Zum Hauptinhalt springen

Herbert Kickl: Fast von nichts gewusst

Von Werner Reisinger

Politik

FPÖ-Innenminister Kickl bestreitet, in die Razzia eingebunden gewesen zu sein. Die Zustände im BVT habe er "geerbt".


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Erwartungshaltung ist ebenso groß wie der Andrang: Am Dienstagmorgen drängen sich dutzende Journalisten im provisorischen U-Ausschuss-Lokal im Parlament, vor den Türen steht eine Gruppe von Demonstranten, die den Rücktritt jenes Mannes fordern, der als erste Auskunftsperson befragt wird: FPÖ-Innenminister Herbert Kickl.

Bevor die Befragung startet, entschuldigt sich die Ausschuss-Vorsitzende Doris Bures bei den Journalisten für die Tatsache, dass ein Neonazi als Security wochenlang Zutritt sowohl zum Medienraum und damit den Aussagen der Auskunftspersonen, als auch zu den Presseausweisen der Journalisten hatte. Man werde die Journalisten im U.Ausschuss umfassend über die Ermittlungen informieren, versprach Bures.

Wer danach eine rhetorische Schlammschlacht zwischen dem Innenminister und den Abgeordneten erwartet hatte, wird enttäuscht: Kickl gibt sich betont ruhig, erst gegen Ende der Befragung wird es turbulenter. Aber der Reihe nach.

Herbert Kickl bleibt bei seiner prinzipiellen Darstellung der Vorgänge rund um die Razzia im BVT am 28. Februar 2018. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) habe die "Hoheit über das Verfahren" gehabt, die Razzia selbst betreffe sein Ressort nicht, auch bei der Auswahl der Polizeitruppe EGS als Begleitung der Staatsanwaltschaft bei der Razzia sei er selbst nicht involviert gewesen. Kickl weist jede Verantwortung von sich.

Kickl und der EGS-Einsatzleiter

Ob er gewusst habe, dass Oberst Wolfgang Preiszler, der die EGS beim Einsatz leitete, ein FPÖ-Gemeindepolitiker in Guntramsdorf sei? Er habe ihn "irgendwann im Februar" bei einem Dienststellenbesuch kennengelernt, das sei nichts ungewöhnliches. "Dass er FPÖ Gemeinderat ist, habe ich nicht gewusst, behauptet der FPÖ-Innenminister. Tatsächlich hatte Kickl am 10. Februar ein Facebook-Posting online gestellt, dass ihn neben Preiszler bei besagtem Dienststellenbesuch zeigt. Kickl war bei einer Razzia der EGS gegen Drogendealer dabei.

Auch in die Suspendierungen von führenden BVT-Mitarbeitern, darunter der inzwischen voll rehabilitierte Direktor Peter Gridling, sei er nicht involviert gewesen, erklärt Kickl. Ja, er habe davon Kenntnis bekommen, aber: "Da kommt etwas in Gang, das dann die Personalabteilung zu prüfen hat." Die Suspendierungen habe schließlich Michaela Kardeis, Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit, ausgesprochen.

Zwar bestreitet auch der Innenminister, dass er seinem Generalsekretär den mündlichen Auftrag erteilt habe, "im BMI aufzuräumen", da dieses "so korrupt sei wie noch nie". Auch Peter Goldgruber hatte das in Abrede gestellt. Die Äußerungen finden sich aber genau so im staatsanwaltlichen Tagebuch der WKStA-Ermittlerin Ursula Schmudermayer.

Kickl: Die Medien sind schuld

Ob er, Kickl, der Staatsanwältin Schmudermayer unterstelle, wissentlich falsche Aktenvermerke anzulegen? "Ich kann hier nur sagen, was ich meinem Generalsekretär gesagt habe", so Kickl. Schmudermayer wird a Donnerstag zum dritten Mal vom U-Ausschuss befragt werden.

In der Frage, inwiefern die Razzia im BVT die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerdiensten gefährdet hatte und gar eine Suspendierung von der internationalen Berner Gruppe im Raum stand, gibt Kickl der medialen Berichterstattung die Schuld: "Völlig überzogen" sei diese gewesen, da ja auch von "Erstürmung" die Rede gewesen sei. Eine entsprechende Anfragebeantwortung Kickls im Parlament bezüglich einer "Schadensanalyse" für die Partnerdienste steht im Widerspruch zu dem, was Kickl am Dienstag aussagte. Er selber kümmere sich nur um parlamentarische Anfragen, wenn es seinen "unmittelbaren Wirkungsbereich" betreffe. Ansonsten seien es die jeweils mit der Materie befassten Mitarbeiter, die die Anfragen beantworten würden. Kickl wird von der Vorsitzenden Doris Bures belehrt, dass er als langjähriger Abgeordneter wissen müsse, dass der Minister die Verantwortung für den Inhalt der Anfragebeantwortung trage – auch, wenn selbstverständlich der Beamtenapparat die Antworten auf Anfragen ausarbeite.

Wann er denn seine falschen Aussagen vor dem Parlament richtig stellen würde, fragt Jan Krainer von der SPÖ. "ich werde mich mit der Geschäftsordnung des Parlaments befassen", erwidert Kickl lapidar

Widersprüche gibt es auch bei der Frage, über welche Schritte im Vorfeld der Razzia Kickl informiert worden ist – Stichwort "Zeugenvermittlung" durch Goldgruber und Udo Lett, Kabinettsmitarbeiter des Innenministers. Ob ihm bekannt sei, dass Lett auch Festnahmen und Telefonüberwachungen angeregt habe, bei der WKStA? "Ich hab ja keine Möglichkeit bei meinen Sektionschefs permanent hinterherzurennen und permanent nachzufragen, ob das, was jemand tut, auch von mir zu verantworten ist. Ist ja völlig realitätsfremd", sagt Kickl.

Das sei realitätsfremd – eine Argumentation, den Kick in der Folge immer wieder bringt. Im Widerspruch zu seinem Generalsekretär, der vor dem Ausschuss aussagte, er habe im Vorfeld der Entscheidung zur Hausdurchsuchung den Minister "über alle wesentlichen Schritte" informiert.

"Völlig realitätsfremd"

Brisant ist auch ein von Neos-Fraktionschefin Stephanie Krisper vorgelegtes Mail des Generalsekretärs im Justizministerium, Christian Pilnacek, an die Oberstaatsanwaltschaft – und zwar vom 11. Oktober 2018. "Lieber Hans, das ist doch unfassbar. Kein Ermittlungsdruck? Das ist uns nie berichtet worden!", beschwerte sich Pilnacek damals über Aussagen vor dem U-Ausschuss, dass es keinen Ermittlungsdruck seitens des BMI auf die WKStA gegeben haben soll. Auch hier sagt Kickl, es sei "völlig realitätsfremd", von ihm zu "verlangen", dass er über alles, was seine Mitarbeiter tun, Bescheid wissen müsse.

Immer wieder hat Kickl Probleme mit der Rollenverteilung im Ausschuss. "Die Abgeordneten stellen die Fragen, sie als Auskunftsperson antworten", weist ihn Vorsitzende Doris Bures zweimal zurecht.

Der Innenminister gibt zu, gemeinsam mit seinem Generalsekretär und dem Kabinettsmitarbeiter Lett die erste Belastungszeugin, R.-U. P., vor deren Aussage bei der WKStA in den Klubräumlichkeiten der FPÖ in der Wiener Reichratsstraße getroffen zu haben. Was diese dort erzählt habe, habe er aber aus dem Konvolut bereits gekannt. Deshalb habe er das Treffen, das "emotional" verlaufen sei, nach wenigen Minuten wieder verlassen.

Am Nachmittag liefert Michaela Kardeis als zweite Auskunftsperson dem Ausschuss eine akribische Chronologie der Vorgänge aus ihrer Sicht.

Kardeis: FPÖ auch Grund für Vertrauensverlust

So gibt sie zu, sich geärgert zu haben, das Peter Goldgruber sie nicht informiert habe, dass im BVT eine Hausdurchsuchung stattfinde. Der Grund: "Du stehst auch im Konvolut", habe Goldgruber zu ihr gesagt. Kardeis wird im "Konvolut" tatsächlich erwähnt, sie habe an Sexparties teilgenommen und sich dadurch auch für ihren Posten als Generaldirektorin empfohlen. "Nein, ich bin nicht missbraucht worden, vielmehr gab es eine Kommission", widerspricht Kardeis den Vorwürfen gleich zu Beginn in ihrem einleitenden Statement.

Brisant ist auch, was Kardeis aus einem internen BVT-Mail zitiert – und zwar auf die Frage der Liste Jetzt nach dem Vertrauensverlust der Partnerdienste des BVT nach der Razzia. "Europa muss schon anerkennen, dass die FPÖ ein demokratisches Recht hat, auch andere Sichtweisen zu haben als andere Parteien in Europa. Aber man muss gut schauen, was in Wien passiert", liest die Generaldirektorin vor. Sie spielt damit auf die engen Verbindungen der FPÖ mit dem Regime des russischen Präsidenten Vladimir Putin an, die westlichen Partnerdiensten des BVT ein großer Dorn im Auge sind. Die Generaldirektorin zitiert auch einen zurückliegenden Spionagefall, der für Vertrauensverlust sorgte.

Kardeis relativiert aber, dass Goldgruber in der Liederbuch-Affäre von BVT-Chef Gridling die Namen von verdeckten Ermittlern in deutschnational-völkischen Burschenschaften wissen wollte. Wo solche Ermittler tätig seine habe Goldgruber wissen wollen, nicht aber, wer genau.

Ob es in dieser Frage tatsächlich zu einer Gegenüberstellung von Gridling und Goldgruber vor dem U-Ausschuss kommen wird, ist nach wie vor offen. Die Entscheidung liegt beim Verfahrensrichter, der sich aktuell vertreten lässt und im Urlaub weilt.