Die jüngste aufgeregte Debatte über besseren Schutz vor Terrorakten begünstigt leider auch Hysterisierung, weil es perfekten Schutz gegen Terror nicht gibt.
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Der Terrorist ist den Sicherheitsorganen meist einen Schritt voraus, weil er Ziel, Zeitpunkt und Zerstörungsmittel bestimmt. Natürlich verfügt die Abwehr über Mittel und Methoden, terroristischen Verschwörern auf die Spur zu kommen und sie zu überwachen; sie also in der Planungsphase aufzudecken und abzufangen.
Die Größe eines konspirativen Terrornetzes kann die Abwehr erleichtern, da eine solche Bande Kontakt halten muss. Die geringste Auffälligkeit kann auf eine Fährte und schließlich zum Erfolg führen, wie vor einiger Zeit bei der Sauerland-Bande im Rheinland.
So weit, so beruhigend. Was aber, wenn kein terroristisches Netzwerk besteht und Einzeltäter von hoher krimineller Intelligenz jahrelang ungestört ihre Gewalttaten bis ins Detail planen können wie Briefbomber Franz Fuchs oder Massenmörder Anders Breivik? Zweiteren motivierte neben seinem Hass auf den Islam auch Herostratos, der 358 vor Christus unsterblichen Ruhm zu ernten trachtete, indem er eines der sieben Weltwunder brandschatzte: den Tempel der Artemis in Ephesos. Allerdings verbindet Breivik auch ein Grundmotiv mit den Al-Kaidisten oder den Taliban: maximale Opfer an Blut und Gut.
Was hektische Reaktion auf Terrorakte bewirkt, führte George W. Bush vor. Der Ex-US-Präsident wollte nach dem Schock von 9/11 das Volk durch entschlossene Tatkraft beschwichtigen und erklärte dem Terrorismus den Krieg, der so lang geführt werde, bis der letzte Bandit geschnappt sei. Den strategischen Wahnsinn dieser Kriegserklärung dokumentieren die Folgen: Afghanistan und Irak.
Das verweist auf das sogenannte Restrisiko. Es gewinnt an bedrohlicher Dimension, wenn man bedenkt, dass lediglich ein Verkehrsstau in Oslo Breiviks Plan durchkreuzte, in einem Zug noch mehr Ziele zu treffen, und das vor Büroschluss. Der Polizei Versagen vorzuwerfen, erinnert fatal ans Pfeifen im finsteren Wald. Helfen denn verschärfte Gesetze und mehr Überwachung oder mehr offene Demokratie gegen einen Massenmörder, der seine Gewalttat jahrelang unauffällig plant?
Damit tut sich noch ein Problem auf: Die Terrorabwehr kann nicht Kleinerfolge an die große Glocke hängen, um einen öffentlichen Leistungsnachweis zu liefern. Damit gäbe sie den Terroristen preis, was sie über sie weiß - ein elementarer taktischer Schnitzer. Ähnlich ist es mit Terrorwarnungen. Kommt es weder zum Unheil noch zur spektakulären Festnahme, grassiert in der Öffentlichkeit der Verdacht, die Polizei betreibe lediglich Selbstdarstellung - wie in England mehrfach passiert.
Die konspirative Intelligenz von Terroristen findet immer taktische Methoden, schärferen Gesetzen und mehr Überwachung auszuweichen. Das und noch mehr liberale Demokratie lösen nicht die Grundfrage: Wie kann ein Rechtsstaat das Restrisiko minimieren? Wie viel Restrisiko darf er der Gesellschaft zumuten? Wie steuert man also den Rechtsstaat zwischen Scylla und Charybdis hindurch?
Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".
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