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Heirate -oder stirb . . .

Von Martyna Czarnowska

Politik

Manche sind erst 14, manche 17 Jahre alt. Die meisten gehen noch zur Schule, wenn sie verheiratet werden. Für einen Mann in der Türkei kann seine in Österreich lebende Cousine, die er zur Frau nimmt, das Ticket ins Ausland sein. Der Verein Orient Express kämpft seit fünf Jahren gegen die Zwangsverheiratung von türkischen Mädchen.


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Wie viele es sind, kann Gül Ayse Basari nicht sagen. Denn weder die österreichischen noch die türkischen Behörden sind daran interessiert, Zahlen über zwangsverheiratete Mädchen zu liefern. Doch was Basari, Beraterin im Verein Orient Express, kennt, sind die Geschichten dahinter. So wie die Geschichte von Kübra.

Kübra war 14 Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie doch nicht sicher sein würde. Zwei Jahre zuvor war sie mit ihrer Mutter und den drei Schwestern nach Österreich gekommen. Sie dachte, dass sie die Schule besuchen könnte und doch nicht ihren Cousin heiraten müsste. Denn mit elf hatte sie erfahren, dass ihr Vater und ihre Großeltern sie verehelichen wollten. In Österreich glaubte sie, dem entgehen zu können. Doch es war nicht so. Sobald sie ihre österreichische Staatsbürgerschaft hatte, sollte sie verheiratet werden. Sie vertraute sich ihrer Lehrerin an, die die Eltern zu sich zitierte und auf die Gesetzeslage in Österreich verwies.

Am Wochenende verprügelte der Vater Kübra und brachte sie zu den Großeltern in die Türkei. Nach einem Jahr kam sie nach Österreich zurück - minderjährig, aber verheiratet. Und im dritten Monat schwanger. Sie ging zur Polizei. Das Jugendamt vermittelte eine Abtreibung in den Niederlanden. Bald verließ Kübra die elterliche Wohnung und wurde in einem Heim untergebracht. Sie absolvierte die Handelsschule. Den Wunsch, ihre Familie zu kontaktieren, hatte sie nie wieder.

Gewalt, nicht Tradition

"Zwangsverheiratung ist keine Tradition, es ist auch keine familiäre Angelegenheit", stellt Gül Ayse Basari klar. "Es ist Gewalt. Und dagegen müssen wir arbeiten." Daher will Orient Express auch Aufklärungsarbeit leisten, etwa an Schulen. "Wir wollen den Mädchen klarmachen, dass sie nein sagen können", erzählt Basari. Doch drei Viertel der Mädchen - heuer waren es insgesamt 20 - die zum Verein kommen, sind bereits verheiratet. Da die Ehemänner in der Türkei sind, ist eine Scheidung nur dort möglich. Daher arbeitet Orient Express mit RechtsanwältInnen in der Türkei zusammen, die eine Scheidungsklage einreichen.

Krisenzentrum fehlt

Ein Problem besteht laut Basari aber darin, dass es in Österreich keine Anlaufstelle für Mädchen gebe, die von der Zwangsverheiratung bedroht sind. Sie kommen in ein Krisenzentrum, und dann werden die Eltern verständigt. Danach folgen die Drohungen: "Wenn du nicht heiratest, dann bringe ich dich um." Oder: "Dann siehst du deine Schwester nie wieder." Der Orient Express setzt sich mit den Familien nur getrennt von den Mädchen auseinander.

Doch die Betreuung kostet Geld. Und das geht aus. Seit Jahren bekommt der Verein vom Bund 43.600 Euro jährlich, ohne Inflationsanpassung. 75.000 stellt zwar die Gemeinde zur Verfügung. Wie lange sie jedoch mehr als der Bund zahlt, ist ungewiss.

Orient Express: 01/728 97 25