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Herbstgefühle

Von Walter Hämmerle

Analysen
Werken gemeinsam am "Evolutions"-Prozess der ÖVP: Reinhold Mitterlehner und Generalsekretär Gernot Blümel.
© photonews.at/Georges Schneider

Die ÖVP-Basis spürt wieder so etwas wie Selbstbewusstsein. Eine Analyse.


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Der Abgang war spektakulär, ein Paukenschlag, und seitdem herrscht Schweigen. Gut möglich also, dass die neugierigsten Blicke an diesem Samstagvormittag, wenn die ÖVP in Wien Donaustadt Reinhold Mitterlehner endlich auch formell auf ihren Schild hebt, nicht dem Neuen gelten, der ohnehin schon seit dem 31. August als geschäftsführender Obmann der Volkspartei agiert, sondern seinem Vorgänger.

Michael Spindelegger war, das wird er wohl nicht einmal selbst bestreiten, ein Parteiobmann ohne Fortüne. Sogar die wenigen tatsächlichen Erfolge, die der ÖVP in diesen 39 Monaten unter seiner Führung seit Mai 2011 gelangen, die Rückeroberung des Landeshauptmannsessels in Salzburg, der Gewinn der Bundesheer-Befragung oder Platz eins bei der EU-Wahl, zerbröselten den Schwarzen unter der Hand. Eine Partei, die sich sogar ihre wenigen Siege von innen wie außen weg- und kleinreden lässt, ist für die Konkurrenz, die hungriger und entschlossener nach Erfolgen strebt, ein leichtes Opfer. Spindelegger war weniger die Ursache für die Schwäche der ÖVP, er war vielmehr ihr Produkt und ihr Gesicht. Und als er endgültig erkannte, dass er selber und andere ihn zum Scheitern verurteilt hatten, beendete er seinen Auftritt im bürgerlichen Trauerspiel.

Seitdem hat Spindelegger als öffentliche Person aufgehört zu existieren. Sein Auftritt bei der Inthronisation Mitterlehners stößt deshalb auf einiges Interesse.

Mit Mitterlehner ist die Volkspartei keine andere und jedenfalls noch keine erfolgreichere Partei geworden. Das Minus bei den Vorarlberger Landtagswahlen Ende September betrug satte neun Prozent. Aber mit der Nominierung des 58-jährigen Oberösterreichers gelang es, die Stimmung schlagartig zu verbessern - in der wie gegenüber der ÖVP. Seine bis dato wohl wichtigste Entscheidung war, dass er der Versuchung widerstand, sich selbst zum Finanzminister zu befördern. Mitterlehner hat verstanden, dass der Griff nach allen Machthebeln in die persönliche Überforderung und anschließende Entmachtung mündet. Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Spindelegger: Sie alle forderten nach der Obmannschaft auch noch Vizekanzleramt und Finanzministerium - alle scheiterten in kürzester Zeit.

Glaubt man den Umfragen - zugegeben eine heikle Sache -, hat die ÖVP wieder zu Sozialdemokraten und Freiheitlichen aufgeschlossen. Mit Mitterlehner - und den von ihm geholten neuen Finanzminister Hans Jörg Schelling - gelang es, den grassierenden Raubbau am bürgerlichen Markenkern, der Wirtschaftskompetenz, zu beenden, der ansonsten die Neos mit einer Überlebensgarantie ausgestattet hätte.

Der schwarze Aufschwung unter Mitterlehner basiert noch nicht auf harter Politik. Tatsächlich setzt der Wirtschaftsminister in den wesentlichen sämtlichen Streitfragen den Kurs seines Vorgängers fort, dies gilt insbesondere für die umstrittenen Bereiche der Steuerreform ("Keine neuen oder höheren Steuern", "keine höheren Schulden") sowie der Bildungspolitik ("Das achtjährige Gymnasium muss bleiben"). Entsprechend gehen auch die innerkoalitionären Meinungsausverschiedenheiten weiter, allerdings nimmt diesen die sozialpartnerschaftliche Routine des neuen Vizekanzlers die Schärfe und Verbissenheit; die telegene Gewandtheit und Schlagfertigkeit Mitterlehners tut ein Übriges, dass die ÖVP neue Zuversicht tankt.

Und prompt hat sich auch die Wettbewerbskonstellation in der Innenpolitik verändert. Der Druck der roten Basis auf Kanzler Werner Faymann, linke Politik durchzusetzen, hat in den letzten Monaten beträchtlich zugenommen; Ende November muss er sich selbst dem Votum der Delegierten stellen; die Neos haben sich schneller als gedacht der eigenen Nabelbeschau hingegeben; und die FPÖ bleibt zwar stark, der Siegeszug ist aber kein Selbstläufer mehr. Anders formuliert: Die ÖVP hat sich als Gegner in der politischen Arena zurückgemeldet.

Wie nachhaltig dieser Aufwärtstrend tatsächlich ist, ist eine andere Frage. Die jüngere ÖVP-Geschichte ist gekennzeichnet vom raschen Verglühen einstiger Hoffnungsträger, man denke nur an Josef Pröll. Und wie unter Pröll arbeitet auch jetzt die ÖVP an einem programmatischen Erneuerungsprozess ("Evolution"). Dieser soll bis zum Programmparteitag im Mai 2015 abgeschlossen sein, am Samstag sollen jedoch schon erste Zwischenergebnisse präsentiert werden.

Ein neues Programm in einem Wahljahr zu erarbeiten, ist allerdings ein heikles Unterfangen - und 2015 stehen Landtagswahlen in Wien, Oberösterreich, Steiermark und Burgenland sowie Gemeinderatswahlen in Niederösterreich, Vorarlberg, Oberösterreich, Wien und Kärnten an.