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Heinrich von Pierer im Interview: Von einem oder mehreren Beinen

Von Helmut Dité, Erfurt

Wirtschaft

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"Ich habe noch die teilweise herbe Kritik im Ohr - der Pierer ist ein Zauderer, war noch eine der milderen Formulierungen, - die man uns Ende der 90er Jahre während des New Economy-Hype entgegen brachte: Fokussierung, Fokussierung, Fokussierung rief man uns zu, weg vom Gemischtwarenladen". Viele Mitbewerber hätten sich anstecken lassen - "wir sind unseren eigenen Weg gegangen. Und haben die Medizin-Technik, das Kraftwerksgeschäft, die Bahntechnik oder auch Osram nicht verkauft und deren Erlöse nicht für Phantasiepreise zum Erwerb von Start-ups ohne Substanz auf dem I and C-Gebiet eingesetzt". Und gerade in schwierigen Zeiten könne man jetzt beweisen, dass man mit einer nach Branchen breiten und globalen Aufstellung besser zurecht kommt als manch anderer. "Die weltweite Diversifizierung nach Branchen und Standorten gibt uns die Möglichkeit, Schwächen in einem Bereich mit Stärken in anderen auszugleichen - während auf Telekommunikation fokussierte Konkurrenten wie Nokia, Ericsson, Lucent und auch Alcatel mit grimmigen Quartalszahlen aufwarten."

Das Wort "Gemischtwarenladen" hört Heinrich von Pierer trotzdem nicht gern, wie er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" sagt. Zu präzise verfolgt er dazu seine Vorstellungen von Fokussierung: Auf mehreren Beinen steht man besser, aber alle Schritte gehen in Richtung High-Tech.

Das Generatorenwerk in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt ist dafür ein Beispiel - dort hat er persönlich sehr viel Engagement eingebracht. Das Werk wird seit zwei Jahren als eigenes Profitcenter geführt und wird die angestrebte weltweite Nummer-1-Position bei Generatoren bis 140 Megawatt - genug, um eine 100.00-Einwohner-Stadt mit Strom zu versorgen - wohl bald erreicht haben. 50 Generatoren verlassen das Werk pro Jahr, die Zahl der Mitarbeiter ist wieder auf 550 gestiegen, binnen zwei Jahren wurde der Absatz verdoppelt, die Fabrik läuft rund um die Uhr im Vier-Schicht-Betrieb. Und liefert an alle namhaften Turbinenbauer - bis hin zum Hauptkonkurrenten General Electric in die USA.

"Flexibilität, Leistung, Qualität, Profitabilität" - das sind jetzt die Parolen an den Wänden der Werkshallen im vormaligen VEB-Reparaturwerk Clara Zetkin der ehemaligen DDR. Und Betriebsratsobmann Albrecht demonstriert anlässlich des Besuchs hunderter Wirtschaftsjournalisten aus Europa ein Beispiel der Sozialpartnerschaft à la Thüringen: Per Urkunde wird Konzernchef von Pierer zum Ehrenmitglied des Betriebsrates ernannt, weil der frühere Kraftwerksunion-Chef das Generatorenwerk in Erfurt nicht der Konkurrenz in die Hände fallen ließ.

Auch im Bereich Transportation-Systems hat Pierer ein Musterbeispiel für seinen Kurs: Das frühere SGP-Werk in Graz, wo er die Drehgestellfertigung konzentrieren ließ - und dabei deutsche Standorte verärgerte. Dort laufen jetzt alle Drehgestelle für das weltweite U-Bahn- und S-Bahn-Geschäft des Siemens-Konzerns vom Band - und das sind auch nicht mehr nur Eisenräder auf Achsen, sondern mit Antriebs- und Steuerungselektronik vollgestopfte High-Tech-Produkte.

Insgesamt macht die Österreich-Tochter dem begeisterten Kärntenurlauber Pierer - dessen Vater in Wien und dessen Mutter in Graz zur Welt kamen - sehr viel Freude. Mehrmals hintereinander mit dem Award für die beste Konzerntochter ausgezeichnet, dürften die "Ösis" auch vom geplanten Stellenabbau kaum betroffen sein, gut positioniert, wie sie dastehen.