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Hermans Schlacht

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Europaparlament einigt sich endgültig auf Juncker als Kommissionschef - Van Rompuy soll Briten Zustimmung abringen.


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Brüssel. Nach der Europawahl bringen sich alle europäischen Politiker in Stellung. Vor Beginn des informellen EU-Gipfels am Dienstagabend einigten sich die pro-europäischen Fraktionen endgültig auf Jean-Claude Juncker. Der Luxemburger solle vom Rat als Kommissionspräsident nominiert werden, hieß es von den Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und der Linken. Die beiden Rechtsaußen-Fraktionen der EU-Skeptiker und EU-Gegner stimmten gegen Juncker.

Damit sind die Pflöcke eingeschlagen, und beim abendlichen Treffen der 28 Regierungschefs standen sie einer parteiübergreifenden Allianz des Europa-Parlaments gegenüber. Der scheidende Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, war mit dabei, als sie den Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, davon informierten. Damit ist auch klar, dass Christ- und Sozialdemokraten eine Art "große Koalition" im künftigen Europaparlament bilden werden.

Cameron "einfangen"

Van Rompuy spielte am Dienstag den Transmissions-Riemen zwischen Parlament und Rat und wird in den kommenden Wochen zur Schlüsselfigur bei der Besetzung des künftigen Kommissions-Präsidenten. Denn die Regierungschefs gaben Van Rompuy den Auftrag, bis zum Treffen am 27. Juni Einigkeit unter den 28 Regierungschefs herzustellen.

Das wird nicht so einfach sein, denn der britische Premierminister David Cameron hat schon angekündigt, gegen den prononcierten Pro-Europäer Juncker zu stimmen. Am Dienstag versuchte er Schweden und die baltischen Länder auf seine Seite zu ziehen. Denn bisher wird Cameron offiziell nur von Ungarns Regierungschefs Viktor Orban unterstützt, der aber wenig Einfluss im Rat hat. Zudem sind beide Länder zu schwach, um die für die Nominierung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zu brechen. Außerdem haben Cameron und seine Tories die Europawahl glorios verloren. Die EU-Gegner der UK Independence Party wurden stärkste Partei bei der Wahl. Deren Chef, Nigel Farage, sagte deutlich: "Wir wollen nicht nur, dass Großbritannien aus der EU austritt. Wir wollen, dass Europa aus der EU austritt."

Italien Nummer eins der SPE

Doch auch der französische Präsident François Hollande kam schwer angeschlagen zum EU-Treffen. Seine Sozialisten rutschten auf Platz drei, die rechtsradikale Front National von Marine Le Pen gewann spektakuläre 26 Prozent und Platz eins. Hollande forderte in einer TV-Ansprache ein Ende der Sparpolitik in der EU, die Millionen Arbeitslose produziere. Aus der Europäischen Volkspartei war allerdings zu hören, dass Frankreich weiterhin ein hohes Budgetdefizit habe, also eigentlich gar nicht spart - und trotzdem eine hohe Arbeitslosenrate habe. "Das Europaparlament ist nicht für nationale Budgets zuständig", sagte ein konservativer Abgeordneter.

Der belgische Regierungschef Elio di Rupo hat am Sonntag auch die nationale Wahl verloren und ist nur noch bis zur Bestellung der neuen Regierung im Amt.

Dafür ist Italiens Mario Renzi der neue Star der europäischen Sozialdemokraten - Italien wird in deren Fraktion die meisten Abgeordneten stellen. Auch er ist für ein Ende der sogenannten Austeritätspolitik und verlangt einen EU-weiten Investitionsschub.

Diese Gemengelage soll Van Rompuy in vier Wochen ordnen. Ob den rabiaten Briten Zugeständnisse gemacht werden (früher eine Art Automatismus), wird in Brüsseler Kreisen diesmal für weniger wahrscheinlich gehalten. "Cameron hat keine guten Karten, er hat sich mit seiner Politik selbst ins Eck manövriert", ist aus Parlamentskreisen zu hören. Auch seine Regierungskollegen sollen dem Vernehmen nach wenig Lust haben, ihm entgegenzukommen.

Personalpaket besprochen

Denn das starke Abschneiden von Rechtsaußen-Parteien in manchen Ländern hat ein Umdenken ausgelöst. Die Bürger können mit dem Machtpoker um Posten sowie den komplizierten EU-Regelungen immer weniger anfangen.

Genau darum ging es aber auch beim EU-Gipfeltreffen. Dem Vernehmen nach sprachen die Regierungschefs auch über eine Neuordnung der EU-Kommission. Es soll sogenannte Themen-Cluster geben, die von mehreren Kommissaren bearbeitet werden - unter Führung eines Vizepräsidenten. Frankreich beansprucht angeblich den Wirtschafts- und Währungskommissar. Das war zuletzt der Finne Olli Rehn, der für die Liberalen ins Europaparlament einziehen wird.

Denn den Südeuropäern geht es eben um das Ende der Sparpolitik in Europa. Zwar hält die Europäische Zentralbank mit ihrer Niedrigzins-Politik dagegen, doch viele Länder wollen mehr Mittel für Investitionen sehen. Das verlangen auch die Sozialdemokraten für ihre Unterstützung Jean-Claude Junckers. Da der aber selbst im Wahlkampf ein Ende der neoliberalen Politik forderte, sind die Hürden hier nicht besonders hoch.

Hü und Hott

Die muss eher Herman Van Rompuy überspringen, denn erst im Vorjahr haben die Regierungschefs - unter Druck von Cameron - eine Ausweitung des EU-Budgets bis 2020 verhindert. Damals ging es ebenfalls darum, höhere EU-Mittel zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums einsetzen zu können. Der gewiefte Taktiker Van Rompuy muss diese Schlacht bis 27. Juni gewinnen, sonst wird es zeitlich knapp. Mitte Juli könnte das Europaparlament den nominierten Kommissionspräsidenten - so er Juncker heißt - bestätigen. Über den Sommer muss dann die Kommission stehen, die sich im September den Hearings im Parlament stellen muss. Ende Oktober läuft die Amtszeit der jetzigen Kommission ab.

Die neue jedenfalls soll eine sogenannte "Konsolidierungsphase" der EU einläuten. Bis 2019 etwa sollten die bilateral vereinbarten Regelungen zur Lösung der Euro-Krise (wie die Bankenunion) im EU-Recht einfließen. Dazu ist eine Vertragsänderung notwendig. Ob die Bürger Europas dem zustimmen, wäre derzeit eher unwahrscheinlich. In Parlamentskreisen heißt es derzeit, dass dies gemeinsam mit der nächsten Europawahl abgestimmt werden könnte. Ob die Regierungschefs damit eine Freude haben werden, ist ebenfalls unklar. Aber von denen werden bis dahin - wie es derzeit ausschaut - ohnehin nicht mehr viele im Amt sein.