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Heinisch-Hosek: "Mehr Schutz vor Übergriffen"

Von Clemens Neuhold

Politik
4000 Euro kann das kosten. Außerhalb der Arbeitswelt sind der Ministerin die Regeln zu lax.
© fotolia

In Österreich soll Gesäß strafrechtlich als weiteres Geschlechtsorgan gelten.


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Wien. "Endlich wird über Sexismus im Alltag geredet. Es ist erschütternd, wie viele Frauen sich jetzt outen und über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt berichten", zeigt sich Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) "schockiert" über die vielen persönlichen Erfahrungsberichte, die als Reaktion auf die Brüderle-Affäre im Internet veröffentlicht wurden (siehe Kommentare und Seite 5). Sie findet es gut, dass jetzt breit darüber diskutiert werde, sagt sie zur "Wiener Zeitung". "Es braucht einen Kulturwandel und es ist höchste Zeit, den Schutz vor sexistischen Übergriffen auszuweiten."

Wo beginnt die Sex-Zone?

Ein Teil dieses Kulturwandels betrifft das Hinterteil. "Sexuelle Belästigung wie zum Beispiel Po-Grapschen sollte endlich auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Das habe ich schon wiederholt an die Justizministerin herangetragen, und es ist höchste Zeit, dass hier etwas geschieht."

Hintergrund: Ein Po-Grapscher wurde im vergangenen Jahr in Graz freigesprochen, weil es sich beim Gesäß nicht um ein "primäres oder sekundäres Geschlechtsorgan" handle. Deswegen war der Tatbestand der sexuellen Belästigung nicht erfüllt.

Auf Nachfrage im Justizministerium sagt ein Sprecher von Beatrix Karl (ÖVP): "Man soll nicht alles übers Strafrecht regeln." Diese Frage werde aber im Zuge der Strafrechtsnovelle von Experten mitverhandelt. Eilig hat es die Justiz hier nicht. Sollten die Experten Änderungsvorschläge machen, werden diese frühestens 2015 eingearbeitet.

Einen "echten" Schutz für Frauen sieht Heinisch-Hosek derzeit nur in der Arbeitswelt gegeben. Am Arbeitsplatz fällt auch Po-Grapschen unter sexuelle Belästigung. Nach dem Gleichbehandlungsgesetz beträgt der Mindestschadenersatz 1000 Euro. Nutzen die "Belästiger" ihre Machtposition intensiv und häufig aus, kann die Summe auf bis zu 4000 Euro steigen. Doch auch hier kommt es darauf an, ob sich die Frauen trauen, meint Ruth Ettl von der Arbeiterkammer Wien.

Mehrmals wöchentlich wenden sich betroffene Frauen an die Arbeiterkammer: Frauen, denen der Chef auf den Oberschenkel greift, sie küssen möchte, denen Mitarbeiter pornografische E-Mails schicken, die beim Einstellungsgespräch eindeutig vermittelt bekommen, wie sie den Job sicher bekommen.

Aus der Deckung wagen

"Es dauert, bis sich die Frauen trauen, etwas zu sagen", meint Ettl. Deswegen fordert sie eine Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes, das derzeit eine Verjährung nach einem Jahr vorsieht. Ettl drängt auf drei Jahre, weil sich Frauen oft stigmatisiert fühlten. Im Fall der deutschen Journalistin kamen die Enthüllungen auch erst ein Jahr nach dem Vorfall; allerdings könnten hier redaktionelle Überlegungen mitgespielt haben, da der beschuldigte Politiker gerade im Rampenlicht steht. Das Frauenministerium sieht hier ebenfalls die ÖVP am Zug, an deren Widerstand eine Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes bisher gescheitert sei.

Sensible Firmen

Arbeiterkammer-Expertin Ettl wünscht sich neben der längeren Verjährungsfrist höhere Strafen als Abschreckung. Ansetzen müsse der Kampf gegen die Übergriffe aber schon früher. "Die Betriebe gehören sensibilisiert, wo eine Grenzüberschreitung beginnt, und wie man respektvoll miteinander umgeht." Die aktuelle Debatte, die im Internet-Netzwerk Twitter unter "#Aufschrei" läuft, begrüßt sie, weil vieles dadurch zur Sprache komme. In Deutschland verzeichnet die Antidiskriminierungsstelle seit der Veröffentlichung der Vorwürfe gegen FDP-Politiker Rainer Brüderle deutlich mehr Meldungen von Frauen. Doch in Deutschland wie in Österreich vermuten Experten eine hohe Dunkelziffer.

Firmen, die mehr tun wollen, rät Ettl, Ansprechpersonen zu installieren, damit Opfer die Übergriffe nicht direkt beim Chef melden müssen. Den Herren und Damen in der Chefetage drohen ebenfalls Strafen, wenn sie ihre Fürsorgepflicht verletzen und die Situation für die Betroffenen nicht verbessern - und wenn sie selbst "zugreifen" sowieso.