Für den Austro-Amerikaner Helmut Kratky hat sich ein Jugendtraum erfüllt: Er lebt heute als Banker in New York. Ein Gespräch über globales Leben, interkulturelle Missverständnisse und Österreichs Chancen auf den US-Märkten. | Wiener Zeitung: Herr Kratky, wie geht es Amerika? | Helmut Kratky: Das vergangene Jahr war in der Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel, ausgenommen vielleicht 1929. Vor etwa einem Jahr ist die Investment-Bank Lehman Brothers pleite gegangen, worauf starkes Misstrauen zwischen den Banken entstand, jeder vermutete Leichen im Keller der anderen. Der Inter-Bankenmarkt hat praktisch aufgehört zu existieren.
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Damals wurde es nahezu unmöglich, Kredite zu bekommen oder zu vergeben. Der Finanzsektor wäre wahrscheinlich vollends zusammengebrochen, wenn die amerikanische Regierung nicht in hohem Tempo, mit faszinierender Aggressivität und kreativen Instrumenten das System am Leben erhalten hätte.
Zögernd begann daraufhin das Overnight-Geschäft wieder anzulaufen, doch zu sehr hohen Kosten. Später hat sich alles einigermaßen stabilisiert. Dass wir heute schon um einiges gelassener in die Zukunft blicken können, verdanken wir zu einem guten Teil dem wirtschaftspolitischen Krisenmanagement.
Dieser Analyse werden vielleicht nicht alle zustimmen. Es gibt ja zwei Pole, zwischen denen die Expertisen schwanken: Die einen sagen, alles ökonomische Glück kommt vom Markt und stellt sich von selber ein; die anderen meinen, dass man den Markt in spezifischen Krisensituationen retten muss. Haben die Interventionisten bisher Recht gehabt?
Absolutely. Nicht alle Maßnahmen waren richtig und nicht alles war perfekt. Der pragmatische Ansatz aber hat sich bewährt: Die US-Administration hat geprüft, wie diverse Wirtschaftskrisen in den letzten Jahrzehnten bewältigt worden sind, was geklappt hat und was nicht, und dann die vielversprechendsten Maßnahmen adaptiert. Der Markt hätte sich wahrscheinlich nicht mehr von selbst reguliert, das Bankensystem wäre zusammengebrochen. Die Bankenwelt gleicht dem Räderwerk einer Uhr, alles ist miteinander verzahnt. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Der große Zusammenbruch ist verhindert worden. Ob jedoch das Wirtschaftswachstum bald wieder auf eine wünschenswerte Höhe kommt, ist eine andere Frage.
Aber ist die Frage, ob es bei einer "Great Recession" bleibt oder es nicht doch noch zu einer "Great Depression" kommt, tatsächlich schon entschieden?
Seit März des heurigen Jahres sehen wir in den USA deutliche Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung. Wir hatten Ende 2008 eine zunehmende Beschleunigung im Niedergang, seit März hat sich der Sinkflug aber verlangsamt. Es ist noch kein Ende der Krise in Sicht, aber eine Trendumkehr. Jetzt sehen wir schon leichte Aufwärtsbewegungen bei einzelnen Indikatoren. In diesem Sinne glaube ich, dass wir das Ärgste überwunden haben.
Auf das große Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre müssen wir aber noch länger warten?
Darüber, wie es weitergehen könnte, gibt es verschiedene Theorien. Ich glaube, dass sich die amerikanische Wirtschaft erholen wird. Unklar ist, in welcher Form diese Erholung stattfindet. Entspricht es einem klassischen "V", wird es ein "U" oder doch ein "W": In diesem Fall stünde uns noch einmal eine Abwärtsbewegung bevor. Ein "V", eine rasche Abwärts-, gefolgt von einer schnellen Aufwärtsbewegung, wird es sicher nicht, aber ein "U" könnte sich ausgehen. Die Möglichkeit, dass es ein "W" wird, ist aber durchaus gegeben. Ich würde die Wahrscheinlichkeit dafür bei etwa 30 Prozent sehen. Ein Teil der Erholung ist auf die wirtschaftlichen Maßnahmen der aktuellen Regierung zurückzuführen - auf das Geld, das die Administration ausgegeben hat. Irgendwann ist damit aber Schluss, und die große Frage ist, ob der Konsument, der in Amerika für 70 Prozent der Wirtschaftsleistung verantwortlich ist, wieder zu kaufen beginnt.
Wie verhält sich der amerikanische Otto Normalverbraucher denn derzeit?
Im Großen und Ganzen steigt die Nachfrage wieder. Das Hauptproblem sind die immer noch steigenden Arbeitslosenzahlen. Im Moment liegen sie bei 9,5 Prozent, das ist hoch. Zu den entscheidenden Fragen gehört also heute auch die: Wann fangen die Firmen wieder an, Leute einzustellen?
In den USA rechnet man heuer mit 1500 Milliarden Dollar Defizit. Ist eine so große Haushaltslücke nicht kontraproduktiv für die Krisenbewältigung?
Die prognostizierten Defizite sind in der Tat bedrückend, zumal in diesem Land. Der Amerikaner wehrt sich instinktiv dagegen, kollektiv Schulden zu machen. Er sieht das nicht als abstrakte Größe, die dem Staat zuzuordnen ist, sondern als konkrete Zukunftsbelastung für seine Kinder. Er denkt: Die müssen später das zahlen, was wir heute ausgeben.
Wenn wir uns die Defizite in den letzten zwanzig Jahren anschauen, zeigt sich aber, dass der Mann, der an der Spitze steht, im Finanzhaushalt enorme Veränderungen bewirken kann. Bush senior ist abgewählt worden unter dem Slogan "It´s the economy, stupid" . Das war umso erstaunlicher, als die Amerikaner durchaus lieben, was sie kennen. Aber eine schlecht gehende Wirtschaft verzeihen sie nicht. Die Clinton-Administration hat sehr hohe Defizite übernommen, acht Jahre später gab es einen Überschuss. Nach acht Jahren Bush junior gab es wieder eine starke Verschuldung und abermals einen demokratischen Nachfolger. Wir werden sehen, wie dieser mit der wirtschaftlichen Hypothek zu Rande kommt. Das Potenzial, selbst ein so gigantisches Defizit zu bewältigen, ist jedenfalls vorhanden.
In Amerika scheinen sich die politischen Lager gegenläufig zu verhalten: Das Lager der Republikaner häuft riesige Schuldenlasten auf, während die Demokraten für den Abbau der Defizite zuständig sind. Der europäischen Linken wird oft Schuldenmacherei vorgeworfen. Lebt die amerikanische Linke im Geist des Sparens? In der Theorie ist das in den USA genauso wie in Österreich, die Praxis hat uns aber das Gegenteil bewiesen. Das hängt mit dem pragmatischen Kern der Politik hierzulande zusammen.
Warum gibt es dann so einen Eiertanz um die Einführung eines für alle Bürger zugänglichen Gesundheitssystems?
Das ist auch für mich ein Rätsel. Das System funktioniert eindeutig nicht, es ist teuer, und viele Politiker haben sich an der Reform schon die Zähne ausgebissen. Für Europäer ist das vollkommen unverständlich.
Europas Politiker, wie Merkel oder Sarkozy, wollen ja auch dem Kapitalismus die Blasen austreiben. In Großbritannien und den USA ist man eher der Meinung, dass Blasen unerlässlich für Dynamik und damit Entwicklungsschübe auch außerhalb der Finanzmärkte sind. Wenn etwas schief geht, genügt ein Rettungseinsatz so wie jetzt eben. Wer hat Recht?
Für die Zukunft ist das schwer zu entscheiden, aber ein Blick in die Vergangenheit ist dabei hilfreich. Wo stand Europa im Jahr 1900, wo Amerika? Und wie konnten die USA sich in nur 100 Jahren so stark entwickeln? Ich klammere jetzt die soziale Frage bewusst aus, wenn ich danach frage, welches System den größten Netto-Wohlstandszuwachs geschaffen hat. Ich glaube, dass letztlich in keinem anderen Land der Welt der Netto-Wohlstandszuwachs über den Zeitraum eines Jahrhunderts ähnlich groß war wie in den USA. Trotz 1929, trotz zweier Weltkriege und einer Anzahl weiterer Konflikte, trotz des Wettrüstens im Kalten Krieg, trotz des Ölschocks. Dieses Wirtschaftsmodell scheint bei allen Mängeln und Unvollkommenheiten der fitteste Athlet im ökonomischen Wettbewerb zu sein. Und einer der Hauptfaktoren für diesen Erfolg ist eine weitgehend freie Wirtschaft.
Das klingt ein wenig nach dem Klischee vom amerikanischen Traum, der unbedingten Chance auf Erfolg . . .
. . . der aus einem gelasseneren Umgang mit Misserfolgen kommt. Trial and Error ist hier ein normales Verfahren. Letztlich findet man nichts dabei, wenn ein wirklich erfolgreicher Unternehmer vorher dreimal in Konkurs gegangen ist, falls er es beim vierten Mal schafft. Man ermutigt die Menschen, Risiko auf sich zu nehmen und keine Angst vor Fehlern zu haben. Ein weiterer, oft übersehener Faktor in der amerikanischen Erfolgsstory ist die "managed migration", die geordnete Zuwanderung. In den USA gibt es nach wie vor ein Bevölkerungswachstum, jedes Jahr kommen 2,5 Millionen Menschen dazu. Und jeder braucht einen Kühlschrank, einen Fernseher, ein Auto, eine Wohnung, ein Haus. Ein guter Teil des Wirtschaftswachstums kommt allein schon aus dieser managed migration.
Warum sind so viele Amerikaner vom Wohlstand ausgeschlossen?
Amerika ist Kapitalismus pur. Der Erfolgreiche in Amerika verdient viel mehr als der Erfolgreiche in Europa. Ein Manager, der in Europa eine Million Dollar verdient, würde hier wahrscheinlich das Zehnfache bekommen. Am anderen Ende ist es umgekehrt: Jemand, der in Europa auf 30.000 Dollar kommt, käme hier vielleicht nur auf 15.000 Dollar. Das System fördert Erfolgreiche in extremer Weise. Es gibt fast keine Unterstützung für Arbeitslose. Wenn wer gefördert wird, dann sind es die working poor , die zu wenig zum Leben verdienen. In den USA arbeiten auch die Leute, die Mitte 50 sind, noch hart, und warten nicht bloß auf die Pension. Der Arbeitnehmer würde sofort auf der Straße stehen, wenn seine Leistung nicht stimmt. Der Druck ist enorm.
Was müssen österreichische Firmen berücksichtigen, wenn sie unter solchen Bedingungen reüssieren wollen?
Amerika ist für jede österreichische Firma, die etwas zu exportieren hat, ein hochinteressanter Markt, alleine durch seine schiere Größe. Die USA sind aber auf überraschend vielfältige Weise anders als Europa, was viele nicht glauben wollen. Ich war lange Zeit in Japan, daher kann ich aus der Schule plaudern: Kein österreichisches Unternehmen würde dorthin gehen, ohne sich genau vorzubereiten. Mitarbeiter würden Kurse und Seminare belegen, weil man selbstverständlich davon ausgeht, dass die Dinge in Japan anders gehandhabt werden als in Österreich. In den USA hingegen scheint man keine besonderen Probleme zu erwarten, vielleicht auch, weil man das Land so oft im Fernsehen sieht. Im geistigen Sinn sind die USA aber genauso weit weg von Österreich wie Japan.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel für die Andersartigkeit der Amerikaner nennen?
Da gäbe es einige, zum Beispiel die unterschiedliche Art des Verhandelns. Ein österreichisches Unternehmen hat einmal versucht, eine amerikanische Firma zu kaufen. Eine typische Vorgehensweise, wenn das amerikanische Pendant 120 Millionen Dollar verlangt, wäre ein Gegenangebot von 80 Millionen, um sich dann in der Mitte zu treffen. So wird es bei uns gemacht. Der amerikanische Eigentümer fand das Gegenangebot aber beleidigend und hat die Verhandlungen abgebrochen. Ein Amerikaner würde 110 Millionen anbieten und anschließend bei den Detailverhandlungen "Mängel" finden und dann den Preis weiter herunterhandeln. Das österreichische Unternehmen hat mit unserer Hilfe das amerikanische schließlich zu einem Preis gekauft, der unter 100 Millionen lag.
Man muss also ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben, dann kann man nachfassen. Ja, das wäre ein ganz simples Beispiel für die unterschiedlichen Mentalitäten. Der Amerikaner ist in der Kommunikation sehr friendly and colloquial , man nennt einander gleich beim Vornamen, was Europäer dazu verleiten kann, kumpelhaft zu werden und alle Distanz aufzugeben. Das sind kleine Unterschiede, die sich summieren und eine Geschäftsbeziehung belasten können. Die Amerikaner sind empfindsamer, als man glaubt. Es ist auch extrem schwierig, Unternehmen zu übernehmen, die einen Turn-Around erfordern. Wenn sich schon drei verschiedene amerikanische Management-Teams bei dem verlustmachenden Unternehmen die Zähne ausgebissen haben, und der Europäer kommt und erklärt den Amerikanern in Amerika das Geschäft, dann geht das meistens schief. Die besten Übernahmen waren jene, bei denen ein solides österreichisches Unternehmen ein gesundes amerikanisches gekauft hat.
Ist das Bankenwesen im Land des "Easy Going" auch so grundlegend anders?
Jedes österreichische Unternehmen, das sich in anderen Ländern engagiert, lernt die Qualität der österreichischen Banken zu schätzen. Wie gut die österreichischen Banken ihre Kunden betreuen, sieht man erst, wenn man in ein fremdes Land kommt, egal ob in Asien oder Amerika. Das Bankwesen in den USA ist komplett anders als in Österreich. Es gibt zum Beispiel eine zentrale Bestimmung im US-amerikanischen Bankengesetz: Banken have to know their customers. Es gibt Datenbanken, in denen alle Kreditgeschäfte zentral gemanagt werden. Wenn ich mir hier einen Toaster mittels Kreditkarte kaufe, wird diese Kontobewegung sofort in einer dieser Datenbanken registriert. Es gibt in diesem Sinn keinerlei Bankgeheimnis.
Wenn ich ein Konto in den USA eröffnen möchte, muss mich die Bank zuerst überprüfen. Das geschieht durch eine Anfrage bei diesen Datenbanken. Die credit history entscheidet darüber, ob ich ein Konto bekomme. Jeder Ausländer, egal ob Individuum oder Firma, ist für amerikanische Banken ein unbeschriebenes Blatt - es gibt ja keine credit history. Hier füllen wir eine Lücke, da wir unsere Kunden aus Europa sehr wohl kennen.
Hat sich eigentlich mit dem Hinscheiden von Waldheim und Haider etwas am Österreichbild in den USA geändert?
Das "Sound of Music"-Image ist verbreitet, und Mozart schlägt sowieso alle. Die künstlerisch Interessierten sehen Österreich als Großmacht auf dem Gebiet der klassischen Musik. Ansonsten steht Österreich natürlich nicht im Zentrum des amerikanischen Interesses.
Österreich hat auch keine Weltmarken, die im Alltag auftauchen und die man mit dem Land identifizieren könnte. Nestlé wird mit der Schweiz assoziiert, aber Red Bull nicht unbedingt mit Österreich. Bei Skimarken ist das anders, aber die sind hier ein Nischenprodukt.
Helmut Kratky
Helmut Kratky, geboren 1958, erkundete im zarten Alter von 16 Jahren per Autostopp und Interrail das alte Europa, was sein Interesse an neuen Welten und fremden Kulturen beflügelte. Kratky absolvierte zunächst das TGM. 1985 beendete er das Studium der Betriebswirtschaft in Wien. Bereits davor reiste er immer wieder nach Japan, das ihn seit langem faszinierte. Dort wollte er Fuß fassen, "aber nicht als armer Student", der er damals war, sondern als gut situierter "Expat(riate)". Er lernte japanisch, beschäftigte sich intensiv mit der japanischen Wirtschaft, schloss ein Post-Graduate-Studium in Japan an, und bei all der Hingabe zu dem fernen Land konnte es nicht ausbleiben, dass er das Herz einer Japanerin fand.
Dennoch war es Mitte der 80er Jahre für einen jungen Mann mit globalen Ambitionen und einem hohen Spezialisierungsgrad nicht leicht, in der österreichischen Wirtschaft eine adäquate Beschäftigung zu finden. Auf einer Jobmesse geriet er zufällig an einen Vertreter der Zentralsparkasse, die gerade eine Vertretung in Japan aufbaute. Kratky wurde vom Fleck weg engagiert. Nach weiteren sechs Jahren als Investmentbanker in Japan ging er 1993 nach Singapur, wo er die Südostasien-Repräsentanz leitete. Seit 1997 ist Kratky "Director European Corporates" der "UniCredit Bank Austria" in den USA. Sein wichtigstes Aufgabengebiet ist die Betreuung österreichischer Firmen, von denen viele, die in den USA, Kanada oder Zentral- und Mittelamerika engagiert sind, zu Kratkys Kunden zählen.
Helmut Kratky besitzt die österreichische und die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Kratkys haben zwei Töchter und leben in Scarsdale bei New York. Man spricht Deutsch und Englisch, als Familiensprache hat sich aber das Japanische durchgesetzt.