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Helfen statt Strafen · Der außergerichtliche Tatausgleich

Von Ferdinand Krenn

Politik

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Ab 1. Jänner 2000 können sich auch Erwachsene offiziell außergerichtlich einigen · das wurde am 25. Februar im Parlament mit der Strafprozeßnovelle 1999 beschlossen.

Beispiele für außergerichtlichen Tatausgleich im Alltag schildert Bewährungshelfer Andreas Zembaty:

Hektische Parkplatzsuche. Streit um den Parkplatz. Tätlichkeiten. Täter und Opfer können statt vor dem Bezirksgericht sich außergerichtlich einigen und in Ruhe über den Vorfall reden. Es stellt sich

heraus, einer war unter extremem Termindruck und neigte deshalb zur Kurzschlußhandlung.

Oder:

Streit mit dem Hausmeister. Die Tragödie mit der aufgehängten Wäsche und den Wäscheklammern war doch nicht so tragisch, wollte doch eine Partei der anderen behilflich sein und die Erregung mit

Watsche ein bedauerlicher Irrtum.

Oder:

Der Jugendliche mit dem Moped hat einen Unfall. Die Knöchel seiner Freundin sind verletzt. Statt ein Verfahren wegen Körperverletzung vor dem Bezirksgericht soll der Jugendliche nicht bestraft,

sondern sinnvoll Wiedergutmachung leisten. Nicht sinnvoll wäre eine Beschäftigung, die den Jugendlichen zwingt, beispielsweise die Böden von Rotkreuzwagen zu reinigen. Sinnvoller ist da der Besuch

eines Schleuderkurses für Mopedfahrer, meint Zembaty.

In der Bewährungshilfe wird der außergerichtliche Tatausgleich (in der Juristensprache "Diversion" genannt) für Jugendliche und Erwachsene schon seit Jahren im Modell erprobt: Bei leichten Delikten

können sich Täter und Opfer außergerichtlich einigen. Statt umständlicher Gerichtsverfahren soll Schadenswiedergutmachung durch Geldbußen oder durch gemeinnützige Tätigkeiten rasch und unkompliziert

erfolgen.

Mitautor Werner Pleischl aus dem Justizministerium sieht auch psychologische Komponenten: Durch Versöhnungen und Aufarbeitung von Konflikten könnte es bei den Opfern mehr Genugtuung und bei den

Tätern mehr Einsehen geben.

Der Gesetzestitel ist bereits Inhaltsangabe und ein eindrucksvolles Beispiel zeitgenössischer, österreichischer, juristischer Sprachkultur:

"Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen über den Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages, nach Erbringung gemeinnütziger Leistungen, nach einer Probezeit und nach außergerichtlichem

Tatausgleich (Diversion) in die Strafprozeßordnung eingefügt sowie das Jugendgerichtsgesetz, das Finanzstrafgesetz, das Strafvollzugsgesetz und das Bewährungshilfegesetz geändert werden

(Strafprozeßnovelle 1999)":

Wiedergutmachung

Wiedergutmachung ist nur möglich, wenn das Opfer einverstanden ist. Ausgenommen sind strafbare Handlungen, die in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fallen, Widerstand gegen

die Staatsgewalt, Sexualdelikte und wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.

Õ Geldbetrag: Der Geldbetrag darf den Betrag nicht übersteigen, der einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens entspricht.

Innerhalb von sechs Monaten sind auch Ratenzahlungen möglich.

Õ Gemeinnützige Leistungen: Innerhalb von sechs Monaten können Wiedergutmachungswillige in ihrer Freizeit bis zu 240 Stunden in einer gemeinnützigen Einrichtung abdienen.

Õ Probezeit: Eine Probezeit von ein bis zwei Jahren mit zusätzlichen Verpflichtungen können unter Betreuung eines Bewährungshelfers vereinbart werden.

Õ Außergerichtlicher Tatausgleich: Der Verzicht auf die Durchführung eines Strafverfahrens oder die Beendigung eines solchen ohne Schuldspruch könnte eine bessere erzieherische Wirkung und eine

bessere Tateinsicht des Verdächtigen bewirken. Diese Modelle wurden für 15.000 Jugendliche und rund 15.000 Erwachsene pro Jahr mit Erfolg erprobt.

Das Gesetz, das den außergerichtlichen Tatausgleich auch für Erwachsene ab dem Jahr 2000 offiziell regelt, wird von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP aber auch von den Grünen und den Liberalen

unterstützt · nur die Freiheitlichen sind dagegen. Sie befürchten, daß Opfer benachteiligt werden könnten.

FPÖ-Justizsprecher Ofner befürchtet, daß ein Opfer nur 10.000 Schilling fordert, obwohl dem Opfer 250.000 Schilling zustehen. Auch lehnt die FPÖ dieses Gesetz ab, weil Delikte mit einer

Strafobergrenze von bis zu fünf Jahren in diese Regelung einbezogen sind, da könnten auch Fälle von Schwerkriminalität erfaßt werden.

Ganz im Gegenteil findet ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter: Die Stellung der Opfer wird entscheidend verbessert. Denn bisher mußten sich die Opfer für eine Entschädigung an ein Zivilgericht wenden.

Jetzt kann durch den Schadensausgleich schneller und unbürokratischer geholfen werden. Fekter erinnerte Ofner an seine Zeit als Justizminister in der Kleinen Koalition. Da wurde unter Ofner der

außergerichtliche Tatausgleich für Jugendliche als fortschrittliche Rechtsreform beschlossen. Warum sollte jetzt diese Regelung für Erwachsene nicht sinnvoll sein?

Die liberale Abg. Heide Schmidt wundert sich, daß Widerstand gegen die Staatsgewalt vom außergerichtlichen Tatausgleich ausgenommen wurde. Sie ist nicht verwundert, daß dieser Vorschlag der ÖVP-Abg.

Fekter im Gesetz berücksichtigt wurde, wundert sich aber, daß die SPÖ dieser Ausnahme zustimmt.

Auch die Abgeordnete der Grünen, Terezija Stoisits, bedauert, daß bei Widerstand gegen die Staatsgewalt mit der Staatsgewalt nicht über Wiedergutmachung verhandelt werden kann, sieht aber in der

Novelle "eine der wichtigsten kriminalpolitischen Maßnahme in der Geschichte".

SPÖ-Abg. Hannes Jarolim sieht künftig die Strafhäufigkeit herabgesetzt und eine Verbesserung für die Opfer.

Justizminister Nikolaus Michalek erinnerte daran, daß Wiedergutmachung nur mit Zustimmung des Opfers erfolgen kann und daß sich der außergerichtliche Tatausgleich seit Jahren schon im

Jugendstrafrecht bewährt hat.

Auf Verlangen der Freiheitlichen wird eine namentliche Abstimmung durchgeführt: Abgegebene Stimmen 137, davon 109 Ja und 28 Nein. · Ab 1. Jänner 2000 können sich dann auch Erwachsene offiziell um

außergerichtlichen Tatausgleich bemühen.Õ

Ferdinand Krenn ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion