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Der ehemalige CA-Chef Heinrich Treichl ist einer der ältesten noch lebenden ehemaligen Schottengymnasiasten und erinnert sich gerne an seine Schulzeit | Wiener Zeitung:Wie war das, als Sie ins Schottengymnasium gekommen sind? | Heinrich Treichl: Daran kann ich mich noch genau erinnern. Das war im Herbst 1923. Damals gab es noch diese uralten Schulbänke mit Klapppulten. Auf diesen Bänken sind je zwei Schüler gesessen. Darauf war alles Mögliche eingeschnitzt, auch Namen. Ich weiß noch, dass sich auf meinem Pult der Schriftsteller Ferdinand von Saar verewigt hatte. Der war in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts hier gewesen und es waren noch dieselben Bänke. Wir waren im ersten Jahr mehr als 60 Schüler in der Klasse, ich glaube 66. Die Klasse hat sich dann aber sehr schnell geleert. Es wurden sehr viele hinausgeschmissen, die nicht mitkonnten. Am Ende des ersten Schuljahres waren es nur noch vierzig.
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Gab es damals weltliche oder geistliche Professoren?
Bis auf den Turnlehrer und den Zeichenlehrer waren alle Lehrer Geistliche.
War es früher ein Privileg, ins Schottengymnasium zu gehen, und war es teuer?
Nein. Es hat natürlich eine gewisse Selektion gegeben. Also, um das soziologisch einzuordnen: Das Theresianum war die aristokratische Schule. Die Schotten haben einen viel breiteren Querschnitt gehabt: der hat von einem Bourbon-Parma bis hin zu Schülern der bescheidensten Herkunft gereicht. Das Gros kam aus dem gehobenen Wiener Bürgertum, also dem Beamtenadel. In der soziologischen Frage waren die Schotten also betont demokratisch. Aber als Bildungseinrichtung waren sie elitär und auch sehr religiös bestimmt.
Wie war es bei Ihnen um die Religion bestellt?
Meine Eltern waren nicht sehr praktizierende Katholiken, aber sie wollten uns in diese Schule schicken. In Bezug auf die Religion verdanke ich den Schotten sehr, sehr viel.
Was hat Ihnen am Schottengymnasium am meisten gefallen?
Also rückblickend finde ich, dass die Benediktiner wunderbare Erzieher sind. Es hat nicht diese jesuitische Disziplin wie in Kalksburg gegeben. Es war offener oder toleranter, wenn man so will. Es war eine sehr gute Lernschule. Ich war kein Vorzugsschüler. Nicht ganz bei den Schlechtesten, eher mittel. Ende der Fünften habe ich das Schottengymnasium verlassen müssen, weil meine Eltern nach Deutschland gezogen sind. Ich war 15 Jahre alt, und meine Mutter hat mich im sehr angesehenen Lessing-Gymnasium in Frankfurt angemeldet. Die haben dort ein bisschen deutsch-arrogant und schnoddrig gesagt, ich komme in die Oberterzia. Das war das Äquivalent zu unserer Fünften. Da hat meine Mutter nachgerechnet und gesagt: "Da verliert er aber sehr viel, er kommt aus einer sehr guten Schule, machen Sie doch eine Aufnahmsprüfung." Dann haben sie mich getestet und gleich zwei Jahre höher eingestuft. Da war ich dann nicht nur der Jüngste, sondern durch die sehr gute Vorbildung bei den Schotten auch einer der Besten. Ein mittlerer Schüler bei den Schotten war im sehr guten Lessing-Gymnasium immer noch unter den Besten.
Damals hat es ja noch die Prügelstrafe gegeben. War das auch ein Thema bei den Schotten?
Nein. Der einzige, der gehaut hat, war der Blaha. Pater Vinzent Blaha, der Mathematikprofessor. Der hat einem einmal einen Klaps gegeben. Ihn habe ich übrigens später gebeten, mich zu trauen. Im Ganzen war es eine sehr milde Schule, wo man wirklich was gelernt hat, aber Prügel. . . Einmal bin ich gehaut worden. In der zweiten, oder dritten Klasse: Da ist in der Naturgeschichtsstunde das physikalische Kabinett verdunkelt worden, um irgendwelche Elektro-Experimente zu zeigen. Und in meiner Klasse war auch ein Mädchen.
Ein Mädchen? Das heißt also, dass das gar nichts Neues war, als das Schottengymnasium 2004 für Mädchen zugänglich wurde?
Nein, es sind ein paar Mädchen aufgenommen worden, das hat es damals noch gegeben. Erst später hat das aufgehört. Da war zum Beispiel die Tochter des türkischen Gesandten. Die Schotten mussten ja, um das Öffentlichkeitsrecht zu haben, ein paar Andersgläubige aufnehmen - auch als konfessionelle Schule. Es hat ein paar protestantische Schüler gegeben und vielleicht auch jüdische, das weiß ich nicht, und muslimische. Die beiden Muslime waren die Kinder des türkischen Gesandten.
In meiner Klasse war also auch ein Mädchen, sie war Protestantin - Stross hat sie geheißen -, in Ägypten aufgewachsen, aber eine Österreicherin. Ich war zwölf Jahre alt . . . es wurde verdunkelt und ich bin unter den Tisch gekrochen und habe irgendwelche Beine erwischt, darunter auch ein Bein der Lili Stross. Die schreit, der Professor sagt "Licht an!" und ich krieche heraus. Das war eine Lausbuberei, aber völlig unerotisch, ich war noch ein Kind. Der Professor war sehr böse, ich bin nach Hause und habe meinen Eltern gebeichtet, was da passiert ist. Sonntags hat es dann Nachfragen in der Schule gegeben, und da ist meine Mutter hingegangen und hat dem Professor eine Schieferplatte mit einem versteinerten Fisch als Versöhnungsgeschenk gebracht. Der hat eigentlich nur gelacht, aber damals hat er mich durchgehaut. Über den Sessel gelegt und dann habe ich mit dem Lineal hinten ein paar draufgekriegt. Das hat es noch gegeben. Aber das war vielleicht mehr symbolisch. Weh getan hat es nicht.
Wie war die Gemeinschaft unter den Schülern im Schottengymnasium?
Das waren sehr gute Freunde, Freunde fürs Leben. Es lebt nur heute leider keiner mehr. Sehr viele sind auch gefallen. Auch einige von meiner Klasse.
Sie haben nicht zuletzt auch durch Ihre Söhne, die auch Altschotten sind, über einen sehr langen Zeitraum Einblick in die Schule erhalten. Gibt es eigentlich so etwas wie eine gemeinsame Grundlinie bei den Altschotten, etwas, was die meisten von ihnen verbindet? Gibt es Charakteristika, die einen Altschotten ausmachen?
Ich glaube, ja. Das sind eine gewisse Traditionsbindung, eine große Anhänglichkeit an die Schule und ein aufgeschlossenes Treueverhältnis zur Kirche.
Heinrich Treichlwurde 1913 geboren. Er war Generaldirektor der Creditanstalt, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes und Verlagsleiter von Ullstein Wien. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. Seine Memoiren hat er in dem Buch "Fast ein Jahrhundert" (Zsolnay Verlag) festgehalten .
Eine große Familie