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Herbe Ernüchterung nach dem Aufbruch

Von Frank Brandmaier

Politik

Dili - Osttimor hat Dienstag den ersten Jahrestag seiner Unabhängigkeit gefeiert. In einer landesweit übertragenen Radio- und Fernsehansprache hob Staatspräsident Jose Alexandre "Xanana" Gusmao die "enormen Schwierigkeiten" des Inselstaates hervor: Zum einen hätten die Menschen in Osttimor "wenig zu essen", zum anderen gebe es insbesondere für die Jugend "keine Aussicht auf Arbeitsplätze". Obwohl das Land die Freiheit erlangt habe, "machen wir keinen guten Gebrauch von der Demokratie", bedauerte der frühere Widerstandsheld.


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Osttimor, das 191. UNO-Mitglied, ist das ärmste Land Asiens. Zwei von fünf Einwohnern leben von weniger als 55 US-Cent (47 Eurocent) pro Tag. Die schwierigen Lebensbedingungen der Bevölkerung seien die größte Schwachstelle beim Aufbau des Landes, betonte der Präsident.

So glanzvoll die Geburt des jüngsten Staates der Welt auch gefeiert wurde - viele sahen die Zukunft des bettelarmen Landes mit gemischten Gefühlen. Nach einem Jahr Eigenständigkeit ist die Euphorie verflogen, die Wirtschaft taumelt. Erst vor wenigen Monaten entlud sich die Frustration in blutiger Gewalt.

Die meisten Experten und nicht zuletzt die Osttimoresen selbst hatten harte Zeiten kommen gesehen, als die Weltgemeinschaft ihr neues Mitglied begrüßte. "Mittelfristig ist die Frage der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit nicht gesichert", formulierten es Asienexperten damals. Mittlerweile ist mehr als jeder Zweite auf der Inselhälfte arbeitslos. Im ersten Jahr der Unabhängigkeit schrumpfte die Wirtschaft nach Angaben der Asiatischen Entwicklungsbank zwischen einem und drei Prozent.

Die Ausgangslage war denkbar schlecht. Wenige Tage vor der Unabhängigkeit hatten die Vereinten Nationen nüchterne Zahlen auf den Tisch gelegt: Mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 480 US-Dollar pro Kopf wird der neue Staat der ärmste Südostasiens sein. Als die UNO im Oktober 1999 die Übergangsverwaltung übernahm, lag das Land in Trümmern, nachdem von der indonesischen Besatzungsarmee gesteuerte Terrormilizen das ehemalige portugiesische Überseeterritorium mit einer unvorstellbaren Orgie der Gewalt überzogen hatten. Mehr als 300.000 Bewohner flohen.

80 Prozent der stimmberechtigten Osttimoresen hatten am 30. August 1999 in einem von der UNO organisierten Referendum für die Unabhängigkeit des 1975 von Indonesien besetzten Territoriums votiert. Das anschließende Morden konnte erst eine multinationale Eingreiftruppe unter Führung Australiens beenden. Nach dem Abzug der indonesischen Truppen stand Osttimor bis zur Verwirklichung der staatlichen Unabhängigkeit unter UNO-Verwaltung.

Seit die UNO und Hilfsorganisationen immer mehr Personal abziehen, versiegt der Strom der ausländischen Hilfen. Die UNO-Millionen hatten die Preise auf das Niveau westlicher Großstädte getrieben. Zugleich rühmten sich die Vereinten Nationen, friedliche demokratische Wahlen organisiert, Schulen neu errichtet und die Ordnung wieder hergestellt zu haben. Doch selbst Generalsekretär Annan räumte bei seinem Besuch vor einem Jahr ein: "Wir hätten mehr Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen sollen."

Keine sieben Monate dauerte es, bis sich die Versäumnisse rächten und die Enttäuschung entlud. Ende 2002 kam es zu Protesten von Schülern und Studenten wegen der Arbeitslosigkeit. Randalierer verwüsteten das Parlament, plünderten Geschäfte und setzten Gebäude in Brand. Die Regierung wusste sich nicht anders zu helfen, als den Notstand auszurufen.

Der erhoffte Tourismus-Boom ist bisher ausgeblieben, und die Weltmarktpreise für das einzige Exportgut Kaffee sind seit Jahren im Keller. Frühestens 2005 ist Besserung in Sicht. Dann sollen Einkünfte aus einem Abkommen mit Australien über die Ausbeutung großer Gasvorkommen vor der Küste zu fließen beginnen - über 17 Jahre immerhin insgesamt drei Milliarden Dollar. Bis dahin hängt das kleine Land weiter am Tropf internationaler Geber.