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Heiße Debatten um kalte Progression

Von Simon Rosner

Politik
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Das Büro des Fiskalrats beruhigt hinsichtlich der budgetären Auswirkungen, der Rechnungshof sieht das Defizit wachsen.


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Wie viel wird das Ende der kalten Progression kosten? Die Regierung erwartet in ihrem Entwurf Mindereinnahmen bis 2026 von durchschnittlich mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr. Ein Betrag in dieser Größenordnung ist bei früheren Entlastungen von der Politik nicht selten als "größte Steuerreformen aller Zeiten" gefeiert worden. Dabei wurde meistens auch nur die kalte Progression abgegolten, die sich in diesen Fällen allerdings über Jahre angesammelt hatte. Und nun durchschnittlich fünf Milliarden Euro jedes Jahr bis 2026?

Im Büro des Fiskalrats hält man dies angesichts der hohen Teuerung für realistisch. Ein Prozent Inflation würde in Berechnungen der Budgethüter etwa 300 Millionen Euro durch die kalte Progression einbringen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten lag die Teuerung aber nur zweimal über drei Prozent, durchschnittlich sogar nur bei 1,88 Prozent. Dass sich nun in nur vier Jahren ein Volumen von 20 Milliarden Euro ergebe, liege an der derzeit enorm hohen Inflation.

Die in einem ökonomischen Fachartikel geäußerten Befürchtungen, dass durch die jährliche Anhebung der Steuertarifstufen im Ausmaß der Inflation weit mehr kompensiert als tatsächlich eingenommen würde - die "Wiener Zeitung" berichtete -, teilt man im Büro des Fiskalrats nicht. Allerdings wird auch auf unterschiedliche Definitionen der kalten Progression verwiesen.

Das lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren, bei dem eine Arbeitnehmerin eine Lohnerhöhung in Höhe der Teuerung erhält. Bleiben die Tarifstufen fix, rückt sie mit mehr Einkommensteilen in ihre höchste Stufe, ihr Durchschnittssteuersatz steigt. Dabei verdient sie nur nominell mehr, die Lohnsteigerung gleicht nur den Kaufkraftverlust aufgrund der Inflation aus. Dennoch muss sie mehr Steuern zahlen, das ist das Musterbeispiel der kalten Progression. Wenn diese Arbeitnehmerin im Vorjahr aber viel mehr Überstunden geleistet hat, kann ihre gesamte Steuerleistung am Ende trotzdem geringer ausfallen. Ist sie nun von kalter Progression betroffen oder nicht? Das ist eine definitorische Streitfrage. Einerseits rückt die Arbeitnehmerin mit ihrem regulären Gehalt in höhere Tarifstufen, andererseits leistet sie im zweiten Jahr insgesamt weniger Steuern - weil sie zuvor mehr gearbeitet hat.

Inflationseffekt auch ohne kalte Progression

Der Ökonom Peter Brandner sieht diesen Effekt als sehr bedeutsam. Mit seinem Berechnungsansatz kommt er auf ein budgetwirksames Delta von mehr als 12 Milliarden Euro bis 2026 heraus. Durch einen "Tarif auf Rädern" erwirtschafte man erhebliche Mindereinnahmen, die Lohnsteuerquote würde dramatisch absinken. Im Büro des Fiskalrats glaubt man zwar auch, dass es kurzfristig zu einem Absinken der Lohnsteuerquote käme, diese danach aber wieder ansteige. Auf die gesamten vier Jahre bis 2026 gerechnet, bliebe sie weitgehend auf einem Niveau.

Budgetär berücksichtigt werden müsse auch der Inflationseffekt. Gemeint ist damit, dass durch die Anpassung der Tarifstufen zwar der Durchschnittssteuersatz konstant bleibt, durch die Lohnerhöhung insgesamt aber mehr Einkommen versteuert wird. Der Effekt ist budgetär relevant, heißt es aus dem Fiskalratsbüro. Auch ein Anstieg der Beschäftigung lässt die Lohnsteuereinnahmen steigen.

Sollte es zu Gehaltsabschlüssen unter der Inflationsrate kommen, genauer gesagt: unterhalb jener Rate, mit der die Steuerstufen angehoben werden (dafür wird immer der Zeitraum Juli bis Juni herangezogen), steigt der Finanzminister aber jedenfalls nicht gut aus. Das sieht man auch im Büro des Fiskalrats so. Im ersten Jahr 2023 wird der Anpassungsfaktor aber nur knapp über fünf Prozent liegen, die Gehaltabschlüsse im Herbst (mit höherer Teuerung als Basis) könnten darüber sein.

Rechnungshof sorgt sich ums Budget

Am Freitag ist die Begutachtungsfrist für das "Teuerungs-Entlastungspaket Teil II" ausgelaufen, in dem sich die Abschaffung der kalten Progression verbirgt. Der Rechnungshof stellt in seiner Stellungnahme (auch zu anderen Unterstützungs-Maßnahmen) fest, dass es "zu einer Erhöhung der Auszahlungen und gleichzeitig zu einer Kürzung der Einzahlungen" komme, was "einen weiteren Anstieg des öffentlichen Schuldenstands zur Folge haben wird". Maßnahmen gegen die Teuerung brauche es zwar, der Rechnungshof weist aber "auf die gebotene Sicherstellung nachhaltiger öffentlicher Finanzen im Sinne der nächsten Generationen hin".

Der ÖGB fordert in seinem Schreiben darüber hinaus auch Anpassungen des Werbungskostenpauschale und von Steuerfreibeträgen, wie der Schmutz-, Erschwernis- und Gefahren- sowie der Sonntags-, Feiertags- und Nacht-Zuschläge. Diese seien schon seit Jahren nicht mehr angehoben worden. Auch das Kilometergeld soll erhöht werden. Es sei "sachlich ungerechtfertigt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nun die erhöhten Treibstoffpreise abfedern müssen".

Verteilungsgerechtigkeit laut ÖGB nicht gewährleistet

Beim ÖGB ärgert man sich auch, nur peripher eingebunden worden zu sein. Eine Arbeitsgruppe habe nur einmal getagt, weitere Treffen seien dann zwar lose angekündigt, aber nie vereinbart worden. Die Gewerkschaft sorgt sich speziell um die Verteilungswirkung der Abschaffung der kalten Progression. Dass zwei Drittel der kalten Progression automatisiert angepasst würden, führe dazu, dass obere Einkommen weitaus stärker profitieren als die unteren Einkommen, moniert der ÖGB.

Das verbliebene dritte Drittel der Entlastung, das sich die Politik als Spielraum behält, soll dazu genutzt werden, Über- und Unterkompensationen auszugleichen. Die Daten des im Gesetz verankerten "Progressionsberichts", den die Institute Wifo und IHS jährlich vorlegen sollen, reichen der Gewerkschaft nicht aus. "Wir empfehlen dringend, auch die Betroffenheit verschiedener Gruppen von der Teuerung zu integrieren. Denn die Gestaltung des politischen Drittels soll auf Basis sachlicher Informationen - und vor allem sozial verteilungsgerecht - und nicht rein aufgrund politischer Kompromisse erfolgen."