Henning Steinfeld, Nahrungsmittelexperte bei den Vereinten Nationen, spricht über die Probleme der Welternährung sowie über Vor- und Nachteile der Tierhaltung und des Fleischkonsums.
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"Wiener Zeitung": Herr Steinfeld, was sind Ihre Aufgaben bei der UNO? Henning Steinfeld: Ich bin für die Analyse der weltweiten Tierproduktion zuständig. Mein Arbeitsfeld reicht von archaischen Formen der Tierzucht wie dem Nomadismus bis zur Hightech-Produktion in Großbetrieben.
Welche Bedeutung hat Ihre Arbeit für die Politik der UNO und für jeden von uns?
Ich glaube, dass meine Arbeit von immenser gesellschaftlicher Bedeutung ist, weil die derzeitigen Produktionsweisen nicht nachhaltig und daher auch nicht zukunftsfähig sind. Mein Ziel ist, die Politik in Hinblick auf Tierproduktion und Fleischkonsum radikal zu verändern.
Essen wir zu viel Fleisch?
Ein Teil der Weltbevölkerung isst zu viel Fleisch. Das schafft Probleme - sowohl für die Gesundheit, als auch für die Umwelt und den Tierschutz. Gleichzeitig leiden knapp eine Milliarde Menschen an Hunger und Unterernährung.
Wenn wir die Umwelt und die Tiere schützen wollen, müssen wir uns von unseren Ernährungsgewohnheiten verabschieden und auf Fleisch verzichten?
So einfach ist es nicht. Historische Beispiele zeigen, dass Tierhaltung nicht nur zur Sicherung der Lebensgrundlage betrieben wird, sondern auch als Instrument der Landnahme. Ackerbau ist sehr mühsam und langsam. Mit Tierhaltung lässt sich ein Territorium schneller und einfacher besiedeln. Das Rind war ein wesentliches Instrument der Kolonisation - zum Beispiel bei der Besiedelung des amerikanischen Westens. Ohne ihre Viehherden hätten die weißen Amerikaner ihren Machtbereich nicht so schnell ausdehnen können.
Das heißt, das Tier ist ein Machtinstrument?
Und ein Machtsymbol. Das Tier gehört zur kulturellen Identität. Schauen Sie nur, was bei uns in jedem x-beliebigen Gasthof auf der Speisekarte steht. Ein Gericht ohne Fleisch wird ja gar nicht als Gericht akzeptiert!
Warum?
Fleisch liefert Nährstoffe in einer Konzentration wie kein anderes Lebensmittel. Der Jäger hat daher auch in sesshaften Kulturen immer hohes Ansehen genossen. Derjenige, der das Fleisch verteilte, war der Chef. Diese Dinge schwingen heute noch mit, wenn wir Fleisch essen. Gleichzeitig lässt sich die menschliche Evolu-tion ohne Fleisch gar nicht erklären. Bevor der Mensch sesshaft wurde, hat er zwei Drittel seines Kalorienbedarfs mit Fleisch gedeckt. So gesehen, war die Landwirtschaft eine Fehlentwicklung.
Wer isst denn das Rindfleisch von den riesigen Farmen in Brasilien und Argentinien?
Das ist vor allem für den asiatischen Raum bestimmt. Natürlich gelangt argentinisches oder brasilianisches Rindfleisch auch in die EU, aber eigentlich nur im Hochpreissegment. Fleischimporte aus Südamerika machen etwa zehn Prozent des EU-Bedarfs aus. Man kann also nicht sagen, dass sie die europäische Produktion verdrängen.
Die Gerüchte, wonach Fastfoodketten für die Vernichtung des Regenwaldes mitverantwortlich sind, stimmen also nicht?
Das Fleisch für diese Hamburger stammt üblicherweise nicht aus dem Amazonasgebiet. Allerdings importiert Europa große Mengen von Futtermitteln wie Mais oder Sojabohnen. Und die stammen sehr wohl auch von Regenwaldplantagen. Die umfangreichen Sojaimporte sind übrigens eine Folge der BSE-Krise. Das plötzliche Verbot, proteinreiches Tiermehl zu verfüttern, hat der Sojaproduktion in Lateinamerika und damit der Zerstörung von Regenwald großen Vorschub geleistet.
Man hört immer wieder, dass die Verdauungsgase der Rinder das eigentliche Umweltproblem sind.
Ja, auch. Bei der Tierzucht entstehen drei Klimagase: Kohlendioxyd, Methan und Stickoxyde. Der Großteil des Kohlendioxyds entsteht durch die Abholzung für Weiden und Ackerflächen. Dazu kommt der Einsatz von fossilen Brennstoffen für landwirtschaftliche Maschinen und die Herstellung von Stickstoffdünger. Methan, ein Gas das 23-mal so aggressiv ist wie Kohlendioxyd, wird bei einer ätherische Fermentation im Pansen, dem ersten Abschnitt des Rindermagens, freigesetzt und in die Atmosphäre gerülpst. Auch aus Gülleteichen tritt Methan aus. Stickoxyde sind 296 Mal so aggressiv wie Kohlendioxyd. Sie entstehen unter anderem durch die Düngemittelapplikationen bei Futterpflanzen. Zur Schädigung der Umwelt tragen alle drei Gase etwa in gleichem Maß bei.
Die Tierproduktion ist erwiesenermaßen ein Klimasünder. Ist die Herstellung von künstlichem Fleisch mittels Enzym- oder Gentechnologie eine Alternative?
Wenn es gelingt, dadurch die Probleme von Umwelt- und Tierschutz zu lösen, bin ich dafür. Nur, die Technik ist noch nicht so weit.
Welche anderen Möglichkeiten bleiben uns, um den Klimawandel zu stoppen?
Schon der Einsatz der besten derzeit bekannten Technologien würde massive Emissionseinsparungen bringen. Weiters muss man Umweltschutz an die Preispolitik knüpfen und so den Verbrauch reduzieren. In den USA werden pro Person jährlich 130 kg Fleisch verzehrt!
Und was tut die Politik dagegen?
Die Subventionen reduzieren zum Beispiel. Die Tierproduktion ist zu billig. Entwickelte Nationen geben über 350 Milliarden Dollar für Agrarsubventionen aus. In der EU fließt nach wie vor die Hälfte des gesamten Budgets in die Landwirtschaft. Das wirkt sich negativ auf die Effizienz der Produktion und damit auf die Umwelt aus.
Unternimmt die UNO etwas in diese Richtung?
Natürlich. Wir analysieren, entwickeln Normen und Richtlinien und stellen Daten, Statistiken und Informationen bereit. Die UNO hilft bei der Ausarbeitung politischer Strategien, in den Länderbüros werden Maßnahmenpakete entwickelt.
Das klingt nicht gerade offensiv. Ist die UNO in dieser Sache realpolitisch machtlos?
Manche nennen die Vereinten Nationen das "Empire of good intentions". In Wahrheit haben die UN-Organisationen genau so viel Macht, wie sie von ihren Mitgliedsländern bekommen.
Warum sind die Weltmarktpreise für Lebensmittel im letzten Jahr so enorm gestiegen?
In den letzten 20 Jahren hat niemand in die Landwirtschaft investiert. Die Politik hat sich weltweit aus Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft zurückgezogen. Zudem sind die Preise für landwirtschaftliche Produkte seit den Fünfzigerjahren kontinuierlich gefallen und waren Jahre lang sehr niedrig. Durch den hohen Ölpreis, das Bevölkerungswachstum und den steigenden Fleischbedarf musste sich diese Preisspirale wieder ins Gegenteil verkehren.
Wie sehen Sie das Problem der Nahrungsmittelspekulation?
Der landwirtschaftliche Bereich ist sehr träge. Investitionen brauchen drei bis fünf Jahre, ehe sie sich rechnen, daher waren Spekulationen bisher kaum spürbar. In den letzten zwei Jahren wurde die Landwirtschaft aber mit dem Energiemarkt gekoppelt. Heute können Überschüsse vieler Lebensmittel als Biosprit verkauft werden. Damit ist die natürliche Preisregulation durch Angebot und Nachfrage unterbrochen, selbst bei Überproduktion sinken die Preise nicht.
Wie ist es in einer so gut entwickelten Welt überhaupt möglich, dass Menschen Hunger leiden?
Die Welt produziert ausreichend Nahrungsmittel. Der Hunger rührt daher, dass viele Menschen keine Beschäftigung finden und kein Geld für Lebensmittel haben. Das betrifft hauptsächlich Afrika und Südasien.
In Afrika und Südasien existieren Agrargesellschaften. Wieso hungern die Bauern dort?
Weil die Flächen, die sie bebauen, viel zu klein sind. Und das starke Bevölkerungswachstum führt ständig zur weiteren Verkleinerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Zudem sind die Böden teilweise sehr unfruchtbar und die Bauern haben oft keinen Zugang zu Saatgut, Dünger und verlässlichen Märkten.
Seit Jahrzehnten verspricht die Wissenschaft Wundermittel gegen den Hunger. Wieso funktioniert das immer noch nicht?
Wissenschaftlich betrachtet, gäbe es Methoden, um Hunger und Umweltprobleme von heute auf morgen zu beseitigen. Es ist alles nur eine Frage des politischen Willens!
Es wird kolportiert, dass gewisse multinationale Konzerne den Hunger in der Welt zu verantworten haben. Was halten Sie von solchen Anschuldigungen?
Internationale Unternehmen tun auch nichts anderes als jeder Einzelne von uns: sie handeln nach eigenen Interessen und wehren Tendenzen ab, die sie als Bedrohung empfinden. Natürlich suchen Firmen nach Standorten, an denen sie möglichst billig produzieren können. Ich glaube aber nicht, dass das verwerflich ist. Gleichzeitig bringen diese Firmen Umweltschutz- oder arbeitsrechtliche Standards in unterentwickelte Gebiete. Es gibt natürlich auch Fehltritte und Missstände im großen Stil, aber die pauschale Verdammung von internationalen Konzernen lehne ich ab. Man macht es sich zu einfach, wenn man die Verantwortung für die Probleme unserer Zeit auf irgendwelche großen Firmen abschiebt.
Was kann der Einzelne zur gerechteren Verteilung von Nahrung beitragen?
Wenn man nachhaltig produzieren will, muss man akzeptieren, dass die Preise steigen. Das hat einfach damit zu tun, dass wir zur Zeit 6,7 Milliarden Menschen sind und dass wir in den nächsten 30 Jahren auf über 9 Milliarden anwachsen werden. Alle Sektoren müssen lernen, weniger Ressourcen einzusetzen und deren Einsatz schonender zu gestalten. Das bedeutet Preissteigerungen. Ein Land wie Österreich gibt heute durchschnittlich 12 bis 15 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel aus. Doch Sie müssen davon ausgehen, dass dieser Prozentsatz steigen wird.
Heißt das, wir werden uns im Bezug auf Essen zu einer Zweiklassengesellschaft entwickeln?
Rindfleisch wird in 30 bis 40 Jahren ein Luxusprodukt sein, ähnlich wie Räucherlachs vor 20 Jahren, also nur mehr ein Produkt für Weihnachten oder Neujahr.
Zur Person
Henning Steinfeld, geboren 1957 in Köln, studierte in Berlin Agrarwirtschaft. Er betreute landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte in mehreren afrikanischen Ländern und ist seit mehr als 15 Jahren für die Vereinten Nationen tätig. Als Direktor des Sektors "Tierhaltung" der FAO (Food and Agriculture Organization) der UNO mit Sitz in Rom ist er zuständig für Analysen und Politik. Seine Arbeiten betreffen die weltweite Tierhaltung in Hinblick auf Gesundheitsfragen, Umweltschutz und Besitzverhältnisse.
Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer leben als Architekten und Publizisten in Wien. Autoren von "Food Design XL" (Springer Verlag Wien).