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Heiße Verhandlungen um Athen

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Rätsel um möglichen Rettungsplan. | Pröll sieht "viele Fragen, keine Antworten". | Brüssel. Das Tauziehen um die Notfallhilfen für das am Abgrund stehende Euroland Griechenland sollte am Montag in eine entscheidende Runde eintreten. Bis zuletzt war unklar, ob beim Treffen der Finanzminister der Eurozone bereits eine Entscheidung zu konkreten Maßnahmen getroffen werde. | Kritik an der deutschen Exportstärke


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"Seit ich dabei bin, war noch nie eine Eurogruppensitzung so offen wie diese", sagte der österreichische Vizekanzler Josef Pröll.

Es gehe erstens darum, den von Griechenland eingeschlagenen Weg zusätzlicher nationaler Sparmaßnahmen zu evaluieren. Athen habe das klare Signal in Richtung der Finanzmärkte gesandt, den Pfad einhalten zu wollen und das Rekorddefizit von 12,7 Prozent vom Vorjahr noch heuer um vier Prozent zu reduzieren. "Das kann sich sehen lassen und ist sehr positiv", so Pröll. Durch die griechischen Nachbesserungen ergebe sich eine neue Diskussionsbasis.

Zweitens müsse ausgelotet werden, wie eine allfällige Hilfestellung für die Griechen technisch überhaupt machbar sei. "Konkret zeichnet sich nichts ab", meinte der österreichische Finanzminister. Es gebe viele offene Fragen, aber keine Antworten und daher auch noch keine Basis für gemeinsame Hilfen. Entscheidend sei hier, die Meinung der EU-Kommission einzuholen. Wirtschaftskommissar Olli Rehn hatte stets erklärt, dass er bereitstehe, gangbare Wege auszuarbeiten.

Im Grunde gibt es zwei Hürden für direkte Finanzhilfen an die Griechen: Erstens verbietet der berühmte Artikel 125 des Lissabonner Vertrags Euroländern, für andere Eurogruppenmitglieder finanziell geradezustehen. Anders als für die Nicht-Euro-Länder Ungarn, Lettland und Rumänien darf die EU-Kommission nach bisheriger Vertragsauslegung keine Zahlungshilfen leisten. Zweitens soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass eine Pleite aufgrund nachlässiger Haushalts- und Wirtschaftspolitik wie die griechische der letzten Jahre ohnehin von den Euro-Kollegen abgefangen werde.

Erklärungsnotstand

Für beide Probleme wird seit geraumer Zeit an glaubwürdigen Antworten gefeilt, welche die Stabilität der Eurozone nicht untergraben. Eine mögliche Antwort auf das rechtliche Problem ist dabei ziemlicher technischer Natur: Keineswegs werde direkt für die griechischen Schulden garantiert oder gehaftet, lautet das Argument. Durch den Aufkauf von Anleihen der Griechen, die am Finanzmarkt sonst niemand will, werde man vielmehr zum Gläubiger Griechenlands. De facto würden Kredite durch Länder der Eurozone gewährt, die es sich noch leisten können. Die größten Brocken entfielen wohl auf Deutschland, Frankreich und die Niederlande.

Heikel das politische Problem: Denn fast alle sind sich einig, dass Griechenland im Fall der tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit weder fallen gelassen noch aus der Eurozone ausgeschlossen werden könne. Das würde allgemein als Anfang vom Ende der Gemeinschaftswährung angenommen. Doch widerstrebt es den Säckelwarten in Berlin und Paris, einzuspringen, bevor die Griechen nicht alles in ihrer Macht stehende getan haben, um selber aus der Misere herauszukommen. Das ist die erste Priorität, betonen alle nicht-griechischen Spitzenpolitiker gebetsmühlenartig. Schließlich ist es auch den eigenen Steuerzahlern schwierig zu erklären: Es muss einem Land ausgeholfen werden, das schon den Eintritt in die Eurozone nur mit der Hilfe kreativer Buchführung geschafft und diese Praxis bis letzten Herbst auch beibehalten hat.

Klar machte Pröll erneut, dass die eventuelle Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) zur künftigen Rettung von Eurostaaten in Problemen für Griechenland keinesfalls rechtzeitig kommen werde. Über die Details der Ausgestaltung eines solchen Fonds wisse er noch zu wenig Bescheid, um ihn zu bewerten. Ebenfalls keine Angaben könne er für den möglichen Umfang eines Hilfspakets für die Griechen machen - "es liegt noch keine Zahl auf dem Tisch." Kolportiert wurde in verschiedenen Medienberichten über die letzten Tage allerdings ein Umfang des Rettungspakets von 22 bis 25 Milliarden Euro. Der gesamte Umschuldungsbedarf des maroden Eurolandes für das laufende Jahr liegt bei rund 54 Milliarden Euro.

Wissen: Die Rettungsoptionen

(hes) Die Eurozone steckt in einem Dilemma: Rettungsmaßnahmen sind nahezu unmöglich, weil Deutschland zum Start der Währungsunion gedrängt hat, eine sogenannte "No-Bail-out-Klausel" (Artikel 125) in den Verträgen zu inkludieren. Diese besagt, dass ein Euro-Teilnehmerland nicht für Verbindlichkeiten und Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss. Allerdings erlaubt Artikel 122, Ländern, die unverschuldet in Not geraten sind, zur Hilfe zu eilen.

Für Nicht-Euroländer wie Ungarn hat die Kommission bereits direkte Zahlungsbilanzhilfen geleistet - innerhalb der Eurozone ist das nicht möglich. Rechtlich fraglich sind direkte Kredite, die den Griechen bilateral gewährt werden könnten. Wie die "Wiener Zeitung" exklusiv berichtete, sind europäische Gemeinschaftsanleihen ("Eurobonds") auf hoher EU-Beamtenebene ein Thema: Hier würde die bessere Zahlungsfähigkeit der Währungsgemeinschaft verwendet, um günstig neue Schulden aufzunehmen. Politisch ist dafür aber noch kein Wille vorhanden. Als Option könnten staatsnahe Banken einzelner Staaten notfalls griechische Staatsanleihen ankaufen und so deren Verzinsung drücken.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln würde Kredite des Internationalen Währungsfonds bevorzugen, weil so ein ökonomisches Urteil durch neutrale Sachwalter gewährleistet sei. Politisch gilt das als ausgeschlossen: Die Länder der Eurozone befürchten eine Einflussnahme Washingtons, zudem wäre es ein Schlag für die Reputation des Euro.

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble schlug jüngst einen Europäischen Währungsfonds vor. Dafür müsste aber wohl der Vertrag von Lissabon neu ratifiziert werden. Auch die Dotierung ist umstritten. Manche Experten vermuten deshalb, dass Schäuble gerne ein Euro-Austrittsprozedere für Problemstaaten etabliert hätte. Dieses Szenario ist bisher nicht vorgesehen und faktisch undenkbar: Der betroffene Staat könnte zwar seine neue, alte Währung abwerten, würde aber zum Paria der Finanzmärkte.