Der 52-jährige Ruandese hat in Wien mehr als 2000 Fußballspiele gepfiffen.
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Wien. "Schiri! Passt das so?", ruft der Tormann des KSV Ankerbrot und zeigt auf seine violetten Stutzen. Die andere Mannschaft spielt in blauen Dressen, es könne ob der ähnlichen Farbe zu Verwechslungen kommen, befürchtet er. "Passt scho", sagt Alphonse Hategekimana, "Die anderen haben ja weiße Stutzen." Was wie eine modische Lappalie klingt, ist im Wiener Unterhaus-Fußball streng geregelt. Vor jedem Spiel der Stadtliga ist der Schiedsrichter deshalb die Ansprechperson für allerlei Problemchen. An der Kabinentür klopft es im Minutentakt. Jetzt hat sich eine Bodenstange am Tor gelockert. Hategekimana muss Nachschau halten.
Es ist ein sonniger Frühlingstag am Stadtrand von Wien, dort, wo über der Straßenflucht schon die Hügel des Wienerwalds zu sehen sind. Ein perfekter Tag für Fußball. Hunderte Mannschaften stehen sich heute in ganz Wien gegenüber. Von Rapid und Wiener Neustadt im Hannapi-Stadion bis zu ASV1 3 aus Hietzing und KSV Ankerbrot aus Favoriten, dem Spiel, das Alphonse Hategekimana heute leiten wird.
In Wien gilt der 52-jährige drahtige Mann als Legende: Mehr als 2000 Spiele hat er schon in den Beinen. Mitte der Achtziger war er der erste afrikanische Schiedsrichter der Stadt. Doch nach einem Vierteljahrhundert an der Pfeife wird er mit Ende der Saison die Stadtliga aus Altersgründen verlassen. Die Frühjahrsrunde ist für Hategekimana auch eine des Abschieds.
Durch das offene Fenster der Schiedsrichterkabine dröhnt Hüttenmusik aus einer bis zum Anschlag aufgedrehten Heimstereoanlage. 50 Zuschauer hat die Partie heute angelockt, die meisten davon Funktionäre oder ältere Herren. Im Flair der Unterligen, bekannt für ihre rauen Sitten, ist Hategekimana zu Hause. Hier kennt ihn mittlerweile jeder. "Hallo Herr Alfons!" wird ihm zugerufen, wenn er an der Spitze der beiden Mannschaften den Rasen betritt.
Aus Ruanda zum Studium nach Wien
Mit einem kurzen Pfiff startet Hategekimana das Spiel. Schon nach elf Minuten steht es 2:0 für die Hietzinger. Die Favoritner lassen sich zu einigen harten Frustfouls hinreißen. Alphonse drückt ein Auge zu, während die Zuschauer schon die gelbe Karte fordern.
Er hat die Finessen der Schiedsrichterei längst verinnerlicht: "Wenn man zu wenig pfeift, regen sich die Zuschauer auf, genauso, wenn man zu oft unterbricht. Das ist ja das Problem: Zu 100 Prozent kann man es niemandem recht machen." Hategekimana belässt es zunächst bei Mahnungen. Er wird auf dem Platz selten laut, das ist nicht seine Art. "Bei manchen Spielen versuchen die Spieler, nur ja keine gelbe Karte zu bekommen. Sie wollen mir das nicht antun." Nach der nächsten Attacke hat er trotzdem genug gesehen: Gelb. Niemand protestiert.
Der sanftmütige Alphonse Hategekimana hat den Ruf eines fairen Schiedsrichters, nicht zu hart, aber auch nicht zu nachgiebig. Seine Karriere startete er bereits in Kigali, der Hauptstadt seines Geburtslandes Ruanda, wo Fußball der Volkssport ist. Nach Österreich kam er Mitte der Achtziger als Student für medizinisch-technische Analytik. Eigentlich wollte er nach dem Studium nach Ruanda zurückkehren. Doch der Bürgerkrieg, der Mitte der Neunziger Jahre im Genozid endete, kam ihm dazwischen. Seitdem lebt er in Wien und arbeitet im Brotberuf als Ordinationshilfe in einer Arztpraxis.
Kaum mit Rassismus zu kämpfen gehabt
Auch in seiner neuen Heimat zog ihn der Fußballplatz an. Früher hätte er als Afrikaner schon Aufsehen erregt, erzählt er. "Es gab ein paar gefürchtete Plätze, von Vereinen, die es heute nicht mehr gibt. Aber es hat sich seitdem schon einiges geändert. Wenn ich zum zweiten oder dritten Mal hinkomme, dann schaut schon niemand mehr, da kennen sie mich schon." Mit Rassismus habe er kaum zu kämpfen gehabt. "Es hat irgendwie funktioniert. Vielleicht, weil ich anders mit Menschen umgehe. So wie im Match. Ich bin auch als Schiedsrichter ein Freund der Spieler und Vereine. Da verzeiht man einem auch leichter die Fehler", sagt er.
Halbzeitpause. In der Kabine ärgert sich der junge Linienrichter Alexander Novak über seine Leistung. "Du hast ja noch die zweite Halbzeit", beruhigt ihn Hategekimana. Es ist das Schicksal des Schiedsrichters: unauffällig, wenn sie alles richtig machen. Verteufelt, wenn etwas schiefläuft. "Aber man kann es auch so sehen: Es gibt drei Teams am Platz, die Heimmannschaft, die Auswärtsmannschaft und das Schiedsrichterteam", sagt Hategekimana. "Wir werden versuchen, das beste Team zu sein. Wenn es gelingt, dann hat man schon einiges erreicht."
Das Spiel ist gelaufen, als Alphonse Hategekimana zum 4:2-Endstand abpfeift. Das Resümee des Schiedsrichterteams ist positiv, keine schweren Fouls, nicht zu viele Pfiffe. Routine. Wenn es nach ihm ginge, würde er noch ein paar Saisonen in der Stadtliga pfeifen. Doch sein Alter zwingt ihn laut Reglement zum Abstieg in die unteren Spielklassen. So erlebt er nach 25 Jahren noch Premieren. Morgen ist er für ein U-11 Spiel eingeteilt. Dort gibt es andere Abseitsregeln und blaue statt gelber und roter Karten. Hategekimana muss beim Gedanken daran lachen. "Ich sollte mich kurz in die Regeln einlesen."
Zur Person
Alphonse Hategekimana ist 52 Jahre alt und arbeitet im Brotberuf als Ordinationshilfe in einer Arztpraxis.