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"Verträge mit mehreren Lieferanten und Subunternehmern aushandeln, finanzielle Mittel beschaffen, Waren befördern, lagern, zustellen, Unterlagen ausstellen, die Sicherheit der Abläufe gewährleisten". So könnten die Abläufe in einem international tätigen Unternehmen beschrieben werden. Doch in diesem Fall handelt es sich um die Beschreibung von Organisierter Kriminalität (OK) in einem Bericht der Europol, der vor Augen führt, wie gut die kriminellen Aktivitäten organisiert sind.
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Die Balkanstaaten haben aufgrund ihrer geografischen Lage für die Verbrecher-Banden einen besonderen Stellenwert: Abgesehen von Korruption und Kriminalität im jeweiligen Land gelten sie als wichtige Transitländer. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt zwischen Europa und dem Nahen Osten.
Das lukrativste Geschäft sei nach wie vor der Drogenhandel - mit den EU-Ländern als Abnehmer, geht aus dem Bericht über die organisierte Kriminalität 2003 (OCR) der Europäischen Union bzw. der europäischen Polizeibehörde Europol hervor. Und wie in der regulären Wirtschaft herrscht auch zwischen den kriminellen Gruppen rege Konkurrenz. So würden laut Europol zum Beispiel albanische Gruppierungen dem in der EU türkisch dominierten Heroinhandel zunehmend das Wasser abgraben. Aber auch der Autodiebstahl erfreut sich großer Beliebtheit. Nach Angaben der Europol werden weltweit jährlich 3 Millionen Autos gestohlen, eine Million davon in Europa. Der Reingewinn organisierter krimineller Vereinigungen, die sich mit dem Weiterverkauf befassen, beträgt nach Schätzungen 3,8 Mrd. Euro. Das entspreche fast dem Gewinn aus dem Drogenhandel. Viele Fahrzeuge - besonders jene der Luxusklasse - kommen aus Italien, Spanien und anderen westeuropäischen Ländern und werden meist nach Südosteuropa geschmuggelt. Billigere Wagen werden "ausgeschlachtet", um Ersatzteile zu gewinnen.
"Mit Drogen wird das meiste Geld gemacht", meint Norbert Mappes-Niediek, Freier Journalist und Autor des Buches "Balkan-Mafia" gegenüber der "Wiener Zeitung". Weitere dominante kriminelle Geschäftszweige seien der Menschenhandel - insbesondere mit Frauen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, der Handel mit Waffen und der Schmuggel mit grundsätzlich legalen Waren, wie Zigaretten oder Benzin.
Für den Schmuggel über den Balkan gebe es zwei klassische Routen, erklärt Mappes-Niediek: Erstens von der Türkei über Bulgarien und die Länder des ehemaligen Jugoslawien nach Österreich; zweitens von Bulgarien über Mazedonien zu den albanischen Häfen - von dort gingen die Waren (oder Menschen) dann weiter in die wichtigsten Zielländer der EU. Zum Beispiel Drogen nach Deutschland und Italien sowie Frauen nach Italien, Deutschland und in die Schweiz. Die Ausgangsländer lägen oft ganz wo anders, erläutert Mappes-Niediek. Drogen kommen unter anderem aus Afghanistan und dem "Goldenen Dreieck" Laos - Kambodscha - Thailand. Die verschleppten Frauen vor allem aus Weißrussland und Moldawien, aber zum Teil auch aus Albanien.
Wenn die staatlichen Strukturen nicht funktionieren . . .
Die Ursache für die Kriminalität am Balkan seien aber nicht etwa schlechte Menschen, sondern die nicht funktionierenden Staaten, betont Mappes-Niediek: "Politiker und Beamte sind leicht bestechlich, das macht die Region zu einem Paradies für Schmuggler und Kriminelle".
Diesem Paradies wollen verschiedene europäische und internationale Organisationen wie EU, Europarat und OSZE, den Garaus machen. Sie versuchen mit verschiedenen Maßnahmen und Initiativen die Kriminalität am Balkan einzudämmen. Diese Aktivitäten schlagen sich zumeist auch in Form von Ankündigungsformulierungen in den Medien nieder: "Mit einem Zeugenschutzprogramm wollen sieben südosteuropäische Länder künftig wirksamer gegen Menschenhandel vorgehen ...", darüber hätten sich die Innenminister und Justizminister von Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, Albanien, Mazedonien sowie Bulgarien und Rumänien
verständigt, erfuhren wir
etwa Ende vergangenen Jahres. "Rumänien will die Korruption im öffentlichen Dienst mit der Erhöhung der Beamtenbezüge bekämpfen . . .", der entsprechende Gesetzesentwurf sei heuer im April diskutiert worden - mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes rechne man aber erst im kommenden Jahr. Und immer wieder: Bei der Aufklärung der Verbrechen müsse der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Behörden verstärkt werden.
Mappes-Niediek betrachtet die Initiativen der internationalen Gemeinschaft kritisch, denn diese seien immer auf die Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung bzw. den Staatsorganen angewiesen. "Das macht die Sache schwierig, weil die ja oft Teil des Problems sind", bringt er das Dilemma auf den Punkt.
Eine wesentlich positivere Sicht der Dinge hat natürlich der Europarat, der mit dem neuen Projekt PACO-IMPACT der Korruption in den Ländern des Westbalkan zu Leibe rücken will. PACO-IMPACT steht für "Programm gegen Korruption und organisiertes Verbrechen in Südosteuropa" und hat zum Ziel, die Balkan-Länder bei der Umsetzung ihrer Anti-Korruptions-Strategien zu unterstützen. "Es gibt Fortschritte", ist Alexander Seger vom Europarat (Abteilung Kriminalitätsbekämpfung) überzeugt. Immerhin hätten inzwischen alle Balkanländer die Strafrechts- und Zivilrechtskonvention des Europarates ratifiziert und damit auch einer Evaluierung zugestimmt, denn die Umsetzung der Konventionen wird durch die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) bewertet. Italien und Österreich hätten diese Konventionen übrigens noch nicht ratifiziert, bemerkt Seger.
Doch obwohl die Länder Südosteuropas große Fortschritte gemacht hätten, bleibe die Lage schwierig, meint Seger, da die Entwicklung immer auch stark von Einzelpersonen abhänge. Wenn es also in einem Land einen Regierungswechsel gibt, so kann sich wieder vieles ändern. Von der Sinnhaftigkeit der Aktionen zur Bekämpfung von Korruption und Kriminalität ist Seger jedenfalls überzeugt: "Ich glaube, dass wir in 10 bis 15 Jahren zurückblicken und sagen werden, dass sich die Maßnahmen - die wir jetzt begründet haben - gelohnt haben." n
Buchtipp: Norbert Mappes-Niediek: "Balkan-Mafia. Staaten im Griff des Verbrechens - Eine Gefahr für Europa". - Berlin, 2003, Verlag Christoph Lins, 190 S., ISBN 3-86153-284-0