Heinz Kaiser, Apotheker und Bartender, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Pharmazie und Mixologie - und über die Freuden der Nachtarbeit hinter dem Tresen.
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"Wiener Zeitung": Wie wird man vom Apotheker zum Bartender?Heinz Kaiser: Der Weg war umgekehrt. Ich war zuerst Bartender und dann Apotheker. Schon als Teenager wollte ich in der Gastronomie arbeiten. Als mich mein Vater gefragt hat, was ich nach der Matura machen wolle, habe ich gemeint: ein Fremdenverkehrskolleg. Er meinte daraufhin, dass er dann - ohne Nachfolger - unsere Apotheke und das Haus in Drosendorf in Niederösterreich verkaufen werden müsse.
Das war ein sehr schlauer Schachzug, also habe ich doch Pharmazie inskribiert. Aber noch bevor ich in Wien zu studieren begonnen habe, hatte ich mir schon die ersten Jobs in der Gastronomie besorgt.
Hast du die Jobs dann parallel zum Studium gemacht? (Anmerkung: Das Interview fand in Dino’s Bar statt, und so wie die ungeschriebenen Gesetze in Bars nun einmal sind, wurde das Gespräch daher in Du-Form geführt.)
Parallel . . . das zu behaupten, wäre vermessen. Das Arbeiten bei Events, Clubbings oder später in Bars war intensiv und damit sehr beherrschend. Das Studium ging ich langsam an, dafür habe ich dann 14 Jahre gebraucht.
Wie entwickelte sich der Weg vom coolen Studentenjob zum Profi-Bartender?
Ich habe einige Jahre für Mario Castillo gearbeitet, der mit seiner Bar "Barfly’s" Ende der 1980er Jahre einen ungeheuren Bar-Boom in Wien ausgelöst hat. Neben der Bar hatte er noch andere Locations und Clubbings laufen. Der damalige Barchef von Mario Castillo, René van de Graaf, hat sich mit "Dino’s American Bar" selbstständig gemacht und Mario hat uns beide zusammengebracht. Nach einigen Jahren in der aufreibenden Clubbing-Szene wollte ich einen regelmäßigen, nächtlichen "9 to 5 Job". Ein Job, bei dem ich um fünf Uhr morgens meine Schürze an den Nagel hängen konnte. Seither arbeite ich hier.
Immer schon als Bartender?
Nein, ich war ja noch ein Anfänger. René van de Graaf hat mir tatsächlich gezeigt, was Cocktailmixen auf höchstem Niveau bedeutet. Er hat mir sozusagen den qualitativen Feinschliff verpasst.
Entstanden in dieser Zeit auch die Verknüpfungen zwischen Pharmazie und Mixologie?
Ja, nachdem ich nun einen regelmäßigen Job hatte, ging es beim Studium leichter voran. In der Bar begann ich selber Drinks zu kreieren und mit verschiedenen Komponenten zu experimentieren. Außerdem las ich Bücher über die Geschichte des Alkohols, des Destillierens und der Spirituosen. Ich hatte einen fast wissenschaftlichen Ehrgeiz. Und es kam soweit, dass wenn wir in der Bar bestimmte Zusatzstoffe für Cocktails nicht hatten, ich die eben chemisch aufgegliedert und selbst zusammengemischt habe. Zu Beginn sind diese Schöpfungen mit sehr viel Mut und wenig Wissen entstanden. Aber keiner meiner Gäste ist davon erblindet! (lacht)Worin bestehen die Gemeinsamkeiten dieser beiden Gebiete?
Das ist leicht erklärt. Es sind die Tinkturen, die Essenzen, die man sowohl in einer Apotheke als auch in einer Bar aus Kräutern, verschiedenen Teesorten und Likören zusammensetzt.
Wie kann man sich das genau vorstellen?
Alkohol ist in der Pharmazie ein oft verwendeter Zusatzstoff. Die meisten flüssigen Arzneien beinhalten in der einen oder anderen Form Alkohol. Daher hat man als Apotheker häufig damit zu tun, wenn es darum geht, Heilmittel zu schaffen. Oder das Anfertigen der verschiedenen Sirupe, Fruchtsirupe, Infusionen, Liköre - all das macht man sowohl in der Apotheke als auch in einer Bar.
Sind Bar und Apotheke zwei Orte, die Heilung versprechen?
Richtig! Wobei das eine hauptsächlich dem Körper dient, das andere der Seele. Genauer gesagt: Es geht in einer Bar nur zu einem geringen Prozentsatz um das Produkt, sondern vielmehr darum, den Leuten zuzuhören und ihnen damit das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind.
Und wie schaffst du es, dieses Gefühl herzustellen?
Indem ich zwischen den Zeilen höre. In der Bar kann ich aus dem Lieblingsgetränk, also einer bevorzugten Spirituose, sehr vieles erkennen. Mit der Zeit tragen Menschenkenntnis und Erfahrung das Übrige bei. Und natürlich Fragen stellen. Nachfragen. Das habe ich in der Apotheke gelernt, wo man sehr gut zuhören muss, wenn Leute von ihren gesundheitlichen Problemen erzählen. Da darf man sich - im Gegensatz zur Bar - keinen Fehlgriff erlauben. Das Zuhören muss man lernen!
Nach deiner Diagnose: Wie kommt der Gast zu einem besonderen Cocktail?
Eben durch genaues Zuhören des Bartenders, der muss erfassen, was zu dem Menschen passt oder zu seiner momentanen Stimmung. Aber das ist auch ein Prozess, denn oft ist es nicht der erste Drink, der tatsächlich zur Person passt. Es passiert nicht selten, dass zuerst medial-gehypte Modegetränke, bestimmte angesagte Drinks, abseits vom persönlichen Geschmacksempfinden bestellt werden. Wenn der Gast sich aber auf Fragen und Beratung einlässt, dann findet man die individuellen Vorlieben heraus.
Blättert man durch die Karte der Bar, dann sieht man, dass du viele Drinks selbst kreiert hast. Wie entstehen solche Eigenkreationen? In der Apotheke?
Manchmal. Die entstehen in der täglichen Arbeit, entweder in der Bar oder in der Apotheke, wo ich noch zweimal in der Woche arbeite. Oft sind es Weiterentwicklungen von Klassikern: Fizzes, Sours, Collins, Martinis, Julips oder Slings. All diese Drinks beruhen auf einer Basismischung. Eines ist wichtig für das Verständnis: Im Prinzip sind alle Getränke schon erfunden. Es gibt Tausende, ja Abertausende Cocktails. Man variiert nur mehr. Die Ausgangsprodukte, mit denen man als Bartender arbeitet, sind leicht aufgezählt: Rum, Gin, Wodka, Whiskey, teilweise Cognacs. Dazu kommen die verschiedenen Kräuterbitters, Liköre. Letztendlich sind neue Kreationen Interpretationen von Bestehendem. Oder, wie ich es versuche: Man orientiert sich an Speisen. Der Drink "Helena" kommt von dem Dessert "Birne Helene", der "Gimlet Caprese" vom "Insalata Caprese".
Wenn man dir bei der Zubereitung von Drinks zusieht, dann ähnelt deine Arbeitsweise auch oft der eines Spitzenkochs, der etwas à la minute zubereitet. Wie wichtig ist die Qualität der verwendeten Produkte?
Das ist das Hauptprinzip meiner Arbeit - keine Abstriche in der Qualität zu machen. Der Gast kann vielleicht nicht sagen, war-um etwas besser schmeckt, aber er bemerkt es. In diesem Bereich Abstriche zu machen, dafür würde ich mich genieren. Auch weil es nicht unbedingt teurer ist, hohe Qualität zu produzieren. Es kostet vielleicht ein bisserl mehr Arbeit. Aber wenn ich meinen eigenen Sirup mache, dann ist es billiger, als ihn zu kaufen.
Worin liegt der grundsätzliche Reiz, in diesem speziellen Kosmos "Bar" zu arbeiten?
Für mich bietet die Bar die Möglichkeit, mich selbst auszudrücken, meine Person unmittelbar zu zeigen. Ich kann hier zwischenmenschliche Verbindungen schaffen. Etwas, das mir im privaten Leben nicht so gut gelingt. Eine Verbindung entsteht dann, wenn ich einem Gast einen Drink serviere und ich seine erste Reaktion beobachten kann. Wenn der erste Schluck von einem "Wow" begeleitet wird, dann kommt es zu einem Blickkontakt - der erste Schritt zu einem persönlichen Kontakt ist getan. Dieser kurze Moment ist ein großer Anreiz, in diesem Metier zu arbeiten.
Was aber bedeutet, dass man keine Scheu vor Menschen haben sollte, wenn man hinter dem Tresen steht?
Man muss Menschen mögen. Und es hilft, wenn man die Einstellung hat, nicht vorschnell über Menschen zu urteilen. Ich versuche meine Gäste so zu lassen, wie sie sind. Wenn jemand wichtig sein will, dann soll er es in diesem Kosmos sein. Eine gehörige Portion Selbstwertgefühl sollte man für diesen Job schon mitbringen. Man darf auch kein Problem damit haben, zu dienen, jemanden zu bedienen. Wenn man hinter dem Tresen steht, sollte man tatsächlich zu hundert Prozent dahinter stehen.
Eine Bar wird gerne als Therapiezentrum für diverse Probleme der Gäste beschrieben. Stimmt dieses Bild noch? Wenn ja, wird das mit der Zeit nicht etwas mühsam?
Natürlich kommt das vor, dass es plötzlich aus dem einsamen Wolf an der Bar hervorbricht und man innerhalb kürzester Zeit fast seine gesamte Lebensgeschichte erfährt. Aber es bewegt sich meist an der Oberfläche. Ich höre genau zu, aber ich muss keine therapeutische Leistung erbringen. Für denjenigen, der es braucht, ist es wichtig, dass in diesem Moment jemand da ist, der ihm zuhört. Der nicht wegrennen kann.
Ist es nicht sehr hart, schon so viele Jahre in der Nacht zu arbeiten?
Ich liebe es, in der Nacht zu arbeiten. Ich fühle mich dieser Welt total verbunden. Es gibt ein frühes Lied von Reinhard Fendrich, "Zwischen 1 und 4" - das beschreibt dieses Gefühl sehr gut. Zu dieser Zeit ist alles anders. Das ist für mich die wichtigste Zeit. Da liegen Seele und Geist offen. Da hat man die besten Erkenntnisse, auch wenn man sie am nächsten Morgen schon wieder vergessen hat. Aber zumindest zu dieser Zeit sind sie einem präsent. Ich bin ein absoluter Nachtmensch.
Die langen Nächte, die Bar, die Cocktails, die Gespräche am Tresen - über all dem steht natürlich der Alkoholkonsum jedes Einzelnen. Wie geht man damit um, wenn man täglich damit konfrontiert ist? Bei den Gästen wie auch persönlich?
Vorsichtig. Ich habe in meiner Karriere schon einige Leben wegen des Alkohols den Bach hinuntergehen sehen. Vom Genusstrinker zum schweren Alkoholiker bis zum Tod - alles schon erlebt. Was der Alkohol anrichten kann, bekommt man in einer Bar natürlich ungefiltert mit. Daher geht man persönlich vorsichtig damit um. Aber ein Bartender, der nicht gerne Alkohol trinkt, ist fehl am Platz. Man sollte mögen, was man seinen Gästen täglich serviert. Ich trinke gerne, regelmäßig und - an normalen Richtwerten gemessen - auch viel. Aber ich bin nie betrunken. Ich genieße das Trinken. Und Genuss sollte in Bars an vorderster Stelle stehen. Es ist nicht guter Stil einer Bar, wenn sich der Barkeeper gemeinsam mit seinen Gästen auf "Halligalli niedermäht". Man muss bis zur Sperrstunde handlungsfähig sein - und das Messer für die Früchte und das Gemüse ist verdammt scharf!
Während einer langen Nacht in einer Bar passieren Gästen sicherlich manche Malheurs, oft auch kompromittierende. Gibt es so etwas wie ein Schweigegelübde für Bartender?
Absolut. Niemand wird von mir jemals etwas über Namen, Daten, Vorfälle oder Skandälchen hören. Alles, was im hier passiert, bleibt iauch hier. Ich nehme das sehr genau und bin da sehr streng.
Du bist international sehr viel unterwegs. Du bist diesen Sommer bei den "Global World Class Championsships" für Bartender in Neu Delhi Europameister und Vize-Weltmeister geworden. Wie präsentiert sich die Wiener Barkultur im internationalen Vergleich?
So, wie es der allgemeinen österreichischen Mentalität entspricht: eigentlich sehr gut, aber man stellt sein Licht zu sehr unter den Scheffel. Es gibt ausgezeichnete Bartender in Wien, aber die meisten verkaufen sich selbst nicht sehr gut.
Wie kann man sich diesen internationalen Vergleichskampf in Neu Delhi vorstellen? Was wird da verlangt?
Diese Wettkampfserie hat ein Bartender entwickelt, der versucht hat, alle Arbeitskomponenten einzubeziehen. In den einzelnen Kategorien geht es um Kreativität, Wissen - der Geschichte des Cocktails und der Spirituosen -, Flexibilität, Präzision, Blindverkostung und natürlich auch Schnelligkeit. Es ist wie ein Sechskampf, bei dem am Schluss die Punkte zusammengezählt werden.
Wie viele Bartender beteiligen sich weltweit daran?
Bei den ersten regionalen Ausscheidungen gehen weltweit 11.000 Bartender ins Rennen. Nach weiteren nationalen, kontinentalen Wettbewerben bestreiten, so wie heuer, 36 Teilnehmer das Finale.
Was bringt dieser internationale Erfolg für dich persönlich?
Er ist gut für das Ego. So wie die ganze Arbeit gut für das Ego ist. Du bist hinter dem Tresen immer der Star. Bei mir war im Hintergrund das Denken an einen Karriereschub stets mit dabei.
Und hat sich dieser schon eingestellt?
Bis jetzt noch nicht. Aber es kann ja noch werden. Deswegen war es auch mein erklärtes Ziel, zu gewinnen. So gesehen, ist der zweite Platz eine Enttäuschung. Auch wenn das jetzt etwas arrogant klingt.
Woher kommt der Name Cocktail eigentlich?
Darum ranken sich einige Legenden. Für mich stammt die plausibelste Geschichte aus New Orleans. Dort hat in den 1830er Jahren der Apotheker Antoine Peychaud einen Magenbitter erfunden. Zu dieser Zeit waren die dortigen Apotheker untereinander in harte Konkurrenzkämpfe verwickelt, bei denen es hauptsächlich darum ging, wer seinen Kunden den besten Magenbitter anbieten konnte. Denn damals war das Essen sehr schwer, daher waren Probleme mit dem Magen an der Tagesordnung - und somit das Geschäft mit den Bitters ein sehr lukratives. Jede Apotheke hatte damals einen eigenen Magenbitter. Peychaud erzielte mit seiner Kreation ungeheure Erfolge. Der Erfolg mag neben der Mischung auch darin gelegen haben, dass er den Magenbitter mit Cognac verfeinerte. In Ermangelung von Gläsern hat er seine Mischung in Eierbechern serviert. Eierbecher heißt auf französisch "Coquetier", woraus sich das Wort Cocktail abgeleitet haben dürfte. Das ist, wie gesagt, nur eine von mehreren Geschichten - die mir als Apotheker aber naturgemäß nahe liegt.
Und was ist der Lieblingscocktail des Apothekers?
Das ist der "Old Fashioned" - eine relativ einfache Mischung aus einem Zuckerwürfel, der mit einem Schuss Angosturabitter getränkt und dann zerrieben wird, etwas Soda und Eis dazu, dann Whiskey, alles verrühren und mit Orange, Zitrone und Cocktailkirsche servieren.
Eva Stanzl, geboren 1969, ist Feuilletonredakteurin bei der "Wiener Zeitung" und Sachbuchautorin. 2006 erhielt sie den Österreichischen Zeitschriftenpreis.
Christof Habres 1967 in Wien geboren, ist Kunsthändler, Autor und freier Journalist, u. a. für die "Wiener Zeitung". Er ist Autor des im Metroverlag erschienenen "Wiener Barbuchs".
Zur PersonHeinz Kaiser wurde 1966 in Wien geboren. Aufgewachsen ist er in Drosendorf im Waldviertel, wo seine Eltern am Hauptplatz die Apotheke "Zum Erlöser" in einem der ältesten Häuser der Stadt führen. (In dem um 1450 erbauten Haus befand sich einst die Winterresidenz der Äbte des Stiftes Geras). Nach der Matura übersiedelte Heinz Kaiser nach Wien und begann dort ein Studium der Pharmazie. Gleichzeitig arbeitete er in der Gastronomie, u. a. bei Do & Co, bei Mario Castillo ("Barfly’s") und in der "Havanna Bar".
1996 folgte im Zuge der Diplomarbeit ein mehrmonatiger Studienaufenthalt in Bolivien für Feldforschung über die Heilpflanzen der Anden. Heinz Kaiser ist seit 1999 "Magister der Pharmazie". 1996 begann er in René van de Graafs "Dino’s American Bar" am Wiener Salzgries zu arbeiten, wo er bis heute noch als Barchef tätig ist - neben seiner zweitäglichen Arbeit als Pharmazeut in der elterlichen Apotheke.
Heinz Kaiser ist einer der renommiertesten Bartender, nicht nur in Österreich, sondern auch international. Er ist mehrfacher Gewinner internationaler Bartender-Wettbewerbe (u. a. bei den World Class Bartender Competitions, den Diageo World Class Championships). Er wurde 2008 in Berlin Mixologe des Jahres. Ab 9. Oktober 2011 steht er wieder im Finale der Mixology Bar Awards in Berlin.