Mitten im Hochsommer gibt es bemerkenswerte Durchbrüche in der Klimafrage.
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"All das - die Zukunft der USA, die internationalen Themen - wird egal sein, wenn wir den Klimawandel nicht endlich ernst nehmen, wenn wir nicht den Planeten retten." Diese Aussage in einem Fachgespräch vor wenigen Wochen kam ausgerechnet von James Clapper, einem Doyen des US-Geheimdienstes.
"Wir müssen die Klimakrise auf der internationalen Agenda ganz nach oben setzen. Als starke Industrienationen müssen wir hier Führungsstärke beweisen", betonte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock jüngst in einer Rede.
"Das Gelingen der Klimawende entscheidet sich an nicht-technischen und technischen Transformationen und Innovationen gleichermaßen", unterstrichen 70 von der Autorin befragte österreichische Vorreiter und Entscheider einstimmig in der Studie "Regionen am Weg zum European Green Deal" vor wenigen Monaten.
Was verbindet diese drei Aussagen? Sie alle kommen von Führungsebenen. Sie erkennen an, dass die Gestalt und Dimension der Dekarbonisierung des Wirtschaftskreislaufs und des konsequenten Natur- und Ressourcenschutzes beziehungsweise der Wiederherstellung von Ökosystemen von einer sui generis Qualität sind; von einer überbordenden Dringlichkeit auf der Zeitachse, von einer Einzigartigkeit auf der Handlungsachse.
Vier wegweisende Entscheidungen
Diese Sätze lassen anklingen, dass uns der Umbau einen Aufbruch in ein noch unbekanntes kulturelles Paradigma abverlangt: Wir können uns noch nicht vorstellen, wie wir uns in Zukunft verhalten werden, wie wir Konflikte aushandeln. Doch wir erahnen, dass der profunde Umbau von Wertesystemen, Wertschöpfungsketten und Wirtschaft hin zur Klimaneutralität die Herausforderungen sämtlicher Großprojekte des 20. Jahrhunderts übertrifft: Die diplomatische und sicherheitspolitische Dimension der Klimakrise übersteigt jene des Kalten Krieges und des gegenwärtigen russischen Angriffskrieges in der Ukraine.
Die Herausforderung beim Klima übertrifft aber auch die Dimension des Marshall-Plans, des EU-Vertrags von Maastricht 1992 und der Euro-Einführung in Bezug auf die Staatskunst, die internationale Zusammenarbeit und die Einigung auf Normen und Standards. Schließlich übertrifft die notwendige planetarische Wende sogar die Dimension der "Apollo"-Mondmissionen, was die Notwendigkeit sektorübergreifender, multidisziplinärer Innovationssprünge angeht.
Bezeichnend ist, dass sich diese Erkenntnis nun rasant auf den Führungsetagen verbreitet. In der scheinbaren Stille des Hochsommers gab es vier wegweisende Entscheidungen: in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, im Auswärtigen Dienst der EU, im US-Kongress und in einer der weltweit größten privaten Stiftungen, der Rockefeller Foundation. Was ist geschehen?
UN-Resolution zum Recht auf eine saubere Umwelt
Die Vereinten Nationen haben am 28. Juli 2022 das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Menschenrecht anerkannt. Eine Gruppe von Ländern hatte den Text eingebracht. Fast alle UN-Mitgliedstaaten stimmten zu (161 dafür; 8 Enthaltungen, keine Gegenstimme). Die Entschließung ist zwar nicht rechtsverbindlich. Doch sie gilt als "historischer" Schritt und als Aufruf an Regierungen, internationale Organisationen und die Wirtschaft.
Dies zeige, dass die Gemeinschaft der Staaten im Kampf gegen Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und Umweltverschmutzung zusammenfinden könne, erklärte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. "Die Resolution wird helfen, ökologische Ungerechtigkeiten zu verringern, Lücken im Schutz zu schließen und Menschen zu stärken, besonders solche in vulnerablen Situationen", so Guterres. Auch die internationale NGO-Szene begrüßte die UN-Resolution als ein Instrument im Kampf gegen große Verschmutzer.
"Digitale Diplomatie" der Europäischen Union
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte am 18. Juli an, dass die EU ein Büro in San Francisco eröffnen werde. Es gehe um die Stärkung der "Digitalen Diplomatie". Laut Beobachtern solle das Büro nahe des Silicon Valley dabei helfen, die möglichen regulatorischen Anforderungen der Technologiewirtschaft frühzeitig zu erkennen. Der Schritt folgt in diesem Falle dem nach, was im Außenministerium des kleinen EU-Mitgliedslandes Österreich unter dem Stichwort "Tech Diplomacy" längst zum strategischen Fokus erklärt wurde.
Die Relevanz für die Klimadiplomatie? Der Schritt verdeutlicht, dass man sich in der EU-Diplomatie nun strukturell bewegt. Man wendet sich neben zwischenstaatlichen Beziehungen auch grenzüberschreitenden, drängenden Themenfeldern zu. Die "Digitale Diplomatie" beziehungsweise "Tech-Diplomacy" als möglicher Vorreiter also für eine beherzte EU-Klima- und ökologische Diplomatie von morgen.
Milliardenschweres US-Klima- und Sozialpaket
Ein Wendepunkt auch im US-Kongress am 29. Juli: Der demokratische Senator Joe Manchin aus Virgina hat seinen Widerstand gegen das milliardenschwere Klimapaket von US-Präsident Biden aufgegeben. Das Paket sieht vor, dass bis 2030 knapp 400 Milliarden Dollar in die Energiewende und weitere Klimaschutzmaßnahmen fließen. Das Klima- und Sozial-Paket muss jetzt allerdings noch durch den Senat; danach muss es im Repräsentantenhaus beschlossen werden.
Klima an der Spitze der Rockefeller-Strategie
Die vierte bemerkenswerte Entscheidung: Am 29. Juli veröffentlichte Rajiv J. Shah, der Vorsitzende der Rockefeller Foundation, die neue Strategie dieser privaten Organisation. "Die Stiftung wird das Klima an die Spitze unserer programmatischen, operativen und Investitionsstrategien stellen." Der Schritt hat hohen Symbolcharakter, denn er kommt von einer der größten Stiftungen der USA und noch dazu von einer, die vom Ölmagnaten John D. Rockefeller Senior gegründet wurde und durch die Förderung von Öl zu Reichtum kam.
Die neue Ausrichtung folgt den bereits vor zwei Jahren erfolgten Aufkündigungen in Investitionen in die fossile Brennstoffindustrie. "Wir werden konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Art und Weise zu verändern, wie die Menschheit Landwirtschaft und Ernährung betreibt, ihre Gemeinden und Häuser mit Strom versorgt, Krankheiten vorbeugt und sich vor ihnen schützt und wie sie lebt und arbeitet", so Shah.
Konkrete Schritte als Ergebnis eines aktiven Ringens
Diese vier Ereignisse sind im historischen und weltpolitischen Kontext kleine, aber wesentliche Schritte: Sie sind allesamt konkret. Sie erinnern an die Notwendigkeit internationaler Kooperation. Doch was noch stärker wiegt: Sie stellen das Ergebnis eines aktiven Ringens innerhalb von Organisationen und Zusammenkünften dar. Die vier Entscheidungen verdeutlichen, wie unabdingbar das entschlossene, professionelle und detailreiche Aushandeln von Konflikten bleibt, wie lohnenswert das hartnäckige Bohren dicker Bretter gegenüber Führungsetagen und Gremien.
Die vier Durchbrüche lenken die Aufmerksamkeit somit auf die tausenden "Intrapreneurs", also die anpackenden Vorwärtsorientierten in bestehenden Strukturen, ob Politik und Verwaltung, Privat- oder Zivilgesellschaft. Eine schöne Ouvertüre für das am 21. August beginnende Europäische Forum Alpbach.