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Heimkehr ins Ungewisse

Von Michael Ortner

Politik
Mirsayed Alaie bei der Rückkehrhilfe der Caritas. Nach 15 Monaten Wartezeit auf einen Bescheid geht er zurück nach Afghanistan.
© Jenis

Immer mehr Asylwerber verlassen Österreich freiwillig. Manche riskieren erneut ihr Leben.


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Wien. Die Entscheidung, am Flughafen Schwechat vor dem Check-in von Turkish Airlines zu stehen, ist Mirsayed Alaie nicht leicht gefallen. Vor ihm liegt eine anstrengende Reise ins mehr als 5000 Kilometer entfernte Herat, eine afghanische Großstadt an der Grenze zum Iran. Es sind seine letzten Stunden auf österreichischem Boden. "Ich habe mich hier schon ein bisschen zuhause gefühlt, aber ich bin glücklich, dass ich bald wieder meine zwei Kinder und meine Frau sehe", sagt Alaie mit einem sanften Lächeln im Gesicht.

Im November 2015 ist er über den Iran, die Türkei und die Balkanroute nach Österreich gekommen. Eine gefährliche, vor allem aber teure Flucht: Er musste rund 10.000 Dollar für Schlepper und Visa-Papiere bezahlen. Wie Zehntausende andere suchte er in Österreich um Asyl an. Zur Flucht gezwungen hat ihn sein riskanter Job. Mehr als zehn Jahre arbeitete er für das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Afghanistan. Die Gegner, mit denen er es aufnahm: Taliban, Warlords und die Mafia. Zuletzt war er am "Afghan Opiate Trade Project" beteiligt, einem internationalen Forschungsprojekt zu den Auswirkungen des Drogenhandels. Afghanistan spielt global eine zentrale Rolle: Zwei Drittel der Flächen des weltweiten Opium-Anbaus befinden sich im zentralasiatischen Land.

Die Arbeit am Projekt wurde ihm schließlich zu gefährlich, er musste um seine und die Sicherheit seiner Familie fürchten. Er verließ Afghanistan, seine Familie brachte er bei seinen Eltern unter. Wien sollte ein Neuanfang sein. Er kannte die Stadt bereits von mehreren Besuchen aus seiner Zeit beim UN-Büro.

So wie der 34-jährige Afghane haben im vergangenen Jahr knapp 5800 Asylwerber Österreich wieder freiwillig verlassen. Ein Anstieg von rund zwölf Prozent im Vergleich zu 2015. Eine Folge der stark gestiegenen Anzahl an Asylanträgen. Um ihnen die Ausreise schmackhaft zu machen, bezahlt der Staat Ausreisenden bis zu 370 Euro Rückkehrhilfe und übernimmt die Reisekosten. Im europäischen Vergleich ist Österreich sehr zurückhaltend mit der Rückkehrhilfe, sagt Günter Ecker, Geschäftsführer des Vereins Menschenrechte Österreich (VMÖ). In Schweden etwa erhalten Rückkehrer bis zu 3150 Euro. Das soll sich nun ändern. Innenminister Wolfgang Sobotka wünscht sich mehr freiwillige Ausreisen. "Heuer (2016, Anmerk.) waren wir Rückführungseuropameister. Wir haben die meisten Leute mit Rückkehrberatungen in ihr Heimatland zurückgeführt. Das muss sich in diesem Jahr noch verstärken", sagte er im "ZIB2"-Interview. Um wie viel der derzeitige Betrag angehoben wird, war im Innenministerium nicht zu erfahren, aber die Rückkehrberatung soll sowohl finanziell als auch personell ausgebaut werden.

Christian Fackler, Leiter der Caritas-Rückkehrhilfe, sieht das Vorhaben kritisch. "Ich glaube nicht, dass man die Zahlen erhöhen kann, wenn man die Rückkehrberatung intensiviert. Sie wirkt sich nicht direkt auf die Zahl der Rückkehrer aus."

Frust über lange Verfahren

Finanziert wird die Rückkehrhilfe über den Europäischen Rückkehrfonds (ERF) und das Innenministerium. 16 Millionen Euro sollen über die Jahre 2017 bis 2019 in die Rückkehrhilfe und -beratung fließen. Neun Millionen kommen dabei aus dem Innenministerium, sieben Millionen aus Töpfen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU.

Doch warum entscheiden sich immer mehr Geflüchtete, Österreich überhaupt zu verlassen? "Wir erleben sehr oft enttäuschte Menschen, die Geduld und Hoffnung verlieren, weil die Asylverfahren so lange dauern", sagt Fackler. "Viele Asylwerber sind nach einigen Wochen desillusioniert, sie haben andere Vorstellungen von den Unterkünften und der Familienzusammenführung", sagt Ecker. Caritas und VMÖ organisieren im Auftrag des Staates Rückkehrberatungen. Rund 14.000 Klienten hat der VMÖ vergangenes Jahr beraten, ein deutlicher Anstieg. Auch bei der Caritas wurde eine Zunahme registriert: Wurden 2015 noch rund 2000 Menschen beraten, so waren es 2016 bereits über 3500.

Christian Fackler empfängt bei der Rückkehrberatung: ein schlichtes Großraumbüro, grau gesprenkelter Linoleumboden, Neonröhrenlicht, an der Wand hängt eine Weltkarte. Auf Schreibtischen sieht man Zettel mit Hinweisen, was etwa bei der Buchung von Beirut nach Damaskus zu beachten ist. Fünf bis zehn Asylwerber kommen im Schnitt jeden Tag hier her, so Fackler, der seit 16 Jahren bei der Caritas arbeitet. Er hat tausende Fälle betreut, kann unzählige Geschichten erzählen. Von todkranken Menschen, die sich nur noch wünschen, in ihrem Heimatland zu sterben. Von Fällen, wo der Verdacht der Kindesentführung im Raum stand. Von Fällen, in denen die Klienten zurückkehren wollen in Länder, in denen Bomben fallen, Menschen verfolgt und gefoltert werden. Manchmal rät er auch von einer Rückkehr ab. "Jeder Berater ist sehr vorsichtig, wenn es um eine Rückkehr in Krisenländer geht. Wir besprechen das noch mal sorgfältig mit den Klienten und stellen den Antrag nicht gleich beim ersten Gespräch", sagt Fackler. Zunächst gilt es, zu klären, warum jemand zurückkehren will, und was eine Rückkehr im Heimatland bedeutet. Meist wird erst bei einem zweiten Gespräch ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt. "Viele sind gespalten zwischen ihrem eigenen Wunsch, hier zu bleiben und dem Druck der Familie, dass sie in ihrem Heimatland gebraucht werden", sagt Fackler.

Neustart als Bienenzüchter

Auch Mirsayed Alaie wird von seiner Familie gebraucht. Seine Frau ist schwerkrank, ihretwegen hat er sich dazu entschlossen, Österreich zu verlassen. Es schwingt aber auch Enttäuschung mit: "Ich hätte nicht gedacht, dass das Verfahren so lange dauert. Ich habe nach sechs, sieben Monaten mit einer Antwort gerechnet." Jetzt, 15 Monate später, hat er immer noch keinen Bescheid. Untätig ist er trotzdem nicht geblieben. Er arbeitete ehrenamtlich bei der Diakonie, übersetzte für andere Flüchtlinge und beriet in rechtlichen Fragen. Daneben lernte er Deutsch. Doch sein Traum von einem Neubeginn platzte. Seine Familie konnte er nicht nach Österreich bringen, denn dazu hätte er erst Asyl bekommen müssen. Familie sei das Wichtigste, so Alaie.

An diesem Dienstagmittag ist noch wenig los in Terminal 1. Rückkehrer Alaie zieht einen großen Reisekoffer hinter sich her, in der Hand hält er ein Plastiksackerl, gefüllt mit Spielzeug für seine Kinder. Er steuert auf eine Gruppe von Menschen zu. Sie verlassen heute ebenfalls freiwillig Österreich. Ein Zivildiener der Caritas händigt Alaie seinen Reisepass aus und gibt ihm ein Briefkuvert mit 370 Euro Rückkehrhilfe. Das Geld muss reichen, um bis nach Herat zu kommen. Eine Mitarbeiterin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erklärt das Ausreise-Prozedere. IOM hilft Rückkehrern manchmal auch nach der Ausreise: Mit dem "Restart"-Programm etwa hilft IOM, ein kleines Unternehmen aufzubauen. Neben der finanziellen Unterstützung von 500 Euro gibt es Sachleistungen bis zu 2800 Euro. "Wir konnten damit zum Beispiel Bienenzüchter in Tschetschenien, Taxifahrer in Pakistan oder einen Lebensmittelhändler in Kabul fördern", sagt Andrea Götzelmann von IOM. 2017 sollen 490 Menschen gefördert werden.

Nicht alle Asylwerber reisen jedoch freiwillig aus. Flüchtlinge, die einen negativen Bescheid erhalten, müssen innerhalb von zwei Wochen das Land verlassen. 4880 Menschen wurden vergangenes Jahr abgeschoben. Doch selbst, wer Österreich zwangsweise verlassen muss, kann sich in der Schubhaft noch für eine "freiwillige" Ausreise entscheiden. Eine paradoxe Vorstellung. "Unsere Aufgabe liegt darin, die Klienten zu unterstützen und nicht - wie im Interesse der Behörden - möglichst viele aus dem Land zu bekommen", sagt Fackler. Freiwillige Rückkehr sei der humanere Weg, mit gescheiterter Migration umzugehen. Ein weiterer Nachteil der Abschiebung: Die Kosten trägt der Abgeschobene selbst.

Das Check-In für Flug TK 1886 nach Istanbul beginnt, Alaie verabschiedet sich von einem afghanischen Freund. Er ist traurig, dass Alaie Österreich verlässt. Sie haben die vergangenen Monate zusammengewohnt und sich gegenseitig unterstützt. Er sorgt sich auch um ihn. Denn Alaies Rückkehr nach Afghanistan ist wegen seinem vorherigen Job weiterhin ein Risiko. Alaie hat Angst, die Situation in Afghanistan sei furchtbar. "Ich hoffe, ich muss nicht noch einmal als Flüchtling nach Österreich kommen", sagt er und tritt seine Reise an.