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Heißes Werben um launische Lieben

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

Stargast "Mr. Flat tax" Ivan Miklos. | Ex-Finanzminister wirbt für radikale Wirtschaftsreformen. | "EU verschließt die Augen vor der wirtschaftspolitischen Realität". | Wien. Von einer Ehe auf Lebenszeit halten sie nichts, eher schon gleichen sie Partnern auf der steten Suche nach neuem Glück, allzeit offen für neue Beziehungen. Die Rede ist von Headquartern, also strategischen Zentralen internationaler Großunternehmen, um deren Sitz längst ein leidenschaftliches Werben von Städten, Regionen und Staaten in vollem Gang ist.


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Dem Kampf um die Headquarters widmete sich am Dienstag Abend eine prominent besetzte Veranstaltung von Management Club, Wiener Städtische und "Wiener Zeitung". Stargast im Wiener Palais Ferstel vor 300 Zuhörern war Ivan Miklos, der 2004 als slowakischer Finanzminister die Flat tax von 19 Prozent für Unternehmen bei konsequenter Streichung sämtlicher Ausnahmen einführte - und damit die Slowakei zu einem wirtschaftlichen Boomland machte. Mit ihm am Podium: Martin Simhandl, Vorstandsdirektor der Wiener Städtischen, und der Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes und ÖVP-Mandatar, Karlheinz Kopf.

Für Miklos hat der Wettbewerb um Investitionen und Humanressourcen Priorität vor der Ansiedlung von Headquarters. Im Rennen um die besten Rahmenbedingungen sieht er in Europa zwei Wirtschaftssysteme miteinander konkurrieren:

das angelsächsische Modell, das sich in erster Linie durch geringe staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sowie geringe Steuersätze auszeichnet;

sowie das europäisch-kontinentale Modell, mit starkem wirtschaftlichem Einfluss des Staates sowie hohen Steuersätzen.

Höheres Wachstum dank niedriger Steuern

Es könne kein Zufall sein, so Miklos, dass sämtliche erfolgreichen Reformstaaten - allen voran das Baltikum, die Slowakei, aber auch Irland - wirtschaftspolitisch auf das angelsächsische Modell setzten. Das Wirtschaftswachstum im Baltikum liegt bei über 8 BIP-Prozent, in der Slowakei bei 9 Prozent. Dagegen dümpeln Ungarn, Tschechien oder Polen, die auf das kontinental-europäische Modell setzten, bei mageren 4 Prozent herum.

Der ehemalige Finanzminister, der seit dem Machtwechsel in der Slowakei bei den Wahlen 2006 wieder einfacher Abgeordneter der Demokratischen und Christlichen Union (SDKU) ist, zeigt sich überzeugt, dass dieser Unterschied im direkten Zusammenhang mit den wesentlich niedrigeren Steuersätzen und dem geringeren Anteil öffentlicher Ausgaben am BIP im angelsächsischen Modell steht. Dabei betont Miklos, dass höheres Wirtschaftswachstum nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für wachsenden Wohlstand sei. Miklos: "In der Wirtschaft geht es nie um ein Nullsummenspiel, sondern stets um eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, nur das wollen die Populisten aller Lager nicht verstehen."

Der EU wirft Miklos vor, in wirtschaftspolitischen Fragen zu oft die Augen vor der Realität zu verschließen. Ein zentrales Problem sieht er in der Nichtvollendung des einheitlichen Binnenmarktes etwa in Fragen von Dienstleistungen, Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Finanzen. Und auch die Versuche der Kommission, über eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen für Unternehmensbesteuerung einen Wettbewerb der Steuersätze in Europa zu unterbinden, sind für Miklos fatal.

Den Vorwurf, dass von niedrigeren Steuersätzen vor allem Unternehmen und Reiche auf Kosten der Arbeitnehmer profitierten, wies er zurück - vor allem mit dem Hinweis auf die seit den Reformen gestiegenen Steuereinnahmen. Und nicht zuletzt habe ja auch die jetzige links-populistische Regierung praktisch keine der Reformen zurückgenommen.

Wie wichtig ist der Eigentümer?

In der Podiumsdiskussion, die von "Wiener Zeitung"-Chefredakteur Andreas Unterberger geleitet wurde, stand die Frage im Mittelpunkt, wie wichtig überhaupt in einer immer enger zusammenwachsenden Welt die Frage ist, wo ein Unternehmen sein Headquarter hat. Immerhin versteuert etwa der Mehrheitseigentümer des schwedischen Möbelbauers Ikea sein Vermögen in der Schweiz, die Firma selbst in den Niederlanden, während der Konzern ungebrochen mit seinen Produkten ein spezifisch schwedisches Image verbreitet.

Für Karlheinz Kopf geht es hier vorrangig darum, wo Direktinvestitionen und Wertschöpfung stattfinden. Angesichts der Tatsache, dass genügend Kapital auf der Welt verfügbar sei, seien andere Faktoren wie Humanressourcen, Infrastruktur oder zunehmend auch die Energieversorgung entscheidend für eine Ansiedlung. Kopf: "Firmen Fesseln anzulegen, funktioniert nicht."

Ob damit die Frage nach dem Mehrheitseigentümer obsolet sei, bohrte Unterberger mit Verweis auf die ewige Diskussion um österreichische Kernaktionäre nach. Letztlich bleibe auch ein österreichischer Eigentümer nur im Land, wenn die Rahmenbedingungen stimmten, so Kopf, der wenig von patriotisch angehauchten "Herz-Schmerz-Entscheidungen" hält. Dieser Einschätzung schloss sich auch Miklos an, der rhetorisch nach der Nationalität multinationaler Unternehmen fragte.

Simhandl dagegen wollte die Frage nach dem Eigentümer nicht so voreilig vom Tisch gewischt wissen. Ein strategischer Eigentümer ist aus Sicht des Versicherungsmanagers sehr wohl von Bedeutung. Dass in diesem Punkt die Slowakei so gar keine Emotionen zeigt, führt er auf die Notwendigkeiten des Aufholprozesses zurück: "Vielleicht denkt das Land ja anders, wenn es diesen Prozess erfolgreich abgeschlossen hat."

Dass ein transparentes Steuersystem von Vorteil im Standortwettbewerb ist - und hier wiederum die Vermeidung von Doppelbesteuerungen von Mutter- und Tochterunternehmen - betonte aber auch Simhandl. Hier hätten die Reformstaaten durch den EU-Beitritt einen wesentlichen Schritt nach vorn gemacht.

Und was sollte Österreich tun, um in Sachen Standortwettbewerb noch besser zu werden? Vor allem das restriktive Arbeitsrecht für Ausländer liberalisieren, forderte eine Managerin aus dem Publikum. Daran arbeite man, antwortete Kopf auf diesen Vorwurf - "hier ist sicherlich mehr Flexibilität angesagt, in saturierten Gesellschaften kommt man aber nur in kleinen Schritten voran."

Wissen: Was ist ein Headquarter?

Ein Headquarter - mitunter wird auch der Begriff Leading Competence Units (LCU, Entscheidungs- und Kompetenzzentren) verwendet - ist der Hauptsitz eines internationalen Unternehmens.

Aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung haben große Unternehmen zumeist mehrere Headquarters: Ein Global Headquarter für die weltweite Steuerung, regionale Headquarters für entsprechende Märkte, etwa für Europa, Asien oder die Vereinigten Staaten, sowie nationale Headquarters.

Je nach Organisationsstruktur sind bei Headquarters Unternehmensfunktionen wie Forschung und Entwicklung, Marketing oder Finanzwesen in unterschiedlichem Umfang angesiedelt. Daher muss der Sitz eines Headquarters an einem Standort nicht unbedingt gleichbedeutend sein mit der dort angesiedelten Zahl der Arbeitsplätze eines Unternehmens.

Für die regionale Wirtschaftskraft ist die Ansiedlung eines Headquarters vor allem aufgrund der sich daraus ergebenden Impulse für unternehmensnahe Dienstleistungen wie Consulting, Rechtsberatung und Kommunikation wichtig.