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Herausforderungen für die Stadtplanung in Wien

Von Reinhard Seiß

Gastkommentare

Im Wahlkampf ließ das Rathaus wieder einmal wissen: Wien ist Weltmeister in Sachen Lebensqualität. Offenbar entbindet dieses Prädikat die Stadtregierung von überfälligen Änderungen ihrer Planungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik, die nötig wären, um die Stadt nachhaltig zu entwickeln.


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Dies zeigt der im westeuropäischen Vergleich rückständige Umgang mit dem Thema Auto. Unbestritten verursacht dieses als Hauptemittent von Lärm und Abgasen sowie als dominanter Faktor im öffentlichen Raum die Beeinträchtigung der städtischen Wohn- und Lebensqualität - und ist darüber hinaus der zweitstärkste Emittent des unser Klima verändernden CO2, ja der einzige mit nach wie vor steigenden Zuwachsraten. Wohlgemerkt folgt die Verkehrsentwicklung keineswegs einer unbeeinflussbaren Eigendynamik, sie wird gemacht - durch eine kontraproduktive Siedlungspolitik und monofunktionalen Städtebau.

Daher wäre es höchste Zeit, für neue Stadtteile, ja selbst Baublöcke eine kleinstrukturierte Durchmischung mit unterschiedlichen Nutzungen vorzuschreiben, die es wieder ermöglicht, zwischen Wohn-, Arbeits- und Einkaufsort ohne Auto zu verkehren. Das hieße etwa für den künftigen WU-Standort die Abkehr vom geplanten Bildungscampus zu Gunsten einer Verflechtung universitärer Bauten mit Wohnungen und Büros - oder für das neue Viertel am Hauptbahnhof kein isoliertes Nebeneinander von Büro-, Wohn- und Einkaufsbereichen, sondern ein urbanes Miteinander. Dies würde auch die Chance eröffnen, die Sockelzonen der meisten Gebäude wieder anders zu nutzen als für Garagen, Fahrrad-, Haustechnik- und Müllräume - zumal vitale Erdgeschoße auch die Voraussetzung sind für belebte öffentliche Räume.

Damit das städtische Leben wieder in die Stadt zurückkehrt, bräuchte es genauso einen Stopp der Randwanderung städtischer Funktionen wie Einkauf oder Arbeit, die an der Substanz der gewachsenen Stadtteilzentren zehrt - und die Abhängigkeit vom Auto erhöht. Eine Abhängigkeit, die im Falle Wiens von der Verkehrspolitik noch verschärft wird. Statt des Ausbaus von Autobahnen und Schnellstraßen, statt gesetzlicher Verpflichtungen zur Schaffung überzogener Parkplatzkapazitäten, statt kostengünstigen Parkens im öffentlichen Raum wäre ein Zurückdrängen des Autos auf ein stadtverträgliches Maß angezeigt.

Im Gegenzug bedürfte es des flächendeckenden Ausbaus und der Verbesserung der Netze für Straßenbahnen, Radfahrer und Fußgänger - sowie einer Offensive für die Schnellbahn im Großraum Wien, auch zur Verlagerung der täglich 200.000 Einpendler von der Straße auf die Schiene.

Wenn Wien diese Herausforderungen nicht umgehend in Angriff nimmt, wird sich seine urbane Qualität bald auf ein paar gründerzeitliche Gunstlagen beschränken - und das restliche Stadtgebiet um nichts lebenswerter sein als viele andere Metropolen ohne weltmeisterlichen Dünkel.

Reinhard Seiß, Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist, ist Mitglied des Beirats für Baukultur im Bundeskanzleramt sowie der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.