Christian Steiof über Rocker-Mentalität und Einschüchterungsstrategien.
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Hells Angels und Bandidos sind in Deutschland seit Jahren auf dem Vormarsch, Großeinsätze gegen die Rockerbanden, an denen bis zu 1000 Polizeibeamte beteiligt sind, ändern daran nichts. Die Geschäftsfelder der Kriminellen in Motorradkluft reichen von Drogenhandel bis zur Prostitution. Die "Wiener Zeitung" hat mit Christof Steiof, dem Leiter des Landeskriminalamtes Berlin, gesprochen.
"Wiener Zeitung":Herr Steiof, wie gefährlich sind Hells Angels und Bandidos für den Staat Deutschland?Christof Steiof: Das sind kriminelle Banden, die werden den Staat in seinen Grundfesten nicht erschüttern - allerdings unter der Voraussetzung, dass man das Problem ernst nimmt und mit einer gewissen Stärke und Präsenz dagegen arbeitet. Denn natürlich: In einem bestimmten Umfeld ist es das Ziel von Rockern, zu verunsichern, zu verängstigen und damit Macht auszuüben und auszubauen - und damit natürlich kriminelle Geschäftsfelder von Rauschgift über Rotlicht bis hin zu Waffenhandel, Schutzgelderpressungen zu erschließen.
Wie gefährlich sind Rockerbanden für Bürger wie Sie und mich?
Zielrichtung der Gewalt ist ja nicht in erster Linie der normale Bürger, sondern sind immer die konkurrierenden Gruppen. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer einer Straftat zu werden, ist für Bürger relativ gering. Untereinander sind Rockerbanden extrem verfeindet, das geht bis hin zu Tötungen. Und Rocker sind innerhalb der Gruppierung extrem hierarchisch aufgebaut. Interne Bestrafungsaktionen sind an der Tagesordnung, wenn Leute nicht so mitspielen oder gar mit der Polizei zusammenarbeiten oder vermeintliche Überläufer sind.
Was tut die Polizei gegen diese Banden?
Wir haben aufgerüstet und die Kollegen, die in der Szene tätig sind, massiv verstärkt. Dadurch haben wir in Berlin, aber auch bundesweit relative Rückgänge der Straftaten. Etliche Clubs haben sich auch aufgelöst, um Verboten vorzubeugen. Die Rocker orientieren sich neu. Es herrscht momentan eine gewisse Verunsicherung in der Szene.
Immer wieder hört man, dass Rocker von Polizisten gewarnt werden.
Es gibt immer wieder Einzelfälle, in denen Informationen durchgesteckt werden. Das kann man nicht leugnen. Aber bei der Vielzahl an Mitarbeitern ist das zum Glück ein relativ kleiner Teil. Im Einzelfall sind Polizeibeamte offen für diese klaren Rocker-Strukturen, die ja auch ein bisschen militärisch sind. Es gibt Bekanntschaften auch über Fitnessstudios. Man muss aber auch aufpassen, wenn Rocker behaupten, sie hätten gute Kontakte zur Polizei. Wir müssen mit solcher Information natürlich vorsichtig umgehen. Aber die Rocker wollen jedenfalls verunsichern, auch nach innen.
Was heißt das?
So kann man potenzielle Aussteiger abhalten. Wenn Sie aus einem Rockerclub aussteigen wollen, heißt das, Sie gehen "out in bad standing", bedeutet: Freiwild. Sie können von jedem umgelegt werden. Noch schlimmer ist es, wenn Sie der Polizei Informationen liefern. Wenn sie nach innen suggerieren, sie hätten gute Kontakte in die Polizei, dann werden Sie damit den einen oder anderen Ausstiegs- oder Erzählwilligen extrem einschüchtern: "Wir haben Kontakte, wir wissen relativ schnell, wenn jemand plaudert."
Wer wird Rocker?
Laut Studie des Bundeskriminalamts ist es dem Zufall überlassen, ob ein orientierungsloser Mensch, insbesondere Jugendlicher, letztendlich links oder rechts wird oder Extremist aus dem islamistischen Bereich. Die Grundprobleme sind hier gleich - fehlende Orientierung, bestimmte Wertevermittlung, Zukunftsangst: "Was wird aus mir?" Und ähnlich ist es bei den Rockern. Bestimmte Jugendliche orientieren sich an den relativ klaren Strukturen von Rockerclubs, daran, wer das Sagen hat. Seit einiger Zeit haben wir bundes- aber auch europaweit die Tendenz, dass in Rockerclubs mehr und mehr Menschen mit Migrationshintergrund aufgenommen werden, weil sich die Sozialstruktur in den Städten ändert. Aus der Tradition der Rocker heraus ist das eigentlich undenkbar.
Werben Rocker Mitglieder an?
Was die Propaganda angeht, sind die recht clever. Große Rockerclubs wie Hells Angels Hannover, der jetzt aufgelöst ist, haben auch einen Pressesprecher. Die engagieren sich, stellen sich als die großen Heilsbringer dar, versuchen soziale Projekte zu fördern, um den Anschein zu geben, sie hätten mit kriminellen Machenschaften wenig am Hut. Damit werden sie auch bekannter. Es gibt Zeitungsausschnitte mit Bildern, auf denen sich Hells-Angels-Leute mit Schulklassen ablichten lassen. Da hatten Lehrer die tolle Idee "Mensch, da müssten wir doch eigentlich mal gucken, wie die so sind, die Rocker". So etwas nutzen Rocker natürlich aus, um ihr Image aufzupolieren.
Und welche Rollen spielen Frauen in der Rockerkriminalität?
Keine. Das ist ein total patriarchales System mit klarem Rollendenken. Emanzipation im Rockerbereich gibt’s nicht.
Christian Steiof, Jahrgang 1965, ist seit 1. Mai 2011 Leiter des Landeskriminalamtes Berlin. Vor seinem Amtsantritt leitete er den Berliner Staatsschutz.