Manche kennen ihre Heimat, manche suchen sie, für manche ist sie unwichtig.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. "Heimat" war noch vor 150 Jahren primär ein juristischer Terminus. Bei Polizei und Bürgermeisteramt bezeichnete er Geburtsort, Wohnort oder Herkunftsland. Heutzutage hat "Heimat" viele, sehr persönliche, teils sehr emotionale Bedeutungen.
"Heimat ist schon etwas Wichtiges", meint Saime Öztürk von der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ). Ihre Eltern sind in den 80er Jahren nach Österreich gezogen. Ihre prägenden Kindheitserlebnisse sind es, deretwegen sie heute Österreich als ihre Heimat bezeichnet. Sogleich zitiert sie dabei Rainhard Fendrich: "Da bin i her, da g’hör’ i hin."
Fendrichs inoffizielle Österreich-Hymne "I am from Austria" ist auch der Titel eines von der MJÖ organisierten Foto-Projekts, bei dem österreichische Muslime zwei Wochen lang Fotos geschossen haben, um ihren Bezug zu Österreich künstlerisch festzuhalten. Das Ergebnis zeigt eine Fotoschau im WienXtra-Institut für Freizeitpädagogik. Die Fotos wurden zu Collagen zusammengestellt, die verschiedene Lebensbereiche veranschaulichen, wie Geburt, Kindheit, Familie, Freunde, Bildung. Ayse Aysel, 24 Jahre alt, zeigt auf einer Fotocollage auch das "Zusammentreffen von Meinungsvielfalt". Zu sehen sind Fotos von einem Diskussionsabend in einer Wiener Moschee.
Viele Fotos zeigen einfach bekannte Gegenden Österreichs, wie den Stephansdom, die Universität, das Museumsquartier. Darin liegt laut Öztürk eine Hauptaussage der Schau: "Muslime sind ein Teil dieser Gesellschaft, auch wenn es manche Menschen nicht so sehen. Ihr Österreich-Bild ist gar nicht so verschieden von dem anderer Österreicher."
Manche Kinder von Zuwanderern wissen aber nicht immer, wo sie hingehören. Das autobiografische Werk "Ohne Heimat" des 25-jährigen Melih Gördesli behandelt die Zerrissenheit eines jungen Austro-Türken. "Heimat ist für mich ein Teil der Identität", sagt Gördesli. "Dazu gehören Familie, Freunde, die Umgebung, in der man aufwächst, und Akzeptanz." In Österreich wie in der Türkei werde er aber nicht akzeptiert. Für besonders gefährlich hält er die "unbewusste Ablehnung" türkischstämmiger Menschen in Österreich. Eigentlich wünscht sich Gördesli, hier als Österreicher gesehen zu werden - nicht als Austro-Türke, nicht als Österreicher mit Migrationshintergrund. "Aber man muss auch so behandelt werden."
Lange Zeit wusste auch der türkisch-stämmige Filmemacher Ünal Uzunkaya nicht, wo seine Heimat ist: "Als Kind von Migranten wächst man mit diesem Fremdsein auf." Eine Expedition zu seinen Wurzeln in Anatolien half ihm, Klarheit zu finden: "Ich habe mich dort wohlgefühlt, aber nicht zu Hause. Das undefinierte Sehnsuchtsgefühl nach Anatolien ist nun weg, und auch ein surrealer Heimatbegriff."
Uzunkaya definiert sich seither als Österreicher. "Hier ist mein Mittelpunkt, ich liebe dieses Land. Ich mache meinen Heimatbegriff nicht mehr von der Resonanz der Mehrheitsgesellschaft abhängig." Bemerkungen wie: "Sie sind aber nicht von hier" hätten für ihn keine Kraft mehr. "Das war für mich eine Emanzipation."
Auch die Autorin Seher Cakir definiert sich nicht mehr über die Reaktionen ihrer Umgebung. Vor 20 Jahren habe es sie noch verunsichert, wenn sich Andere darüber beschwerten, dass sie öffentlich Türkisch spricht. Diese Zeiten sind vorbei. Anders als Uzunkaya oder Öztürk betont Cakir: "Heimat ist für mich kein wichtiger Begriff. Ich kann nicht sagen, die Türkei ist meine Heimat, oder Österreich ist meine Heimat. Ich liebe auch New York, Deutschland und Italien." Heimat sei, wo man sich wohlfühlt, doch das könne auch ein neues Umfeld sein.
Neue Heimat Österreich
Simon Inou musste sich erst in Österreich einfinden. 1995 hatte es ihn im Alter von 23 Jahren unfreiwillig nach Österreich verschlagen. Nach einem Vortrag in Graz konnte er aus politischen Gründen nicht nach Kamerun zurück gehen. "Man fühlt sich sofort heimatlos", erinnert er sich. "Die alte Umgebung - Freunde, Familie -, alles ist weg. Man muss eine neue Heimat finden."
Inou ist heute Projektleiter vom Verein M-Media zur Förderung interkultureller Medienarbeit. Heimat ist für ihn der Ort, "wo ich mich zu Hause fühle" und "wo meine Freiheit, mich in der Gesellschaft auszudrücken, nicht beschränkt wird". Anfangs hatte er in Österreich das Gefühl, als Schwarzer Verdächtigungen ausgesetzt zu sein. "Heute ist Österreich meine Heimat", betont er - auch wegen der Freiheit, die er hier hat und die er nützt. "Eine verloren gegangene Heimat kannst Du nur dann wiedergewinnen, wenn Du sie Dir neu erschaffst", heißt es im Film "Salami Aleikum".
Für Saime Öztürk hingegen bleibt Heimat stark mit seinen Kindheitserinnerungen verknüpft. "Man kann nicht überall zu Hause sein, nicht einmal an zwei Orten", hält sie fest. Selbst Auslandsösterreicher würden ihre Österreich-Verbundenheit nicht aufgegeben. Auch auf ihrer Foto-Collage nimmt Öztürk Bezug auf Rainhard Fendrich: "Auch wenn wir’s schon vergessen hab’n, i bin dei Apfel, du mei Stamm."