiermark.
"Einbürgerung ist in Österreich etwas politisch Unerwünschtes", meint Bogdanovic, die Verkürzung der Wartefrist von zehn auf sechs Jahren für "Supermigranten" habe daran nichts geändert. Tatsächlich wurden von Inkrafttreten 2013 bis zum ersten Halbjahr 2014 nur 127 Staatsbürgerschaften aufgrund herausragender Deutschkenntnisse oder freiwilligem Engagement vergeben, sagte Dietmar Hudsky. "Aber diese Bestimmung war ohnehin nie dazu gedacht, in großen Quantitäten Einbürgerungsmöglichkeiten zu schaffen", meinte der Leiter der Abteilung Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftswesen im Innenministerium, der von ÖVP nominiert wurde.
Hudsky betonte, er sei zwar nicht prinzipiell gegen jede Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts, aber die zum Beispiel von den Grünen und den Neos beantragte Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft lehnt er ab. Dass es in Europa einen Trend in diese Richtung gibt, ist für ihn nicht relevant. Die Expertin der Neos, die Politikwissenschafterin Alice Vadrot, konterte, dass es im Sinne einer Weiterentwicklung der europäischen Integration zumindest für EU-Bürger diese Möglichkeit geben müsse.
Hudsky will auch von einer Abkehr vom Abstammungsprinzip (Ius Sanguinis), wie es die Grünen fordern, nichts wissen. Derzeit haben Kinder ausländischer Eltern keine Chance, bei Geburt Österreicher zu werden. Stattdessen muss für sie alle paar Jahre ein Aufenthaltstitel beantragt werden, selbst wenn die Eltern einen Daueraufenthaltstitel haben.
Ius Sanguinis vs. Ius Soli
Für die meisten Experten ist diese Regelung widersinnig - Valchars verwies etwa auf Deutschland, wo man schon vor Jahren von dieser Regelung abgekommen ist und eine Mischform zwischen Ius Sanguinis und Geburtslandprinzip (Ius Soli) gewählt hat. Er schlägt auch für Österreich vor, ab einer bestimmten Aufenthaltsdauer der Eltern dem hier geborenen Kind die österreichische Staatsbürgerschaft automatisch zu verleihen.
Denn die Einbürgerungshürden stellen auch ein Demokratieproblem dar: Zwischen den Nationalratswahlen 2008 und 2013 ist die Bevölkerungszahl gestiegen, die Zahl der Wahlberechtigten aber gesunken. Fast ein Viertel der Wiener im Wahlalter ist vom Urnengang ausgeschlossen.