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Nur 83,43 Prozent für SP-Chef.| Vor allem Parteijugend äußert Unmut.
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St. Pölten. Es war ein historisches Ergebnis. Bei seiner Wiederwahl als SPÖ-Chef kam Werner Faymann am Samstag beim Parteitag in St. Pölten auf gerade einmal 83,43 Prozent. Damit unterbot er das Ergebnis von 2010 um satte zehn Prozentpunkte, 2008 hatte er noch 98,4 Prozent erhalten. Es ist das historisch schlechteste Ergebnis für einen SPÖ-Vorsitzenden. Bisheriges Schlusslicht war Fred Sinowatz mit 88 Prozent im Jahr 1987. Die 67 Prozent von Bruno Kreisky 1967 sind nicht vergleichbar, weil es sich damals um eine Kampfabstimmung zwischen Kreisky und Hans Czettel gehandelt hat. Ähnlich schlecht wie Faymann schnitten Salzburgs Landeshauptfrau Gabriele Burgstaller (86 Prozent) und Klubobmann Josef Cap (88 Prozent) bei der Wahl ins Parteipräsidium ab. Vor allem die Parteijugend hatte mit dem Ergebnis ihren Unmut geäußert.
Als Jause getarnte Flyer
Dabei hatte alles ganz friedlich begonnen – wenn auch mit einem bissigen Scherz der politischen Konkurrenz. Kampflos wollte nämlich die ÖVP ihr Kernland Niederösterreich den Sozialdemokraten auch bei deren 42. Parteitag nicht überlassen. So verteilten junge ÖVPler als Jause getarnte Flyer – und die Genossen griffen gerne zu. Ob jemandem das Kipferl im Halse stecken blieb, als er die schwarze Gemeinheit bemerkte, ist nicht überliefert, Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas soll dem Vernehmen nach getobt haben. Inhaltlich ging es am Samstag um im Wesentlichen um das gleiche, wie beim Parteitag 2010: "Mehr Gerechtigkeit!" (Gegenüber "Zeit für Gerechtigkeit" vor zwei Jahren).
Den Einpeitscher gab mit Martin Schulz, Präsident des europäischen Parlaments, ein Schwergewicht der europäischen Sozialdemokratie. In einer von den österreichischen Genossen mit Begeisterung aufgenommenen Rede forderte Schulz "Waffengleichheit von Arbeit und Kapital" auch auf europäischer Ebene. Der Kapitalismus müsse gezügelt werden. Ein Mittel sieht der SPD-Politiker in der mittlerweile von elf EU-Staaten mitgetragenen Finanztransaktionssteuer – "einen der größten Erfolge unserer politischen Bewegung in Europa seit Jahren". Schulz ging sogar soweit, die "Urheberschaft" dafür Bundeskanzler Werner Faymann zuzuschreiben, der dies im europäischen Rat schon gefordert habe, "als alle anderen noch im Gebüsch saßen". Manche der anwesenden Journalisten wollten dies zwar eher dem französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy zusprechen, die Parteimitglieder nahmen die gestreuten Rosen gerne an.
Schulz legte in Sachen Verteilungsgerechtigkeit den Ball auf für Faymann. Doch der SPÖ-Chef ließ sich auffallend viel Zeit, bis er auf die aktuellen Kernforderungen der SPÖ einging. Mehr als die Hälfte seiner Redezeit befasste sich der Kanzler mit einem Thema, für das ihm lange jegliches Interesse abgesprochen wurde: Europa. Dabei hielt Faymann ein flammendes Plädoyer für die europäische Solidarität. Als Exportland sei es im Interesse Österreichs, dass es den anderen Ländern gut gehe. "Unser Europa für unsere Arbeitsplätze", so Faymann.
Erbschaftssteuer für Ganztagsschule
Hatte Schulz mit seiner Rede für regelrechte Begeisterung gesorgt, so ließen Faymanns Europaausführungen die Genossen ziemlich unberührt. Deutlich mehr Zuspruch bekam der Parteichef von den Delegierten erst, als es um innenpolitische Themen ging. Erstaunlicherweise strapazierte Faymann dabei das Gerechtigkeits- und Vermögenssteuerthema nicht allzu sehr. Es diente ihm mehr als Überleitung zur Bildungspolitik. So soll mit der Erbschaftssteuer eine flächendeckende Ganztagsschule finanziert werden. Lauten Beifall auch bei der erneuerten Forderung nach der Gesamtschule.
Erstaunlich breiten Raum gab Faymann dem Thema Inseraten-Affäre. Diese dürften nicht mit den Skandalen der schwarz-blauen Ära vermischt werden, "wir lassen uns nicht kriminalisieren", so Faymann. Und: "Ein U-Ausschuss ist keine Wahlkampfbühne." In Richtung von Staatssekretär Josef Ostermayer, der im Gegensatz zum Kanzler in den U-Ausschuss geladen wurde, erklärte Faymann: "Mein lieber Freund Josef Ostermayer hat es gut gemacht im U-Ausschuss."
Scharfe Worte fand Faymann für die FPÖ, der er "fehlende Abgrenzung zum Rechtsextremismus" vorwarf. "Wenn jemand nicht versteht, dass es eine klare antifaschistische Haltung braucht, dann haben diese Leute nichts in der Regierung unseres Landes verloren." Angriffe auf den Koalitionspartner überließ der Kanzler – von wenigen Spitzen abgesehen – den anderen Rednern.
Demo vor Beginn
Kritik, wonach in der Partei zu wenig diskutiert werde – so demonstrierten vor Beginn des Parteitags der sozialistische Studentenverband gegen mangelnde Mitsprache -, wies Faymann zurück: "Wir diskutieren viel und hart – auch intern." Daher verteidigte der Parteichef auch den von der Parteispitze angeordneten schwenk in der Wehrpflichtfrage: "Wir brauchen keine Beschlüsse fassen, ob wir dafür oder dagegen sind." Stattdessen werde man bei der Volksbefragung Argumente vorlegen.
Die Genossen nahmen die Rede ihres Vorsitzenden ohne wirkliche Begeisterung auf. Es war kein Startschuss für das Super-Wahljahr. Der große Streit fand zwar nicht statt, bei der Wiederwahl gab es aber doch einen harten Dämpfer für den Parteichef. "Bei den Reden hat die Parteidisziplin noch gehalten", sagte ein Delegierter zur "Wiener Zeitung". Vor allem die Parteijugend von SJ und VSStÖ zeigte sich unzufrieden mit der Parteiführung. Einerseits hat sicher die Debatte um die Inseratenaffäre die Stimmung unter den Sozialdemokraten zuungunsten ihres Parteichefs geändert.
Auch Fiskalpakt und ESM werden nicht von jedem Genossen goutiert. Für den Studentenverband wiederum ist die SPÖ in Sachen Studiengebühren und Freier Hochschulzugang zu nachgiebig. In der Partei wurde das Thema in eine Arbeitsgruppe entsorgt, die eine gemeinsame Position finden soll – auch das sorgt für Enttäuschung bei der jungen Basis. SJ-Chef Wolfgang Moitzi wiederum kritisierte fehlende Diskussionskultur, vor allem in Sachen Wehrpflichtschwenk.
Er wünsche sich die SPÖ als "Mitmachpartei" und warb für ein entsprechendes Demokratiepapier der Parteijugend, das etwa die Abschaffung des Parteipräsidiums und die Aufwertung des deutlich größeren Parteivorstands fordert. Auch soll es in den Jahren ohne Parteitag einen Parteirat als Diskussionsveranstaltung geben. Gefordert wird zudem die Direktwahl der Bundesgeschäftsführer. Das Demokratiepapier der Jungen Generation wurde vom Parteitag dem Parteivorstand zugewiesen – "entsorgt", wie ein Juso enttäuscht feststellte. Kleiner Erfolg der Jungen: Wie schon beim Wiener Landesparteitag hat sich auch der Bundesparteitag für ein Verbot des "kleinen Glücksspiels" ausgesprochen.
Startschuss für neues Parteiprogramm
Der Parteitag gab am Samstag den Startschuss für ein neues Parteiprogramm. Die Leitung des Diskussionsprozesses wird Pensionistenchef Karl Blecha übernehmen. Bezüglich des neuen Programms fordert Moitzi im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" eine deutlich sozialdemokratischere Handschrift, "kein Wischiwaschi" wie jenes von 1998, das vom sogenannten "dritten Weg" geprägt war.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erklärte, sie wünsche sich für das künftige Parteiprogramm einen ähnlichen Prozess, wie 1978 mit breiten Mitgestaltungsmöglichkeiten. Den Vorwurf fehlender Diskussionskultur wollte sie jedoch nicht gelten lassen. Die SPÖ sei eine offene Partei. Letztlich gab Prammer eine unmissverständliche Wahlempfehlung für Martin Schulz als gemeinsamer Spitzenkandidat bei der EU-Wahl 2014 ab. Auch Verteidigungsminister Norbert Darabos wollte sich den Vorwurf der "Diskussionsverweigerung" in Sachen Wehrpflicht nicht bieten lassen. Seit zwei Jahren werde in verschiedensten Gremien diskutiert. Oberösterreichs Landesparteichef erklärte, es sei "feig, feig, feig, wie mit dem Vorsitzenden umgegangen wurde. Es ist eine Schande." Faymann selbst erklärte in seinem Schlussstatement, "ich muss einfach 85 Delegierte überzeugen, dass unser Weg der richtige ist".